KlimaKompakt Spezial

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Der inszenierte Wissenschaftlerstreit über den globalen Klimawandel

Unser Kenntnisstand über den globalen Klimawandel festigt sich von Jahr zu Jahr und einige zentrale Erkenntnisse werden heute von keinem seriösen Wissenschaftler mehr angezweifelt. Immer wieder wird jedoch in den Medien - gerne vor allem in Talkshows - der Eindruck vermittelt, dass selbst über diese Fragen noch große Uneinigkeit in der Wissenschaft besteht. Im folgenden geben wir einen Artikel des Klimawissenschaftlers Stefan Rahmstorf wieder, der sich mit diesem (vermeintlichen und eher inszenierten) Wissenschaftsstreit beschäftigt. Er zeigt sehr schön auf, dass dieser "Streit" vor allem der Logik der Medien geschuldet ist, die Konflikte und nicht trockene Wissenschaft transportieren wollen.

Der Artikel erschien am 5.9.02 in der ZEIT. Eine um Fussnoten, Abbildungen und einen Nachtrag ergänzte Fassung finden Sie unter http://www.ozean-klima.de.


Flotte Kurven, dünne Daten

Im Medienstreit um den Klimawandel bleibt die Wissenschaft auf der Strecke

Von Stefan Rahmstorf

Wenn ich derzeit meine Arbeit als Klimaforscher erwähne, höre ich oft: Es ist ja wohl sehr umstritten, ob der Mensch für den Klimawandel verantwortlich ist. Verfolgt man in diesem Sommer die Medien, kann man durchaus diesen Eindruck gewinnen. Doch spiegelt der Streit in den Talkshows auch die wissenschaftliche Debatte wider?

Der zentrale Bezugspunkt aller Diskussionen um das Klima sind die Berichte des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), auf Deutsch oft als der Klimabeirat der Vereinten Nationen bezeichnet. Sein jüngster Bericht vom Mai 2001, an dem über 2000 Wissenschaftler mitarbeiteten, fasst den Kenntnisstand der Klimaforschung folgendermaßen zusammen: Die Erde hat sich im vergangenen Jahrhundert bereits um 0,6 bis 0,8 Grad erwärmt. Nur ein kleiner Teil davon ist auf Schwankungen in der Sonne zurückzuführen, der größte Teil geht auf das Konto des Menschen. Durch die Erwärmung schmelzen Gletscher, und Extremniederschläge nehmen zu. Wirtschaften wir so weiter, wird sich die Erde in diesem Jahrhundert nochmals um 1,4 bis 5,8 Grad erwärmen.

Wenn so viele Wissenschaftler sich auf so eindeutige Aussagen einigen, deutet dies auf einen erstaunlichen Konsens hin. Trügt der Schein dieser Übereinstimmung? Gibt es gewichtige fachliche Argumente, die vergessen, heruntergespielt oder gar unterdrückt worden sind?

Meine Spurensuche beginnt mit einem Telefonanruf: Ein Journalist fragt nach einer Stellungnahme zur "neuen Studie von Peter Neumann-Mahlkau, die zeigt, dass der Mensch nicht am Klimawandel schuld ist". Ich bin überrascht - seit 15 Jahren arbeite ich in der Klimaforschung, doch dieser Name ist mir noch nie begegnet. Kein Problem, denke ich, schließlich gibt es eine umfassende Datenbank, den Science Citation Index, in dem sämtliche Artikel der wissenschaftlichen Fachzeitschriften (8661 an der Zahl) seit 1975 katalogisiert sind. Fehlanzeige. Neumann-Mahlkau, ein pensionierter Geologe, hat seit 1975 keine eigene Forschungsarbeit publiziert.

