Die Tür für mehr Ambition steht immer offen

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Die Tür für mehr Ambition steht immer offen

Interview mit Patricia Espinosa, der neuen Chefin des Klimasekretariats der Vereinten Nationen (UNFCCC)
Weitblick-Bild 3/16: Patricia Espinosa

Um dem Klimawandel zu begegnen, muss die Menschheit bis zur Mitte des Jahrhunderts aus Kohle, Öl und Gas aussteigen. Was ist die Rolle der UNFCCC im Begleiten einer weltweiten Dekarbonisierung der Wirtschaft?

Die UNFCCC wird die Staaten weiterhin in ihrer Klimapolitik und bei Klimaschutzmaßnamen unterstützen, natürlich insbesondere bezüglich der Pariser Beschlüsse. Das Klimaabkommen von Paris wird in vielerlei Hinsicht ein Leitfaden für eine globale Dekarbonisierung sein.

Erstens ist das Hauptziel des Klimaabkommens, die globale Klimaerwärmung auf deutlich unter 2°C und so nah wie möglich bei 1,5°C zu begrenzen, um gefährliche Kipp-Punkte im Klimasystem zu verhindern. Das bedeutet, dass die globalen Emissionen bald ihren Höhepunkt erreichen müssen und danach drastisch herunterzufahren sind. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts muss eine Balance erreicht werden zwischen globalen Emissionen und CO2-Entnahme aus der Atmosphäre durch Bindung in Ökosystemen oder andere Methoden.

Zweitens setzt das Pariser Abkommen fest, dass jedes Land alle fünf Jahre aktualisierte nationale Klimapläne (Nationally Determined Contributions, NDCs) einreicht. Kein nachfolgendes NDC darf die Ambition verringern. Zusätzlich wird der Prozess der globalen Bestandsaufnahme alle fünf Jahre, der auch die Inhalte der Klimapläne einbezieht, den Weg hin zu ambitionierterem Handeln systematisieren.

Die Verhandlungen zum technischen Regelwerk sind beim Klimagipfel COP22 in Marrakesch zentral und münden in einen globalen Plan, wie über Klimaschutzmaßnahmen berichtet und Rechenschaft abgelegt wird. Die Länder beginnen nicht bei null. Viele erfolgreiche Modelle und Mechanismen für internationale Klimakooperation, die UNFCCC in den letzten beiden Jahrzehnten entwickelt hat, einschließlich des Kyoto-Protokolls, haben einen großen Erfahrungsschatz und Wissen dazu aufgebaut, wie dies effektiv erfolgen kann.

Erst das fertige Regelwerk lässt das Abkommen funktionieren. Eine der Hauptaufgaben von UNFCCC wird es sein, die Länder bei der Fertigstellung des Regelwerkes – idealer Weise bis 2018 – und der vollen Umsetzung des Abkommens zu unterstützen. Das hört sich vielleicht eher technisch an, aber es ist eine wesentliche Rolle bei den globalen Bemühungen für eine Dekarbonisierung.

Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten internationalen Meilensteine nachdem im Jahr 2015 das große politische Abkommen beschlossen wurde?

Das Regelwerk so schnell wie möglich fertigzustellen, ist natürlich ein absoluter Meilenstein, der im Verhandlungsprozess erreicht werden muss. Ein weiterer Meilenstein ist Klarheit bezüglich der Bereitstellung von Finanzierung, was vor allem für die Ärmsten und Verletzlichsten wesentlich ist.

Marrakesch gibt den Regierungen die Gelegenheit, einen Plan zu präsentieren, wie sie die zugesagten 100 Milliarden US-Dollar jährlicher Unterstützung ab 2020 erreichen wollen und wie sie die Klarheit bezüglich der Finanzierung von Anpassungsmaßnahmen erhöhen. Allerdings ist Finanzierung nicht nur für diese unmittelbare, direkte Unterstützung wichtig, sondern die globalen Finanzströme müssen verändert werden, um die weltweiten Bemühungen für Dekarbonisierung voranzubringen.

Ein schnellerer Finanzzufluss für Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen ist notwendig, wenn die Weltgemeinschaft die ambitionierten Ziele des Klimaabkommens von Paris und die SDG erreichen will. Die UN schätzt, dass jährlich fünf bis sieben Billionen US-Dollar notwendig sind, um eine nachhaltige Entwicklung zu erreichen – ein großer Teil davon für die wichtige Transformation zu einer kohlenstoffarmen, klimaresilienten globalen Wirtschaft.

