Countdown für Cancun

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Countdown für Cancun

 

Im September sollen in Cancun (Mexiko) weitreichende globale Handelsabkommen im Gesamtpaket verabschiedet werden. Umweltund Entwicklungsorganisationen, Gewerkschaften, Kirchen und weitere Gruppen sind mehr als unzufrieden mit den Vertragsentwürfen, die bisher bei der Welthandelsorganisation WTO vorgelegt wurden, und warnen ihre Regierungen vor weitgehend unkontrollierter Liberalisierung. Auch untereinander sind die 109 WTO-Länder zerstritten: Fristen, bis zu denen man sich einigen wollte, sind ergebnislos verstrichen. Rhetorisch wird gern auf die laufenden Verhandlungen als "Entwicklungsrunde" verwiesen, aber praktisch werden die Entwicklungsländer auf der WTO-Ministerkonferenz in Cancun über den Tisch gezogen. Das liegt sowohl an den Inhalten als auch an den Strukturen: Während reiche Länder einen riesigen Tross von Unterhändlern, Anwälten und Beratern zu den Verhandlungen schicken, können arme Staaten oft nur ein oder zwei Personen entsenden, denen im Verhandlungsmarathon die Puste ausgeht. Hier ein Überblick über die wichtigsten Mechanismen und Verhandlungsteile:

Landwirtschaft: EU-Exportsubventionen nicht angetastet

Germanwatch und unzählige weitere Nichtregierungsorganisationen (NGO) aus Nord und Süd lehnen den Agrar-Vertragsentwurf als völlig unzureichend ab. Export-Dumping und der wachsende Einfluss transnationaler Agrar-Konzerne zu Lasten bäuerlicher Strukturen werden nicht einmal thematisiert. Vorschläge von Entwicklungsländern zur Umstrukturierung des Abkommens werden ignoriert.

Fazit: Ein Agrar-Konzept ohne "Biss" (vgl. Germanwatch-Zeitung 1/2003)! Nichtregierungsorganisationen waren erleichtert, als die Einigungsfrist für die Vorschläge von WTO-Agrarleiter Harbinson im März ergebnislos verstrich. Aktuell könnte es auf einen Deal zwischen EU und USA hinauslaufen. Konsequenz: Nur minimaler Abbau von handelsverzerrenden Agrarbzw. Export-Subventionen. Germanwatch kritisiert die starre Haltung der EU in diesem Punkt: Während die EU relativ starr an ihren Agrar-Subventionen festhält, wird aber von Entwicklungsländern gefordert, die Einfuhrzölle zu senken, wodurch die lokalen Märkte schutzlos den subventionierten EU-Lebensmitteln ausgeliefert sind. 1999 exportierte die EU Agrarerzeugnisse im Wert von 17,57 Mrd. Euro in Entwicklungsländer - über ein Drittel der Gesamtagrarexporte!

Germanwatch ist im Agrarbereich nicht völlig gegen Subventionen, sondern für ihren gezielten Einsatz, um den Agrarwandel (für eine nachhaltige Landwirtschaft) zu fördern. Aber sie dürfen nicht dazu führen, dass beim Export der künstlich verbilligten Lebensmittel in Entwicklungsländer die dortigen Märkte zerstört werden. Das Thema Agrarhandel ist ein Germanwatch-Schwerpunkt, mehr Infos unter Germanwatch: Welternährung.

Dienstleistungsabkommen (GATS) - Geheimpapier der EU veröffentlicht

Hier wird die Liberalisierung sämtlicher Serviceleistungen verhandelt, von denen viele bislang in der Öffentlichen Hand lagen: Gesundheit, Bildung, Kultur, Energie- und Wasserversorgung. Jeder Staat muss eine "Positivliste" von Bereichen vorlegen, in denen er Liberalisierung - und damit in der Folge auch Privatisierung - zulassen will, sowie konkrete Forderungen an andere Länder stellen. Ende April legte die EU ihre Liste vor. Der deutsche Bundestag hat ernste Vorbehalte und will die Arbeitsmarkteffekte prüfen, bevor international bindende Zusagen gemacht werden. Kritisiert wird auch die unakzeptable Informationspolitik der EU-Kommission: Die Forderungen der Europäischen Union an die übrigen Staaten der Welt waren geheim, bis ein kanadisches Institut sie im Februar veröffentlichte. In diesen Geheimpapieren fordert die EU u.a. von 72 WTO-Staaten, die Trinkwasserversorgung zu liberalisieren. Dieser Bereich war bisher noch gar nicht als eigenständige Kategorie im GATS erfasst. Viele Entwicklungsländer haben den Einsendeschluss für eine Antwort auf die Liberalisierungsforderungen verstreichen lassen.

Geistiges Eigentum (TRIPS) - Zugang zu wichtigen Medikamenten

Das TRIPS-Abkommen regelt den Schutz geistigen Eigentums, u. a. Urheberrechte, Marken, geographische Angaben und Patente. Entwicklungsländer fordern freien Zugang zu essentiellen Medikamenten (gegen Malaria, Tuberkulose etc.), die USA blockieren und wollen Arzneimittelpatente nur bei ganz wenigen Krankheiten freigeben. Dies ist ein Schlüsselereignis, das Entwicklungsländer ausgesprochen verärgert hat.

Investitionsabkommen und weitere neue Verhandlungsfelder geplant

Die EU streitet mit zahlreichen Entwicklungsländern darüber, ob in Cancun über folgende neue Themen verhandelt werden darf: Wettbewerb, öffentliches Beschaffungswesen sowie Investitionen.

Um den Widerstand gegen ein Investitions-Rahmenabkommen zu überwinden, legte die EU im April ein Konzept vor, in dem sie, analog zum Dienstleistungsbereich, eine Positivliste vorschlägt: Entwicklungsländer könnten gezielt Sektoren öffnen bzw. aus Schutzgründen geschlossen halten. Europäische Entwicklungsorganisationen, darunter Germanwatch, wiesen den EUVerhandlungsführer Pascal Lamy darauf hin, dass die WTO kein Mandat zur Aufnahme dieser neuen Verhandlungen habe. Wir befürchten außerdem, dass ein Investitionsabkommen einseitig die Rechte der Investoren schützen wird, während ihre Pflichten zur Einhaltung sozialer und ökologischer Mindestanforderungen nicht festgeschrieben werden. Diese Regeln sollten außerhalb der WTO festgelegt werden. Also: Keine neuen Themen in die WTO!

Rainer Engels
 

 

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