Seine "neue Studie" bekomme ich am nächsten Tag auf den Tisch, als Sonderdruck verteilt vom Verband der Braunkohleindustrie. Es handelt sich um einen populärwissenschaftlichen Artikel, in dem Lehrbuchwissen der Klimageschichte referiert wird, wie ich es (allerdings auf aktuellerem Stand) auch den Studenten in meinen Paläoklimatologievorlesungen vermittle. Neumann-Mahlkau folgert: Klimawandel gab es schon immer, nicht nur durch CO2. Wer würde das bestreiten? Seine Behauptung, CO2 habe keine Wirkung, folgt daraus allerdings nicht.

Suchen wir also weiter. Bei Sabine Christiansen vertrat kürzlich Horst Malberg von der Freien Universität Berlin die These, der derzeitige Klimawandel bewege sich im normalen Schwankungsbereich, 1790 sei es sogar schon einmal deutlich wärmer gewesen als heute. Ist das ein wissenschaftlicher Widerspruch zum Bericht des IPCC? Der sagt nämlich, in den neunziger Jahre sei es nach den vorliegenden Daten "sehr wahrscheinlich" wärmer als jemals zuvor in den vergangenen 1000 Jahren gewesen.

Doch es stellt sich heraus: Malberg spricht von einzelnen Regionen. Kein Klimaforscher behauptet, es sei überall wärmer als seit 1000 Jahren, dies gilt nur für den Mittelwert über die gesamte Nordhalbkugel. Einzelne Orte sind wenig aussagekräftig; erst die globale Gesamtschau belegt die ungewöhnliche Erwärmung.

Malberg sagt weiter: Nach seinen Untersuchungen seien zwei Drittel der Erderwärmung auf die Sonne zurückzuführen, nur ein Drittel auf den Menschen. Endlich eine wissenschaftliche Aussage, die klar dem IPCC-Bericht widerspricht. Diese Untersuchung will ich sogleich im Detail nachlesen. Doch der Blick in die Datenbank ergibt: In Malbergs Publikationsliste findet sich nichts zum Einfluss der Sonne auf das Klima. Sollte er etwa seine Ergebnisse im Fernsehen verbreiten, bevor er sie auf üblichem Wege den Fachkollegen zur Diskussion stellt?

Die Rolle der Sonne wird übertrieben

Wie ein Wissenschaftsstreit normalerweise funktioniert, zeigt das Beispiel seiner dänischen Kollegen Friis-Christensen und Lassen. Sie veröffentlichten 1991 eine Korrelation des Sonnenfleckenzyklus mit der Erdtemperatur im Top-Journal Science und folgerten: Die Erwärmung ist größtenteils auf die Sonnenaktivität zurückzuführen. Dänische Kollegen erhielten die Originaldaten und konnten zeigen, dass die gute Korrelation mit den ungefilterten Rohdaten nicht nachvollziehbar war und auf einem statistischen Trick beruhte. Knud Lassen selbst zog vor über zwei Jahren seine Kurve zurück und ersetzte sie auf der Grundlage aktuellerer Daten durch eine neue. Diesmal folgerte er: Durch die Sonnenaktivität hätte sich das Klima in den vergangenen 25 Jahren nicht aufheizen dürfen, die starke Erwärmung gerade in diesem Zeitraum deutet auf den Einfluss des Menschen hin.

In Deutschland wirbt vor allem Ulrich Berner von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe für die These vom dominanten Einfluss der Sonne auf das Klima: mit einem Buch (Klimafakten), einem Faltblatt und neuerdings einer Kurzversion des Buches, alle durch den Verband der Braunkohleindustrie großzügig unter Politikern und Journalisten verteilt. Dem Spiegel war es eine Geschichte wert. Doch der Citation Index verrät: Auch Berner hat keine eigene Forschungsarbeit zum Thema publiziert. Vielmehr argumentiert er mit der alten Sonnenkurve von Friis-Christensen und Lassen; die wurde auch neben seinem Spiegel -Interview im Juni 2001 abgedruckt - leider ohne jeden Hinweis auf die neue Version der Lassen-Kurve, die das Gegenteil seiner These belegt.

