Blogpost | 26/11/2021

Ausbauziele von Erneuerbaren Energien auf Kurs für Klimaneutralität gebracht – nun heißt es: „Umsetzen und Kurs halten!“

Analyse des Koalitionsvertrags
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Der Ausbau Erneuerbarer Energien spielt eine zentrale Rolle im energiepolitischen Teil des am Mittwoch vorgelegten Koalitionsvertrag der Ampelparteien. Bis 2030 soll Strom aus Erneuerbaren Energien einen Anteil von 80 % des Strombedarfs erreichen. Bei einem im Koalitionsvertrag für das Jahr 2030 angenommenen Stromverbrauch von insgesamt 680-750 TWh entspricht das einer Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien von 544-600 TWh. Diese Erhöhung ist notwendig und orientiert sich, wie die Grafik zeigt, am oberen Ende der Bandbreite, die von verschiedenen, in den letzten Monaten erschienenen Klimaneutralitäts-Szenarien[1] für das Jahr 2030 aufgespannt wird.

Mit dieser neuen, wissenschaftsbasierten Zielsetzung stellt die Ampel-Koalition den Kurs eindeutig auf Klimaneutralität 2045. Gleichzeitig beginnt nun die Herausforderung diesen Kurs in den kommenden Jahren konsequent umzusetzen und zu halten – auch wenn es schwierig wird. Dafür müssen die Festlegungen des Koalitionsvertrags an einigen Stellen jedoch deutlich weiter konkretisiert werden. Aus Sicht von Germanwatch muss insbesondere dem Naturschutz und der Teilhabe dabei noch konkreter Rechnung getragen werden.

stromerzeugung
Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien in Deutschland: Historische Entwicklung und modellbasierte Klimaneutralitäts-Szenarien. Eigene Darstellung. Datenquellen Studien: siehe Fußnote 1. Historische Daten: BMWi, 2021a. Altes Ziel der Bundesregierung: Siehe §4a EEG. *Summe Stromerzeugung ohne Biomasse und Wasserkraft.

Die Ausbauziele für Photovoltaik (PV) sind mit 200 GW im Jahr 2030 sehr ambitioniert und stellen eine Verdopplung des alten Ziels dar. Dies ist eine große Chance, die Energiewende voranzubringen. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen zum Beispiel Teilhabekonzepte wie Mieter:innenstrom attraktiv gestaltet und großflächig umgesetzt werden. Es stellt sich jedoch die Frage, wie die benötigten Flächen rechtssicher bereitgestellt werden können, da beispielsweise die Installation einer Solaranlage auf dem Dach nur für öffentliche Neubauten in jedem Fall verpflichtend gelten soll. Für private Neubauten soll es „die Regel werden“ – was damit gemeint ist, muss konkretisiert und rechtlich umgesetzt werden. Die finanzielle Beteiligung von Kommunen an PV-Freiflächenanlangen sowie Windenergieanlagen wird im Koalitionsvertrag genannt – für eine gerechte Energiewende muss dies verpflichtend umgesetzt werden.

Wir begrüßen, dass Offshore-Windenergieanlagen in der Meeresnutzung Priorität eingeräumt wird und die europäische Kooperation gestärkt werden soll. Hierbei fehlt im Koalitionsvertrag jedoch ein Dialogformat mit allen relevanten Stakeholdern zur Nutzung der Nord- und Ostsee. Für die Offshore-Windenergie sieht der Koalitionsvertrag den Ausbau auf mindestens 30 GW 2030, 40 GW 2035 und 70 GW 2045 vor. Dies geht jedoch über das in einer Studie des Fraunhofer Instituts für Windenergie und Energiesystemtechnik 2017 berechnete theoretische Potenzial von 57 GW hinaus. Damit ist fraglich, ob diese Ziele überhaupt erreichbar sind. Darüber hinaus stellen sich naturschutzfachliche Fragen bei der Umsetzung, da die Meere derzeit bereits stark überlastet sind. Den Naturschutz gilt es beim Ausbau zu berücksichtigen.

Es ist sehr zu begrüßen, dass im Koalitionsvertrag die bis 2045 dringend notwendige Ausweisung von 2 % der Landesfläche für den Ausbau der Windenergie an Land festgeschrieben wird. Insbesondere der deutlich zu steigernde Ausbau der Windenergie, auch in weniger windhöffigen Regionen, ist ein wichtiges Signal. Die Windenergie in ganz Deutschland wird so richtigerweise als wichtigste Säule der Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien etabliert. Im Gegensatz zu PV und Offshore-Windenergie nennt der Koalitionsvertrag jedoch keine Ausbauziele für die installierte Leistung von Windenergie an Land. Dies wirft insbesondere mit Hinblick auf das Ausschreibungs- und Förderregime nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz Fragen auf und sollte konkretisiert werden. Szenariostudien1 zeigen beispielsweise ein mittleres Ausbauziel von 100 GW bis 2030, was einem jährlichen Zubau von mindestens 7 GW entspricht. Um die Flächen- und daraus ableitbaren Ausbauziele umsetzen zu können, müssen dringend pauschale Abstandsregelungen abgeschafft werden. Zudem muss die Ausweisung von Flächen weiterhin unter Berücksichtigung von Naturschutzstandards geschehen – das gilt sowohl für Windenergie- als auch für PV-Anlagen.

Grundsätzlich enthält der Koalitionsvertrag einige wichtige Punkte zur dringend notwendigen Beschleunigung von Genehmigungsverfahren, wie zum Beispiel personelle Aufstockung von Behörden und Gerichten. Die Beschleunigungsmaßnahmen dürfen jedoch nicht auf Kosten von Artenschutz und Teilhabe der Bürger:innen und der Zivilgesellschaft geschehen. Auch aus diesem Grund begrüßt Germanwatch die geplante Förderung der Bürger:innenenergie sowie die überfällige Umsetzung der EU-Richtlinie zu Energysharing.


 - Eine umfassende Germanwatch-Analyse des Koalitionsvertrages finden Sie hier. -


[1] Fraunhofer, 2021; Ariadne, 2021; Agora, 2021; BDI, 2021; dena, 2021; BMWi, 2021b; UBA 2020a, b

Autor:innen

Kirsten Kleis, Tessa-Sophie Schrader, David Frank, Eva Schmid

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Referentin für Energiewendeforschung