Mutiert das Kohleausstiegs- zum Windausstiegsgesetz?

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Mutiert das Kohleausstiegs- zum Windausstiegsgesetz?

Ein Kommentar von Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer von Germanwatch

In den nächsten Tagen werden Bundesregierung und dann Parlament und Bundesrat wichtige Zukunftsentscheidungen über die Energiewende treffen. Der seit Mitte November vorliegende Entwurf für das Kohleausstiegsgesetz hat nun das Potential, die Energiewende zu torpedieren. Das Bundeswirtschaftsministerium, das diesen Entwurf federführend geschrieben hat, übernimmt nach Personalneubesetzungen immer mehr die Rolle, die Energiewende auszubremsen:

  • Es gibt kein wissenschaftliches Szenario für Deutschland, den Stromverbrauch ohne massiven Zubau von Windenergie, auch an Land, auf 100 Prozent Erneuerbare Energien umzustellen. Die nun im Entwurf vorgesehene Abstandsregel von 1.000 Meter zu allen Siedlungen von fünf und mehr Gebäuden, würde den Neubau von Anlagen praktisch zum Erliegen bringen und den Ersatz alter durch neue, bessere Anlagen stark ausbremsen. Die Erneuerbaren-Energien-Ziele für 2030 – 65 Prozent des Strombedarfs – lassen sich so nicht erreichen. Auch für die Zukunftsindustrie Windenergie ist das ein Desaster. 2017 verlor Deutschland 26.000 Arbeitsplätze in der Windbranche. Dieses Jahr haben die hierzulande produzierenden Windanlagenhersteller Enercon und Siemens Gamesa Massenentlassungen angekündigt.
  • Mit einem Taschenspielertrick will das Wirtschaftsministerium die Lücke für das 65-Prozentziel für Erneuerbare Energien im Stromsektor bis 2030 kleinrechnen. Der Stromverbrauch soll sich bei 590 Terawattstunden – dem gleichen Bruttostromverbrauch wie 2019 – stabilisieren. Und das, obwohl fast alle Expert_innen durch den vermehrten Einsatz von Elektromobilität und Wärmepumpen sowie die Dekarbonisierung der Industrie mit steigender Nachfrage nach Strom rechnen. Logische Konsequenz, um die Energieziele zu erreichen, müsste eine deutliche Verschärfung der Effizienzziele sein. Doch das Wirtschaftsministerium will ganz im Gegenteil das Effizienzziel für 2030 von 30 Prozent auf 28 Prozent heruntersetzen.

Das Kohleausstiegsgesetz sollte so auf keinen Fall von Kabinett und Bundestag verabschiedet werden. Innerhalb der Ressortabstimmung muss der Artikel 2 zu Abstandsregeln komplett gestrichen werden. In Bezug auf den Kohleausstieg müssen in Artikel 1 die Einzelpunkte so Ostrowernachjustiert werden, dass der Kohlekompromiss eins zu eins umgesetzt wird.

Angesichts der Krise der Windkraft und ihrer strategischen Bedeutung für die Energiewende fordert Germanwatch mit anderen Verbänden eine Kommission „Zukunft der Wirtschaft, Erneuerbare und Beschäftigung“ einzusetzen. Diese sollte die Zukunft der Erneuerbaren Energien – insbesondere der Onshore-Windkraft – und die von der Klimakrise, von der Windkrise, aber auch vom Ausbau betroffenen Regionen und die Sorgen der Menschen zum Thema haben.

Windräder

Foto: Unsplash/Gonz DDL

Germanwatch begrüßt, dass die Umweltverbände und die Klima-Allianz mit ihren über 120 Mitgliedsverbänden aus allen Bereichen der Zivilgesellschaft energisch das Ausbremsen dieser Zukunftsenergie kritisieren. Genauso entschieden protestieren der Deutsche Gewerkschaftsbund, die Industrie- und Energieverbände BDI und BDEW und die Unternehmen der Stiftung 2°. Alle diese Akteur_innen haben große Sorgen um die Volkswirtschaft und zukunftsfähige Arbeitsplätze. Erwartbar wird das Thema auch bei den Großdemonstrationen für den Klimaschutz am 29. November eine wichtige Rolle spielen. Die Ressortabstimmung soll wenige Tage später, am 3. Dezember, die erste Lesung im Bundestag vermutlich am 12. Dezember kommen. Wird dann die Bundesregierung während des ebenfalls im Dezember stattfindenden chilenischen Klimagipfels in Madrid tatsächlich die Grundlage dafür legen, die Klima- und Energieziele des Pariser Abkommens zu verpassen?

Christoph Bals