Auch zum Treibhaus hat Berner Klimafakten zu berichten: Er betont, der Mensch trage nur zwei Prozent zu diesem Effekt bei. Der Laie atmet auf. Doch auch hier schlummert kein Wissenschaftsstreit - die Zahl entstammt dem IPCC-Bericht. Streiten kann man höchstens darüber, wie Berner diesen Wert in seiner Öffentlichkeitsarbeit einsetzt: nämlich meist ohne zu erwähnen, dass der gesamte (natürliche) Treibhauseffekt etwa 33 Grad Celsius ausmacht; ohne ihn herrschte auf der Erde lebensfeindliche Kälte. Eine kurze Überschlagsrechnung macht auch dem Laien klar: Eine Verstärkung durch den Menschen um zwei Prozent passt gut zu der gemessenen Erwärmung von 0,7 Grad in den vergangenen 100 Jahren.

Berner vermittelt gern den Eindruck, die These vom Treibhauseffekt werde von so genannten Neoklimatologen vertreten, die das künftige Klima mit Computermodellen simulieren und in einer virtuellen Modellwelt leben; dagegen stünden die Paläoklimatologen, die die Klimageschichte erforschen und anhand harter "Klimafakten" zu ganz anderen Erkenntnissen kommen. Ist das der Kern des Wissenschaftsstreits: Neoklimatologen gegen Paläoklimatologen? Das klingt plausibel, führt aber in die Irre. Auf den Konferenzen der internationalen Paläoklimatologen würden Berners Thesen, wenn sie dort bekannt wären, lediglich ein Kopfschütteln ernten; die führenden Paläoklimatologen, darunter unsere Arbeitsgruppe am Potsdam-Institut, haben selbstverständlich am IPCC-Bericht mitgearbeitet.

Ich verfolge eine letzte Spur: Der Spiegel bringt zur "Sommer-Sintflut" ein Streitgespräch der Klimatologen Mojib Latif und Heinz Miller. Die begleitende Grafik zeigt eine Rekonstruktion der Temperaturentwicklung der Nordhalbkugel, auf der es so aussieht, als sei es im Mittelalter bereits mindestens genauso warm gewesen wie heute. Vielleicht gibt es neue Daten, die noch nicht vom IPCC berücksichtigt wurden? Weil keine Quelle angegeben ist, frage ich beim Spiegel nach: Es handelt sich um eine alte Grafik aus dem Archiv - aus der Zeit, bevor amerikanische Paläoklimatologen die ersten korrekt geografisch gewichteten Rekonstruktionen für die Nordhalbkugel erstellten. Wieder kein Wissenschaftsstreit - nur eine überholte Kurve.

Eine echte wissenschaftliche Kontroverse hinter dem Medienspektakel ist nirgends zu finden. Leider - denn Wissenschaft lebt vom offenen und mit Argumenten ausgetragenen Streit. Sie lebt davon, dass Forschungsergebnisse und Interpretationen auf Konferenzen präsentiert und in Fachjournalen publiziert werden - mit allen Informationen, die eine kritische Überprüfung ermöglichen. Innerhalb des IPCC gibt es viele unterschiedliche Positionen zu etlichen Aspekten des Klimawandels. Selbst die heute als weitgehend gesichert geltenden Aussagen des IPCC könnten sich als falsch erweisen - Irrtümer hat es in der Wissenschaft schon früher gegeben. Doch um die derzeitigen Einschätzungen des IPCC zu erschüttern, müssten konkrete neue Daten und Ergebnisse vorgelegt werden - Medienauftritte sind dazu nicht geeignet.

Die Elbflut zeigt: Es geht beim globalen Klimawandel nicht um eine rein akademische Diskussion. Daher hat jeder Klimawissenschaftler eine große Verantwortung, wenn er sich öffentlich äußert. Eine falsche, auch eine zu lange hinausgezögerte Klimaschutzpolitik kann Menschenleben kosten.
 
 

Redaktion:
Germanwatch e.V.
Dr. M. Treber (V.i.S.d.P.), G. Kier, C.Bals

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