Umdenken! Die Welt braucht die Finanztransaktionssteuer

Wer ein grundsätzliches Umdenken fordert, wird schnell als Spinner oder Querulant verleumdet. So erging es dem amerikanischen Ökonomen James Tobin, als er 1978 den Vorschlag machte, eine Devisentransaktionssteuer einzuführen. Als im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise allerdings klar wurde, welche zerstörerische Energie die nichtregulierten Finanzmärkte entwickelt hatten, war der Boden bereitet - nicht nur für eine Wiederaufnahme der Forderung nach einer Devisen- sondern darüber hinaus zu einer umfassenden Finanztransaktionssteuer. Der vorliegende Artikel behandelt die aktuelle Debatte um die Finanztransaktionssteuer und geht u.a. näher auf ihre Aufgabe, ihre Umsetzung und ihre Chancen zur Annahme ein.

"Umdenken!", fordern Seher und Propheten in den verschiedenen Regionen und Religionen der Erde seit Jahrtausenden immer wieder - meist vergeblich.

"Umdenken!", fordern weitsichtige Denker und Philosophen auch heute noch und "Umdenken!" fordern in und nach Krisen häufig auch nüchterne Ökonomen, manchmal sogar Politiker.

Aber "Umdenken", "Neu Denken" oder "Anders Denken" ist mühsam; mühsam nicht nur für verbohrte einfache Gemüter, sondern auch für gut informierte aufgeschlossene Menschen, die sich durch Zuhören und Lesen, durch Denken, Abwägen und Gedankenaustausch eine fundierte Meinung zu Grundfragen des Lebens gebildet haben. Schließlich kann man nicht jeden Tag immer wieder neu denken; Entscheidungen können nicht Tag für Tag umgestoßen werden. Man würde zum "Schilfrohr im Wind".

Wenn sich Meinungen jedoch so verfestigt haben, dass sie den Charakter von Glaubenssätzen annehmen, die nicht mehr begründet werden müssen, sondern als ewig gültig angesehen werden, dann ist neues Nachdenken dringend geboten. Die Forderung umzudenken kann für den Fordernden allerdings gefährlich sein. Er wird in heutigen Demokratien zwar nicht mehr enthauptet wie seinerzeit Johannes der Täufer, aber die Gefahr, als Spinner oder Querulant verleumdet, als Phantast oder Träumer belächelt zu werden, ist groß.

Tobin und Spahn

So erging es - um endlich zum engeren Thema zu kommen - dem amerikanischen Ökonomen James Tobin, als er 1978 seinen "Vorschlag zu einer Internationalen Finanzreform" vorlegte, den Vorschlag, eine Devisentransaktionssteuer einzuführen. Als der Versuch, den Vorschlag ins Lächerliche zu ziehen, gescheitert war, als er sogar zu einer Gesetzesinitiative in der französischen Nationalversammlung geführt hatte, wurde der Vorschlag von seinen mächtigen Gegnern - auch in Deutschland - als "undurchführbar" abgestempelt (und wenn doch, dann nur durch die Schaffung eines internationalen "bürokratischen Monstrums"). Die Diskussion unter Finanz- und Wirtschaftswissenschaftlern ging zwar weiter, aber in der Politik lief sie sich tot, obwohl der Frankfurter Wirtschaftswissenschaftler Paul Bernd Spahn im Januar 2002 in einer Studie für das BMZ detailliert dargelegt hatte, dass die Tobin-Steuer "machbar" sei. Trotz rot-grüner Mehrheit kam es nicht zu einer Umsetzung. Die Zeit für das erforderliche Umdenken war offensichtlich noch nicht reif, auch nicht bei allen Führungskräften in der SPD.

Der heilsame (?) Schock

Der Kairos, der richtige Zeitpunkt, war erst gekommen, als 2007/2008 die Finanz- und Wirtschaftskrise über uns hereinbrach, die sich seit längerem ankündigende Klimakatastrophe immer bedrohlicher wurde, die Bedrohung unserer Sicherheit durch den internationalen Terrorismus fortdauerte und für die wirtschaftlich weniger entwickelten Länder auch noch die Ernährungskrise hinzukam, welche die Zahl der im Elend lebenden Menschen innerhalb kürzester Zeit noch einmal um etwa 100 Mio. vergrößerte. Als dann klar wurde, welche zerstörerische, manchmal kriminelle Energie die nichtregulierten Finanzmärkte entwickelt hatten, war der Boden bereitet nicht nur für eine Wiederaufnahme der Forderung nach einer (sachlich eingegrenzten) Devisen- sondern darüber hinaus zu einer umfassenden Finanztransaktionssteuer.

