Blogpost | 02/07/2019

Nur ein Vorgeschmack auf eine noch wärmere Welt

In Afrika toben Wirbelstürme, in Sibirien drohen unterirdische Methanblasen zu explodieren. Doch der Staatengemeinschaft ist die Klimakrise nur zähe Diskussionen wert.
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Die zehntägigen UN-Klimaverhandlungen in Bonn sind am Donnerstag zu Ende gegangen. Erneut hat es keinen ausreichenden Konsens aller Staaten gegeben, in Zukunft eine ehrgeizigere Klimapolitik zu verfolgen, kritisiert die Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch. Das Verhandlungstempo der Staatengemeinschaft für eine entschlossene Umsetzung des Pariser Klimaabkommens sei deutlich zu langsam, schreiben die Autoren in diesem Gastbeitrag. Christoph Bals ist politischer Geschäftsführer von Germanwatch, Vera Künzel und Laura Schäfer arbeiten als Referentinnen für die Umwelt- und Entwicklungsorganisation.

Die vergangenen gut 10.000 Jahre haben wir ein ungewöhnlich stabiles Klima gehabt. In dieser Zeit sind Landwirtschaft und Hochkulturen entstanden. Nun sind wir aber dabei, dieses Zeitalter zu verlassen. Denn klar ist, seit es Menschen auf der Erde gibt, war das Klima niemals so warm, wie es jetzt gerade wird. Die Gefahr, Kipppunkte im Klimasystem zu überschreiten, steigt deshalb an. Werden diese Schwellen überschritten, werden irreversible und sich selbst beschleunigende Veränderungen in ganzen Ökosystemen in Gang gesetzt. Da diese Entwicklungen nicht linear verlaufen, sind die Folgen nicht abschätzbar. Sollte es so weit kommen, würde dies die heutigen Lebensgrundlagen der Menschen massiv gefährden.

Blicken wir zum Beispiel in die Westantarktis, sind wir mit einer extremen Gletscherschmelze konfrontiert. Trifft es das zentrale Eisschelf, würde dies schrittweise einen massiven Meeresspiegelanstieg verursachen. Aber nicht nur das Klima ist im Krisenmodus, auch in der Gesellschaft sind Kipppunkte in Sicht: Seit Monaten demonstrieren Schülerinnen und Schüler sowie Menschen jeden Alters dafür, dass die heute an den Schalthebeln der Macht sitzenden Generationen die Klimakrise nicht eskalieren lassen. Allein am vergangenen Freitag brachte die Fridays-for-Future-Bewegung bis zu 40.000 Menschen in Aachen auf die Straße. 

Was muss noch passieren?

Und was tut sich im Zentrum der internationalen Klimapolitik, während das alles passiert? Bisher lässt sich leider sagen, dass es auch bei den UN-Klimaverhandlungen, die am Donnerstag in Bonn endeten, keine entscheidenden Fortschritte gegeben hat. Stattdessen gab es wieder einmal nur zähe und schleppende Diskussionen. Da stellt sich die Frage: Was muss eigentlich noch passieren, damit die Staaten die Klimakrise ernst genug nehmen und entschlossen handeln?

Die Anzeichen für ein Eskalieren des Klimawandels sind nicht mehr zu übersehen. Auf allen Kontinenten, in allen Regionen sind die Folgen zu spüren. In Deutschland wurde gerade erst der Temperaturrekord für den Monat Juni gebrochen. Nahezu zeitgleich aber verursachten in der Schweiz und Italien Stürme, Hagel und Überschwemmungen schwere Schäden.

In Indien wurden diesen Sommer Temperaturen von bis zu 50 Grad gemessen. Die Millionenstadt Chennai plagen Dürre und leere Reservoirs. Die Wasserversorgung wird mit Lastwagen und Zügen sichergestellt. Bis 2020 könnten sechs der größten indischen Städte ohne Wasser sein.

Auch der afrikanische Kontinent ist Wetterkatastrophen ausgesetzt, die hier oft kaum registriert werden. Zwei Wirbelstürme forderten jüngst mehr als 1.000 Todesopfer in Mosambik und Nachbarstaaten. Sie zwangen das sechstärmste Land der Welt dazu, Schulden in Höhe von 118 Millionen US-Dollar aufzunehmen; ausreichende finanzielle Unterstützung für die Folgen von Extremwetterereignissen gibt es nach wie vor nicht.

Wir steuern auf mehr als drei Grad Temperaturanstieg zu

Auch wenn nicht alle extremen Wetterereignisse eindeutig dem menschgemachten Klimawandel zugeordnet werden können, so ist doch klar: Die Wahrscheinlichkeit für Wetterextreme ist gestiegen, und sie werden heftiger. Und dies ist nur ein Vorgeschmack auf eine noch wärmere Welt. Die aktuelle Erwärmung liegt im globalen Durchschnitt bei 1 Grad Celsius, ein Anstieg auf 1,5 Grad Celsius ist schon jetzt unvermeidbar, derzeit steuern wir aber auf mehr als drei Grad Temperaturanstieg zu – und die Auswirkungen durch Kipppunkte sind noch nicht einmal eingerechnet.

