Raus aus der Destabilisierung durch fossile Energien

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Raus aus der Destabilisierung durch fossile Energien

Wie der Kampf um Öl und Gas sowie der Klimawandel zu den Krisen in Irak und Syrien beitragen
Weitblick-Bild 3/16: Pipelines in Nahost

(Eigene Darstellung nach oil-price.net)

Diesen Sommer hat die britsche Regierung im mehr als 6.000 Seiten starken „Chilcot Report 2016“ amtlich dokumentiert, was laut interner Analyse des britischen Außenministeriums 2001 als „fundamentale Interessen“ Großbritanniens im Vorfeld des Irak-Krieges identifiziert wurde: Erstens die Gefährdung der regionalen Stabilität durch die Befürchtung von Massenvernichtungswaffen – bei denen sich später herausstellte, dass sie auf falschen Geheimdienstinformationen beruhten. Zweitens aber die eigene „Energiesicherheit“, da die Region um den Irak über 66 Prozent der globalen Ölreserven verfüge. Nach kurzer Zeit der einzige belastbare Kriegsgrund.

Syrien und fossile Machtinteressen

Umstritten ist die Rolle der fossilen Energien für die Eskalation des Konfliktes in Syrien. 2009 war das größte bisher bekannte Erdgas-Feld der Welt im Persischen Golf entdeckt worden. Das „South Pars/North Dome”-Gasfeld erstreckt sich von der Küste Katars quer über die gesamte Breite des Meeresarms. Gut zwei Drittel des Felds gehören zum sunnitischen Katar, der Rest zum schiitischen Iran.

Der syrischen Regierung kam bei der Pipeline-Planung eine strategisch zentrale Rolle zu: Zunächst wurde der Transport des Gases von Katar aus über Saudi-Arabien, Jordanien und Syrien bis in die Türkei geplant, um dann eine Verbindung zur Nabucco-Pipeline in Richtung Europa herzustellen. Diese Route hätte die EU unabhängig von russischem Gas gemacht – und dies zu günstigeren Preisen. Syriens Staatschef Assad hat dem Projekt letztlich allerdings eine Absage erteilt – aus Rücksicht auf den russischen Verbündeten. Russland als wichtigster Gaslieferant nach Europa befürchtete, die Pipeline würde ihre marktbeherrschende Stellung in Europa demontieren.

Assad stimmte schließlich in enger Abstimmung mit Moskau einer anderen Gaspipeline zu, die von der iranischen Seite des Gasfeldes über den Irak, Syrien und den Libanon ans Mittelmeer führen würde – um dann mit den russischen Pipelines verbunden zu werden. Manche Beobachter, wie etwa die Wirtschaftswoche, kommentierten im September 2015: Diese Verhandlungen mit Russland „besiegelten dann das Schicksal des Assad-Regimes“. Nach Informationen der Financial Times soll Katar im 2011 ausgebrochenen syrischen Konflikt allein in den zwei Jahren bis Mitte 2013 die Rebellen in Syrien mit rund drei Milliarden Dollar unterstützt haben. Manche Kommentatoren sehen einen Zusammenhang zwischen diesen Zahlungen und dem geplatzten Pipeline-Deal.

Klimawandel als Risikoverstärker

Aber auch der Klimawandel durch die Verbrennung von Kohle, Öl und Gas wird zunehmend zu einem Risikoverstärker. Eine Studie des Stimson Zentrums für Klima und Sicherheit sieht den Arabischen Frühling als Beispiel dafür, wie der Klimawandel politische Krisen anfacht: Der extreme Sommer 2010 und die in die Höhe schnellenden Weizenpreise fütterten den Aufstand in Nahost. In Russland, der Ukraine und Kasachstan herrschte Dürre, in Kanada vernichtete starker Regen ein Viertel der Weizenernte. Dann kam die Jahrhundertdürre in China hinzu. Russland stellte alle Exporte ein, während Peking Weizen aufkaufte. Für die devisenarmen Diktaturen in Nahost war – anders als für das an Devisen reiche China – die folgende Verdoppelung der Weizenpreise verheerend. Die neun größten Weizenimporteure befinden sich im Nahen Osten. Sieben von ihnen erlebten im Jahr 2011 blutige Unruhen.

Der Klimawandel spielte auch im syrischen Konflikt neben dem Zugang zu fossilen Energien eine bedeutende Rolle: Die NASA sprach von der „längste[n] Dürreperiode seit 900 Jahren“ in der MENA-Region und Teilen Südeuropas. Sie sei nicht nur länger, sondern auch um 50 Prozent trockener als alle Dürreperioden der vergangenen 500 Jahre – und lag damit deutlich außerhalb der natürlichen Variabilität. In Syrien verendeten zwischen 2006 und 2011 rund 85 Prozent der Herden, 800.000 Bäuerinnen und Bauern verloren ihren Lebensunterhalt, drei Millionen SyrerInnen rutschten in die Armut ab und zogen in die überbevölkerten Städte. Zusätzlich zu der rund einen Million Iraker, die vor dem Chaos im eigenen Land geflohen waren. An der politischen Vernachlässigung der ländlichen Regionen, wie z. B. einer ausgebliebenen Landreform, entzündete sich der Ärger in den Regionen, in denen der syrische Aufstand begann; die „Dürre verschärfte die Situation noch“ analysiert Günter Meyers, Leiter des Zentrums für Forschung zur arabischen Welt der Universität Mainz, diese Dimension in einem komplexen Ursachengeflecht.

Ohne Zweifel: Mit Partnern wie Saudi-Arabien, Katar, Russland, den USA und China ist es auch kein friedenspolitischer Spaziergang, den Abschied von fossilen Energieträgern zu organisieren. Aber wenn die Welt weiter auf fossile Energieträger setzt, setzt sie auf Destabilisierung. Es gilt, Strategien zu entwickeln, die Energie- und Klimasicherheit für bisherige Import- und Exportstaaten fossiler Energien verbinden.
 

Christoph Bals & Vera Künzel


Spielten die verschiedenen geplanten Pipeline-Routen vom „South Pars/North Dome“- Gasfeld Richtung Europa eine Rolle bei der Eskalation des Syrien-Konflikts?
(Eigene Darstellung nach oil-price.net)

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