Die FTT-Debatte

Das Verdienst, die Debatte nicht nur erneut angestoßen, sondern erweitert und mit belastbaren Zahlen und Daten unterlegt zu haben, kommt dem österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) zu, in dem Stephan Schulmeister, Margit Schratzenstaller und Oliver Picek im April 2008 die grundlegende Studie zum Thema erarbeitet haben (für eine Zusammenfassung durch Stephan Schulmeister, die bei einiger Anstrengung auch für "interessierte Laien" verständlich ist, siehe "Informationsbrief Weltwirtschaft und Entwicklung", Hintergrund, Dezember 2009). Die Studie bildete den Ausgangspunkt für weitere Überlegungen, so auf dem "European Workshop on the Financial Transaction Tax (FTT)" am 9. Dez. 2009 in Köln. Im Austausch und in der Aussprache mit Stephan Schulmeister, den Professoren Rodney Schmidt vom Canadian North-South-Institute, Ottawa und Lieven Denys von der Freien Universität Brüssel sowie etwa 25 weiteren Experten und Interessierten zeigten sich zwar Nuancen in der Einschätzung von Details, aber eine grundlegende Übereinstimmung in den wesentlichen Inhalten, in der Notwendigkeit und Machbarkeit der Einführung einer FTT sowie in der Art der Umsetzung.

Aufgaben

Die FTT hat zwei wesentliche Aufgaben: Sie soll zum einen zur Stabilisierung der Finanzmärkte führen und deren erneute Überhitzung verhindern; zum anderen soll sie Einnahmen generieren, die dringend gebraucht werden zur Erreichung der versprochenen (ODA)-Mittel für die Entwicklungsfinanzierung und für die Erfüllung der Zusagen zur Übernahme der "Klimakosten", also der Kosten im Kampf gegen die Klimaerwärmung und bei der Eindämmung der Schäden durch den nicht mehr vermeidbaren Klimawandel. In jüngerer Zeit werden aber auch immer mehr Forderungen laut, die Einnahmen zum Teil zum Ausgleich der hohen Budgetdefizite in den Industrieländern zu verwenden und außerdem für dringend benötigte, bisher kaum finanzierbare Investitionen in Industrie- wie Entwicklungsländern.

Die Stabilisierung

Schon 1978, zur Zeit der Forderung nach der "Tobin-Tax" waren spekulative Finanztransfers erheblich höher als solche, die mit Bewegungen in der Realwirtschaft verknüpft waren. Bei Ausbruch der Krise waren sie mehr als 70mal so hoch wie das gesamte weltweite Bruttoinlandsprodukt. Die resultierende völlige Überhitzung der Finanzmärkte, die zur Krise führte, hat sich abgekühlt, ist aber inzwischen wieder steigend. Die FTT kann und wird die rein virtuellen (d.h. ohne Bezug zur Realwirtschaft) Transaktionen nach den Berechnungen des WIFO je nach Steuersatz um 10 bis 90% einschränken - bei einem Satz von 0,05% um etwa die Hälfte.

Die Erträge

Das WIFO hat zur Ermittlung der Erträge drei Musterrechnungen durchgeführt, für eine sehr niedrige Steuer von 0,01% (oder 1/10 Promille), 0,05% und für 0,1%, also ein Promille, und die Ergebnisse ins Verhältnis zum Welt-BIP gesetzt. Darauf basierende Schätzungen ergäben - bliebe es bei der Höhe der heutigen Transaktionen - bei einer FTT von 0,05% ca. 400, bei einer zu erwartenden Reduzierung der Transaktionen um die Hälfte immer noch 200 Mrd. (MILLIARDEN!) US$ pro Jahr. Das wäre fast doppelt so viel wie die Summe der zur Zeit aufgebrachten ODA-Leistungen, also der Mittel zur Unterstützung der Entwicklungs- durch die Industrieländer (2008: um 120 Mrd. US$).

Die Verwendung

Es ist jedoch keineswegs sicher, dass die FTT-Erträge, so wie ursprünglich vorgesehen, ausschließlich (oder auch nur überwiegend) für die Finanzierung der wirtschaftlichen Entwicklung der Entwicklungsländer und der Klimakosten zur Verfügung stehen werden. Es muss daran erinnert werden, dass von der nach dem Ende des Kalten Krieges 1989 viel beschworenen "Abrüstungsdividende" für die Entwicklungsfinanzierung kein Pfennig abfiel. Und in Deutschland gingen von den 3 Milliarden DM aus der Erhöhung der Tabak- und Alkoholsteuer zur Terrorismusbekämpfung nach dem 11. September 2001 50% in den Verteidigungs-, 43% in den Innen- und nur 7% in den Entwicklungshaushalt. Hohe neue Einnahmequellen wecken ganz allgemein Begehrlichkeiten bei Finanzministern und Haushältern. Vorsicht ist deshalb auch bei den erwarteten Einnahmen aus der FTT geboten.