Die jüngsten Beobachtungen steigern die Besorgnis, dass wir Kipppunkten näher sind als  bislang angenommen. In Sibirien stehen durch das derzeit rasante Auftauen der Permafrostböden Tausende von unterirdischen Methanblasen quasi vor der Explosion – was zu einem massiven Anstieg des sehr wirksamen Treibhausgases in der Atmosphäre führen würde. In der kanadischen Arktis ist der Boden nach mehreren warmen Sommern in einigen Regionen so stark getaut, wie es die Wissenschaftler eigentlich erst für ungefähr 2090 erwartet hatten. Die atmosphärische CO2-Konzentraition war im Mai dieses Jahres höher als je zuvor in der Menschheitsgeschichte. Warum erhöht sich dann nicht auch das Tempo der UN-Klimaverhandlungen?

Die internationale Staatengemeinschaft hat 2015 gemeinsam bereits wichtige Erfolge erzielt und sowohl die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung als auch das Pariser Klimaabkommen als Grundlage für einen neuen Gesellschaftsvertrag auf den Weg gebracht. Und auf dem jüngsten Klimagipfel im polnischen Katowice hatten sich die Staaten zumindest auf wichtige Regeln zur Umsetzung des Pariser Abkommens geeinigt. Aber diese Umsetzung kommt trotz sinkender Kosten für erneuerbare Energien nicht im notwendigen Tempo voran.

Die Ziele des Pariser Klimaabkommens sind, den globalen Temperaturanstieg unter der "Brandschutzmauer" von 1,5 Grad Celsius zu halten. Dementsprechend sollen also Anpassung an den Klimawandel in allen Sektoren vorangetrieben und internationale Geldströme im Sinne der Eindämmung und Bewältigung des Klimawandels umgelenkt werden. Völkerrechtlich besteht die Pflicht für die Staaten, die Emissionen so schnell auf null zu senken, dass ganz massive Schäden vermieden werden und betroffenen Menschen geholfen wird. Es wäre fatal, wenn die Weltgemeinschaft nicht den Mut findet, das umzusetzen.

Doch sei es im G20-Prozess oder bei den UN-Klimaverhandlungen – einen ausreichenden Konsens aller Staaten zu ehrgeizigerer Klimapolitik gibt es derzeit nicht. Nach wie vor gibt es eine mächtige Lobby, die hinter fossilen Brennstoffen steht und Regierungen, die massiv von ihr beeinflusst werden. Dazu gehören die USA, Saudi-Arabien und Brasilien. Dort wird eher darüber verhandelt, wie man durch schlecht konstruierte Marktmechanismen Schlupflöcher in das Pariser Abkommen einbauen kann, statt darüber, wie das Abkommen effektiver umgesetzt werden kann.

2020 beginnt die Verpflichtungsperiode des Pariser Abkommens

Um Druck auf Staaten auszuüben, lädt UN-Generalsekretär Antonio Guterres am 23. September zu einem Sonderklimagipfel nach New York. Es ist höchste Zeit, neben den konsensorientierten UN-Verhandlungen weitreichende bilaterale Abmachungen mit wichtigen Schwellen- und Entwicklungsländern voranzubringen. Nur so kann den Bremserstaaten gezeigt werden, dass ein Großteil der Staatengemeinschaft ernst machen will mit der notwendigen Transformation. Kooperationen mit Ländern wie Indien, Südafrika und Bangladesch oder Äthiopien könnten zeigen, wie Klimaschutz, Anpassung und Bewältigung der Schäden gelingen können.

Deutschland und die EU sind gefordert, solche Partnerschaften bis 2020 glaubwürdig auf den Weg zu bringen. Grundlage für solche Kooperationen muss das Klimaschutzziel sein, die Umsetzung des 1,5-Grad-Ziels in den Staaten zu erreichen. Für solche Partnerschaften bedarf es finanzieller Mittel, die auch Perspektiven für die deutsche Wirtschaft eröffnet. Es wäre das richtige Signal für das kommende Jahr, in dem die erste Verpflichtungsperiode des Pariser Abkommens beginnt.

(Dieser Beitrag erschien zuerst als Gastbeitrag bei ZEIT ONLINE)

Autor:innen

Christoph Bals, Vera Künzel und Laura Schäfer

Ansprechpersonen

Nombre real

Politischer Geschäftsführer
(bis 15.6.24 in Politischer Fokus-Zeit)

Nombre real

Referentin für Anpassung an den Klimawandel und Menschenrechte

Nombre real

Referentin für Klima-Risikomanagement;
Koordinatorin für Klimaaußenpolitik und G7