Welche Partnerschaften müssen etabliert werden um wirklich transformative Klimapolitik in den Industrie-, Schwellen- und den am wenigsten entwickelten Ländern zu ermöglichen?

Das Anliegen des Pariser Abkommens ist es, die „globale Antwort auf die Gefährdung durch den Klimawandel“ zu stärken. Diese Antwort basiert auf nationalem Handeln, gestärkt durch die Unterstützung für Entwicklungsländer, und betont die Bedeutung von nationalen Führungsrollen.

Um dies zu erreichen und die Welt zu verändern, müssen Regierungen entsprechend ihrer nationalen Rahmenbedingungen handeln und sicherstellen, dass alle Ministerien – von Finanzen über Planung und Energie bis Umwelt, Bildung, Gesundheit und Transport – Hand in Hand arbeiten.

Aber Regierungen alleine können all die ambitionierten Ziele des Pariser Abkommens und der SDG nicht erreichen. Deshalb ist es ermutigend, dass progressive Städte, Regionen und Länder, darüber hinaus auch Unternehmen und Investoren sich dem Klimaschutz und der Agenda 2030 verpflichtet haben.

Nach Paris kann kein Politiker oder Bürger, kein Manager oder Investor mehr am gemeinsamen Entschluss der Staatengemeinschaft für einen rechtzeitigen Übergang zu einer kohlenstoffarmen Gesellschaft und Wirtschaft zweifeln, die widerstandsfähig gegenüber dem gefährlichen Klimawandel ist. Gesellschaftliche und wirtschaftliche Partnerschaften auf allen Ebenen sind notwendig, um diese Gelegenheit zu ergreifen.

Nichtregierungsorganisation sind wichtige Akteure – um Rechenschaftspflichten zu erhöhen, aber auch einen Konsens zu unterstützen, der die Globalinteressen widerspiegelt. Was sollen wir Nichtregierungsorganisationen aus Ihrer Sicht in Marrakesch vorantreiben?

NGOs spielen immer eine wichtige Rolle dabei, sicherzustellen, dass die Stimme der Bürgerinnen und Bürger gehört wird. Wie bereits erwähnt, liegt der Fokus in Marrakesch auf dem Regelwerk. Es ist wichtig, dass das Regelwerk für das Klima funktioniert – die Beteiligung von NGOs ist dabei ein wichtiges Thema.

In Marrakesch ist Finanzierung für Anpassung ein besonders kritischer Punkt. Der Zugang zu Finanzierung für Anpassungsprogramme und -projekte ist vor allem für die Armen und Verletzlichen wichtig, die bereits von den Folgen des Klimawandels – wie ausgedehnten Dürren und Überflutungen – betroffen sind. Das muss glatt laufen, um den Menschen mehr Sicherheit zu geben, besonders den Ärmsten und Verletzlichsten. NGOs können hier eine wichtige Rolle spielen.

Marrakesch wird auch demonstrieren, wie eine frühe Umsetzung von NDCs aussehen kann. NDCs müssen zu Aktionsbündeln werden, die für das Klima, die Wirtschaft und die Menschen funktionieren. Auch dazu, wie sich dies am besten erreichen lässt, können NGOs wertvolle Beiträge liefern.

Deutschland droht, seine 2020 Klimaziele zu verfehlen und der Entwurf zum Klimaschutzplan 2050 gibt nur ungenügende Orientierung zum Erreichen der deutschen Langfristziele – was wollen Sie uns für die deutschen Debatten mitgeben?

Es ist sehr wichtig, dass Industrieländer beim Klimaschutz vorangehen. Deutschland hat das in der Vergangenheit getan und ich möchte alle Industrieländer drängen, weiterhin die Führungsrolle zu übernehmen. Die Tür für mehr Ambition steht immer offen. Zu jedem Zeitpunkt können Länder ambitioniertere Klimapläne einreichen, wenn sie sich dazu entschließen.

Dennoch ist eine langfristige Planung sinnvoll, wenn es um Klimawandel geht. Die größte Gefahr besteht zum Beispiel darin, in kohlenstoffintensive Infrastrukturen zu investieren und damit Lock-in-Effekte für die nächsten 40 bis 50 Jahre zu erzeugen. Investitionen in Infrastruktur rechtzeitig in eine kohlenstoffarme Richtung zu verschieben, ist ein zentraler Beitrag zu jedem Langfristziel.
 

Interview: Sönke Kreft & Christoph Bals

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