Die Umsetzung

Idealerweise sollte eine FTT gleichzeitig weltweit für alle Transaktionen eingeführt werden. Dies zu fordern, wäre wahrscheinlich das schnelle Ende der Überlegungen zu ihrer Einführung. Deshalb formuliert Schulmeister realistischer: "Eine generelle und weltweite Besteuerung von Finanztransaktionen kann nur der Abschluss eines Umsetzungsprozesses in mehreren Etappen sein. In einer ersten Etappe sollten zunächst die Spot- und Derivattransaktionen an Börsen in der EU erfasst werden." Da 99% dieser Transaktionen an den Börsen in London und Frankfurt durchgeführt werden, sei die Einführung schon mit der Teilnahme von Deutschland und Großbritannien möglich. Die Einbeziehung der anderen Finanztransaktionen und die globale Erweiterung könnten später erfolgen. Die Einzelheiten sind wohl noch weiter zu klären, aber dass die Einführung nur in der EU ohne Schaden für Europa möglich wäre, ist in den WIFO-Studien klar nachgewiesen worden.

Zwei Anträge im Bundestag auf guter Grundlage

Wir sind in der glücklichen Lage, dass die obigen Ausführungen nicht nur eine Auseinandersetzung mit dem Thema im vorpolitischen akademischen Raum darstellen, sondern dass sie die - auch ausgiebig zitierte - Grundlage bilden für zwei Anträge, die im Bundestag am 29. Januar 2010 in erster Lesung gemeinsam behandelt und dann in die Ausschüsse (federführend Finanzausschuss) überwiesen wurden (Antrag DIE LINKE, Drucksache 17/518; Antrag SPD, Drucksache 17/527).

Chancen zur Annahme?

In der Debatte wurde deutlich, dass neben den Antragstellern auch die Grünen die Einführung einer FTT grundsätzlich begrüßen. Aber das reicht nicht für eine Mehrheit in den Ausschüssen und in der 2. und 3. Lesung. Die FDP ist strikt dagegen: "Keine neuen Steuern". Ein Umdenken ist hier nicht zu erwarten. Ähnliche Stimmen gab es auch von Unionsabgeordneten.

Erheblich ruhiger und vernunftgeleiteter argumentierten die Haushälter in der CDU/CSU-Fraktion. Eine grundsätzlich positive Einstellung zu einer FTT war herauszuhören (Haushälter mögen zusätzliche Einnahmen). Allerdings betonten sie mehrmals, eine FTT sei nur möglich, wenn sie von vornherein global eingeführt werde. Und weil das nicht zu erwarten sei, sprachen sie sich dagegen aus. Andere meinten, Kleinanleger würden zu stark belastet. Dieses Argument ließe sich bei genauerer Befassung mit dem Thema leicht ausräumen (Einmalige Belastung bei Anlage von 1000 € bei einem Satz von 0,1%, also im Höchstfall: 1 €, bei 0,01% nur 10 Cent).

Es gäbe bei rein ergebnisorientierter Diskussion in den Ausschüssen also durchaus eine Chance, für einen überarbeiteten Entwurf eine Mehrheit zu finden, wäre da nicht die Regierungskoalition, die im Normalfall gemeinsam für oder gegen einen Entwurf stimmt. Wer wird umdenken und sich damit durchsetzen: die Haushälter (auch regional, also auch "nur in EU" möglich), oder die Steuerfundamentalisten in der FDP?

Einige Hoffnungen könnte man auf das CDU-Mitglied setzen, das sich im Einklang mit Gordon Brown und Nicolas Sarkozy mehrfach öffentlich für eine FTT ausgesprochen hat: die Kanzlerin. Sie könnte sich aus Einsicht oder europapolitischen Erwägungen für eine gemeinsame übernationale Zustimmung entscheiden. Allerdings wächst die Gefahr, dass sich die Forderung nach einer bei den Boni beginnenden stärkeren Besteuerung der Banken zu einer gefährlichen Alternative - statt Ergänzung - zur FTT entwickeln könnte.

Umgedacht --> Umgesteuert --> FTT eingeführt !

Eine erneute Krise würde sehr viel unwahrscheinlicher - und die "Welt da unten" erhielte eine Chance.
 

Autor:innen
Dr. Ludger Reuke
Publikationstyp
Artikel