BSE, EU-Agrarpolitik und Welthunger

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BSE, EU-Agrarpolitik und Welthunger

Die BSE-Krise als Chance begreifen

 

"Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch" gibt uns der Dichter Hölderlin in Sachen BSE-Krisenbewältigung mit auf den Weg. Und in der Tat, der Begriff "historische Chance" ist wohl angebracht, wenn es um die längst fällige "Wende" in der Verbraucherschutz- und Agrarpolitik geht. Denn was in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts zum Zwecke der Versorgung der westeuropäischen Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und zur Verbesserung der Lebensmittelqualität durchaus Sinn machte – nämlich gesteigerte Produktion zu immer günstigeren Preisen - hat sich in den letzten Jahren immer mehr gegen Produzenten und Verbraucher gewandt. BSE ist das Ergebnis einer marktfremden, fehlsubventionierten Agrarpolitik, die das Streben des Staates nach möglichst niedrigen Lebensmittelpreisen mit den entsprechenden Auswirkungen auf Erzeugung und Qualität jederzeit mitgetragen hat.

An Schuldzuweisungen in Sachen BSE und verfehlter EU-Agrarpolitik fehlt es in diesen Wochen ebenso wenig wie an mehr oder weniger unbrauchbaren Ratschlägen. Lobbyisten nutzen die Krise auf ihre Weise. Dennoch, die Neustrukturierung und vor allem die Neubesetzung des jetzigen Verbraucherschutz- und Agrarministerium in Berlin lässt aufhorchen. Und auch wenn nach einer politischen Entscheidung noch nie Argwohn und Hoffnung so nah beieinander lagen; Renate Künast braucht jetzt gute Berater/-innen mit zukunftsfähigen Konzepten.

Der Löwenanteil der Arbeit liegt sicher auf europäischer Ebene. Zwar kann Agrar-Kommissar Franz Fischler nun darauf hoffen, dass Deutschland in Sachen umwelt- und sozialverträgliche Landwirtschaftspolitik die Bremserrolle der vergangenen Jahre aufgibt, oberste Priorität der zukünftigen politischen Initiativen hat trotzdem die weitestgehende Harmonisierung der Arbeits-, Sozial-, Finanz- und Umweltgesetzgebung auf europäischer Ebene und nicht die Agarpolitik.

Die agrarpolitischen Konzepte für eine zukunftsfähige Landwirtschafts- und Verbraucherschutzpolitik in der EU liegen längst in der Schublade. Sie waren Bestandteil der Diskussion vor zwei Jahren um die AGENDA 2000, die Reform der gemeinsamen europäischen Agrarpolitik (GAP). Schon zu der Zeit fanden sie aber kaum Gehör, weil Agrarlobbyisten wie der Deutsche Bauernverband anderes im Sinn hatten. Fernab jeder Realität machten sich diese Damen und Herren für eine Verhinderung der Agrarreform stark. Die internationalen (Agrar)Handelsregeln der WTO, Osteuropaerweiterung und der allseits beklagte Subventionsdschungel schienen keine Rolle zu spielen. So wurde die Chance der Mitgestaltung vertan.

Trotz einer Fülle ungeklärter Fragen im Zusammenhang mit der EU-Erweiterung steht die "Marschrichtung" fest: Weg von den produktionsorientierten Subventionen hin zu einer Förderung, die die Kriterien Naturverträglichkeit, Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und soziale Belange in den Vordergrund rückt und nachhaltig ist. Das bedeutet, dass die mit der AGENDA 2000 im Rahmen der GAP geschaffenen Instrumente zur Förderung einer umweltgerechten und sozialverträglichen Landwirtschaft konsequent umgesetzt und weiterentwickelt werden müssen. Hier muss der Schwerpunkt vor allem auf der Stärkung der sogenannten 2. Säule der EU-Agrarpolitik, der Förderung des ländlichen Raumes, liegen.

Im Mittelpunkt der Weiterentwicklung der GAP stehen dabei zwei Schwerpunkte: 1. Die Extensivierung der Produktion und 2. die Umwandlung von Subventionen in Ausgleichszahlungen (in der Fachsprache cross compliance und Modulation genannt), die an Umweltauflagen gebunden sind. Die Mitgliedsstaaten müssen ökologische Mindestkriterien festlegen, die alle Landwirte einzuhalten haben, wenn sie ihre Einkommensbeihilfen in Anspruch nehmen wollen. Für die Übernahme bestimmter ökologischer Aufgaben werden Landwirte als Dienstleister in diesem Bereich mit "Agrarumweltzahlungen" belohnt. Die Bindung von Ausgleichszahlungen an die Intensität der Beschäftigung im Unternehmen ist z.B. eine konkrete Möglichkeit, Extensivierung der Produktion voranzubringen und umzusetzen. Dies ist aus gesellschaftspolitischer Sicht nicht nur das "Gebot der Stunde", dieses Modell hat auch den Charme, der Groß-vs.-Klein-Diskussion die Grundlage zu entziehen. Denn Produktion auf Weltmarktpreisniveau funktioniert nur auf höchster Rationalisierungsstufe – wer so wirtschaftet, benötigt keine Ausgleichszahlungen! Andererseits erhalten Landwirtschaftsbetriebe in benachteiligten Gebieten eine Chance, wenn sie die arbeitskraftaufwendige Veredlung in der Region halten. Und das kann unabhängig von ihrer Größe geschehen und ist eine Voraussetzung für Kreislaufwirtschaft, flächendeckende Landwirtschaft und regionale Erzeuger- und Vermarktungsstrukturen.

Die eigentliche Herausforderung für die Reform der GAP bildet jedoch der Beitritt der mittel- und osteuropäischen Länder zur EU. Auch hier ist das Jammern seitens der Agrarpolitik vergebens, die Industrie hat entschieden, und politisch ist die Erweiterung Europas allemal sinnvoll. Bisher fehlt ein zukunftsfähiges Konzept der gemeinsamen Agrarpolitik der 25. Die Beschlüsse zur AGENDA 2000 versagen den Beitrittsländern die in der EU üblichen Kompensationszahlungen mit Argumenten, die sich durch den Beitritt erledigen werden. Klar ist, dass sich die Logik der bisherigen Gemeinsamen Agrarpolitik nicht auf die Beitrittsstaaten übertragen lässt, dazu fehlt das Geld. Klar ist aber auch, dass man in der EU der 25 nicht zweierlei Agrarpolitik machen kann. Somit ist die EU-Erweiterung ein weiterer Grund für eine Neuorientierung in der Agrarförderung. Dabei decken sich die Lösungsvorschläge mit den oben bereits beschriebenen decken: Stärkung des ländlichen Raumes anstatt produktionsorientierten Subventionen.

Das alles hat vor der "dritten Dimension", nämlich den internationalen Agrarhandelsregeln, den WTO-Verhandlungen und der Verantwortung gegenüber den zu entwickelnden Staaten zu erfolgen. Der Hunger auf der Erde ist auch Ventil und mit verursacht durch die Unausgewogenheit unserer Agrarpolitik. Wir müssen uns jetzt dafür einsetzen, dass die neue Agrarpolitik auch hier in die Zukunft gerichtete Akzente setzt und zu nachhaltiger Landwirtschaft und Ernährungssicherheit weltweit ihren Beitrag leistet.

Frank Augsten
 

 

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