Anstieg der Weltdurchschnittstemperatur nicht mehr mit natürlichen Schwankungen erklärbar

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Anstieg der Weltdurchschnittstemperatur nicht mehr mit natürlichen Schwankungen erklärbar

Hans-Joachim Schellnhuber, der auch Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats Globale Umweltveränderungen der Bundesregierung ist, beschreibt im Klima Kompakt-Interview die Größe der Herausforderung des globalen Klimawandels, und ist dennoch überrascht über die Mutlosigkeit, mit der sie angepackt wird. Er warnt davor, mehr als zwei Grad globale Temperaturzunahme in diesem Jahrhundert hinzunehmen. Weitere prägnante Aussagen von ihm im nachstehenden Interview mit GERMANWATCH:

Prof. Schellnhuber, die 90er Jahre gelten als die heißesten des 20. Jahrhunderts. Kann man schon von Klimaänderung sprechen?

Wir beobachten in der letzten Dekade in der Tat einen Anstieg der Temperatur. Aber da sich Klima – anders als das Wetter – erst aus der atmosphärischen Situation über einen langen Zeitraum von mindestens 30 Jahren ergibt, kann man deshalb noch nicht von Klimaänderung sprechen. Langfristige Untersuchungen unter Berücksichtigung der letzten tausend Jahre zeigen allerdings, daß sich seit 1950 die Temperaturkurve signifikant nach oben bewegt. Dies kann nicht mehr mit irgendeiner Form von natürlicher Variabilität erklärt werden.

Die UN-Klimaverhandlungen gehen langsam voran. Warum ist man beim Ergreifen von Maßnahmen gegen das Ozonloch so viel entschiedener vorgegangen?

Vom wissenschaftlichen Standpunkt aus betrachtet verhielt es sich bei der Ozonproblematik genau umgekehrt wie mit der Klimaerwärmung. Die Theorie, wie es zum Ozonloch über der Antarktis kommen konnte, war so unendlich kompliziert und so umstritten, daß die wenigsten diese Theorie ernst genommen hätten. Dann hat man gemessen, daß das Ozonloch über der Antarktis aufreißt. Man wurde direkt mit der Nase darauf gestoßen und dachte trotzdem noch eine Zeitlang, das Ozonloch würde nicht weiter wachsen. Beim menschgemachten Treibhauseffekt ist es genau umgekehrt: Die Grundlagen sind sehr einfach, und sehr viel Physik müßte falsch verstanden worden sein, wenn diese Theorie nicht bestätigt würde. Aber wir können den Effekt nicht als einen sprunghaften, als ein irgendwie geartetes Aufreißen beobachten. Wir sehen einen Trend, aber der endgültige Beweis kann erst kommen, wenn wir das Problem bereits aus dem Griff verloren haben.

Kyoto-Wald ist ein Ablenkungsmanöver

In das Kyoto-Protokoll ist auch das Anpflanzen von Bäumen, die als sogenannte Kohlendioxid-Senken wirken, auf Betreiben vor allem der USA als Maßnahme zur Verminderung der Emissionen aufgenommen worden. Ist das vernünftig?

Die Einführung des "Kyoto-Waldes" hat den gesamten Prozeß auf den falschen Pfad geführt. Viele Studien weisen darauf hin, daß die Wälder, mit Hilfe derer man zusätzlich Kohlendioxid aus der Atmosphäre aufsaugen möchte, mit der globalen Erwärmung möglicherweise sogar zu Kohlendioxid-Quellen werden könnten. Durch die höheren Temperaturen wird die kurzfristige Kohlendioxid-Bindung durch Aufforstung sehr schnell wieder durch erhöhte Atmung der Wälder und den Zusammenbruch von Wald-Ökosystemen kompensiert. So gesehen hat die Option Aufforstung keine strategische Bedeutung für die Lösung des Klimaproblems.

Mit welchen Klimaänderungen müssen wir in diesem Jahrhundert rechnen?

Es sieht so aus, daß man ein bis zwei Grad Temperaturerhöhung hinnehmen muß. Das wird nicht mehr zu verhindern sein. Aber die Empfehlung muß lauten, über dieses Fenster nicht hinauszugehen. Das heißt, daß man die Emissionen weltweit bis zum Ende des Jahrhunderts halbieren muß. Für die Industrieländer bedeutet das mit Sicherheit eine Reduktion um rund 80 Prozent. Dann haben wir zwar immer noch eine Klimaänderung, aber es wird im beherrschbaren Rahmen bleiben.

Heißt beherrschbar, daß es keine Leidtragenden der Erwärmung geben wird?

Leider nicht. Wir gehen davon aus, daß bestimmte Ökosysteme, etwa am Kap der Guten Hoffnung oder auf einigen Inseln, ausgelöscht werden.

Sie befinden sich alle in einem relativ schmalen Saum, der keine Anpassungswanderung zuläßt.

Erstaunt über die Mutlosigkeit

Bei 80 Prozent Reduktion rutscht Ihnen nicht das Herz in die Hose?

Nein! Man darf es ja kaum aussprechen, aber ich bin manchmal erstaunt über die Mutlosigkeit, mit der an das Klimaproblem herangegangen wird. Wir reden immerhin von einem Jahrhundert. Wenn wir rekonstruieren, wie unsere technische Welt vor einem Jahrhundert ausgesehen hat, dann will man doch glauben, daß man durch neue Techniken den Einsatz fossiler Brennstoffe auf ein Fünftel drücken könnte. Es wäre extrem konservativ anzunehmen, daß so ein Faktor nicht drin wäre.