Genug Nahrung für neun Milliarden Menschen

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Genug Nahrung für neun Milliarden Menschen

Ein Kurswechsel in der Agrarpolitik ist notwendig

Jedes fünfte Kind, das heute zur Welt kommt, wird hungrig aufwachsen. Seit Mitte der 1990er Jahre stieg die Zahl der Mangelernährten um mehr als 100 Millionen. Und das obwohl die Landwirtschaft durchschnittlich täglich 4.600 Kilokalorien pro Kopf produziert – etwa doppelt so viel wie nötig.

Im Jahr 2050 wird die Weltbevölkerung von heute sieben auf mehr als neun Milliarden angestiegen sein. Um Hunger und Armut effektiv zu vermindern, muss sich die Nahrungsmittelproduktion zukünftig in Entwicklungsländer verlagern. Auch der wachsende Konsum von Fleisch und anderen tierischen Produkten bedarf einer Anpassung: Für eine einzige Fleischkalorie braucht es zwei bis sieben Getreidekalorien als Viehfutter.

Indessen gehen Agrarressourcen verloren: Fast 40 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Böden sind bereits degradiert. In vielen Regionen herrscht Wasserknappheit, Artenvielfalt nimmt ab und die Folgen des Klimawandels werden die Erträge der Agrarwirtschaft empfindlich schrumpfen lassen. Gleichzeitig stößt die Landwirtschaft ein Drittel der globalen Treibhausgase aus und ist somit selbst einer der Hauptverursacher des Klimawandels.

Fehlgeleitete Agrarpolitik

Auslöser dieser Probleme sind nicht zuletzt Fehler der Agrarpolitik. Zu lange wurde ein industrialisiertes Modell gefördert, das – mit wenigen, ertragreichen Sorten und unter hohem Einsatz von Dünger, Wasser und Pestiziden – maximalen Ertrag aus den Böden herausholte, ohne Rücksicht auf ökologische Folgen. Das brachte zwar höhere Erträge, verminderte aber die Fruchtbarkeit der Böden und zerstörte somit langfristig seine eigene Grundlage.

Der Erdgipfel im Juni (Rio+20) bietet die Chance für einen Kurswechsel. Mit Blick auf den Gipfel veröffentlichte das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) den „Green Economy Report“. Der Bericht fordert, 0,16 Prozent des globalen Bruttosozialproduktes – etwa 198 Milliarden US-Dollar – in die Landwirtschaft fließen zu lassen. Die Gelder sollen genutzt werden, um Böden zu regenerieren, Bauernhöfe mit abwechslungsreichen Feldfrüchten und Tierbestand zu fördern, effiziente Bewässerungssysteme und biologische Schädlingsbekämpfung einzuführen, Kleinbauern den Zugang zu Bildung, Information und Märkten zu erleichtern sowie die Verluste zwischen Ernte und Konsum zu reduzieren.

Die Autoren des Berichts untersuchten die unter diesen Voraussetzungen erwartete landwirtschaftliche Entwicklung bis 2050 und vergleichen sie mit einem Szenario, in dem die derzeitige Agrarpolitik unverändert fortgeführt wird. Die Überlegenheit des nachhaltigen Szenarios ist beeindruckend: Die Nahrungsmittelversorgung erhöht sich von 2.800 auf ausreichende 3.380 Kilokalorien pro Kopf; 47 Millionen Arbeitsplätze in ländlichen Regionen entstehen und verringern effektiv Armut; weniger Wasser als heute wird benötigt und die Landwirtschaft sollte im Jahr 2050 keine Treibhausgase mehr ausstoßen.

Angesichts von Rio+20 ist nun eine breite Allianz zu schmieden mit dem Ziel, dass die Staatengemeinschaft ein Aktionsprogramm für einen entsprechenden Kurswechsel in der Agrarpolitik beschließt. Darüber hinaus sollte bei der Konferenz ein dauerhaftes, regelmäßiges und partizipatives Bewertungsverfahren für den Agrarbereich unter der Führung des Committee on World Food Security (CFS) vereinbart werden, um regelmäßig Regierungen, UN-Organisationen und Weltöffentlichkeit über neue Strategien in der nachhaltigen Landwirtschaft, Lebensmittel- und Ernährungssicherheit zu informieren. Es ist Zeit zu handeln – der neue Kurs muss jetzt gesetzt werden!

 

Hans Rudolf Herren, Präsident des Millennium Institute, Washington, und von Biovision – Foundation for ecological development
(Übersetzung: Daniela Baum)