Meldung | 09/02/2017 - 12:34

"Gezwungen zu gehen"

Expertinnen und Experten aus Zivilgesellschaft und UN diskutierten über Migration im Kontext von Klimawandel und fossilen Energien
Foto: Podiumsdiskussion "Gezwungen zu gehen" am 23.01.2017

Podiumsdiskussion "Gezwungen zu gehen" am 23.01.2017 in Bonn

Mehr als 100 Gäste folgten der gemeinsamen Einladung von Germanwatch und der Stadt Bonn zu einer Podiumsdiskussion am Abend des 23.01.2017 in das Haus der Bildung. Eröffnet wurde die Diskussion zunächst von Susanne Nolden von der Stadt Bonn bevor Vera Künzel von Germanwatch das Publikum durch die Podiumsdiskussion führte. Die geographische und thematische Breite des Abends wurde bereits durch das Experten-Podium deutlich.

Auf dem Podium diskutierten Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer von Germanwatch, Dr. Koko Warner, Verantwortliche für das Teilprogramm "Konsequenzen, Verletzlichkeiten und Risiken" im UN-Klimasekretariat, Sabine Minninger, Referentin für Klimapolitik, Brot für die Welt, Antje Grothus, Initiative Buirer für Buir, sowie Sarah Scholz, Mitarbeiterin Internationale Projekte bei OroVerde.

Von Bangladesch, über die Pazifik Inseln, über die Regenwälder in Südamerika bis hin ins Rheinische Braunkohlegebiet - weltweit gibt es zahlreiche Beispiele für die massiven Auswirkungen, die der Abbau von fossilen Energiequellen und der menschgemachte Klimawandel auf die Menschen und ihr Lebensumfeld haben.

Christoph Bals leitete den Abend mit einer Keynote ein, in der er aufzeigt wie die Nutzung und Förderung fossiler Energiequellen zu ökologischer und sozialer Destabilisierung führen. Der "Ressourcenfluch" ärmerer Länder, gewaltsame Konflikte um den Zugang zu fossilen Energieträgern (z.B. der Irakkrieg) und zunehmend extreme Folgen des Klimawandels, die als zusätzlicher Stressfaktor bereits bestehende Konflikte verschärfen können, (z.B. Syrienkrise) sind nur einige Beispiele.

"Nobody wants to migrate, but they have to migrate"

Eröffnet wurde die Diskussion mit einer Videobotschaft von Dr. Saleemul Huq (Director International Centre for Climate change and Development, Independent University of Bangladesh). Saleemul Huq sprach darüber, dass es in Bangladesch schon heute starke Migrationsbewegungen vom Land in die Städte, vor allem in die Hauptstadt Dhaka, und auch grenzüberschreitend nach Indien gibt. Diese Migrationsbewegungen werden in den kommenden Jahren durch die Auswirkungen des Klimawandels noch verstärkt werden. Für die Menschen, die z.B. durch den steigenden Meeresspiegelanstieg in den Deltaregionen Bangladeschs betroffen sind, gebe es keinen anderen Ausweg als zu migrieren: "Nobody wants to migrate, but they have to migrate", erklärte Huq. Das Land müsse sich für diese Herausforderungen nachhaltig vorbereiten, Investitionen tätigen, Arbeitsplätze in unterschiedlichen Regionen schaffen und die Jugend mit Bildungsprogrammen für neue Arbeitsfelder vorbereiten. Er macht deutlich, dass gezielte Planungen und Vorbereitungen aus dem vermeintlichen Problem der Migration eine Lösung für die Anpassung an die Auswirkungen des menschgemachten Klimawandels schafft.

Auch Sabine Minninger, Referentin für Klimapolitik bei Brot für die Welt berichtete von Ihrer Reise in die pazifischen Inselstaaten und von den bereits heute dort sichtbaren Auswirkungen des Klimawandels. Der Meeresspiegelanstieg und der daraus resultierende Verlust an Landfläche ist dabei nicht die einzige Herausforderung für die Bewohner. Eine große Rolle spielen die voranschreitende Versalzung, das Korallensterben, das hiermit einhergehende Fischsterben und ein erhöhtes Risiko von Springfluten. Die bevorstehenden Umsiedlungen stellen die kleinen Inselstaaten vor großen Herausforderungen. Die Frage stellt sich welche zusätzlichen Herausforderungen sich stellen, wenn Prozesse und Bewegungen in Zukunft auch grenz- bzw. kulturübergreifend stattfinden.

Sarah Scholz von OroVerde führte das Publikum in den Regenwald und das Amazonasgebiet nach Sarayaku in Ecuador, Südamerika. Sie setzte nicht die direkten Auswirkungen des Klimawandels in den Fokus, sondern vielmehr die vorgelagerte Prozesse wie die Erdölförderung, die zu einer Entwaldung des Gebietes führen. Dies geschieht zum Beispiel durch Dynamitsprengungen, den Aufbau der Infrastruktur (v.a. Straßen) und allgemeiner Umweltverschmutzung. Einhergehen Landrechtsproblematiken und andere Konflikte mit der hier lebenden indigenen Bevölkerung, die im Grund nur zwei Möglichkeiten hat. Entweder sich von den Unternehmen auszahlen zu lassen und ihre Heimatregion zu verlassen oder Widerstand zu leisten - dies geschieht zum Teil friedvoll sowie gewaltsam.

Ein ähnliches Bild zeichnet sich auch in Deutschland ab. Antje Grothus von der Initiative Buirer für Buir sprach über das rheinische Braunkohlerevier und den dort stattfindenden Umsiedlungsprozessen. Auch wenn es durch die rechtlichen Rahmenbedingungen in Deutschland, eine andere Ausgangssituation für die Betroffen gibt, stellt der Abbau von fossilen Energieträgern auch in Deutschland eine hohe Belastung für die betroffenen Anwohner dar. Auch in Deutschland werden Menschen aufgrund fossiler Energiequellen ihrer Heimat beraubt und zum Teil gegen ihren Willen umgesiedelt. Die Betroffenen erfahren auch hier, enormen sozialen Druck bis hin zu Anfeindungen z.B. über die sozialen Medien, Belastungen der Luft-und Trinkwasserqualität und werden oftmals für die Zerstörung jahrhundertealter Dörfer nicht ausreichend entschädigt.

"Das Unbewältigbare vermeiden, das Unvermeidbare bewältigen."

Abschließend gingen Dr. Koko Warner vom UN Klimasekretariat und Christoph Bals auf bestehende und nötige Lösungsansätze ein. Deutlich wurde, dass neue Regeln, und Umdenken und Neuorientierung im 21. Jahrhundert nötig sind. Der Kontrast zwischen dem Jahr 2015, in dem mit dem Beschluss der globalen Nachhaltigkeitszielen und dem Weltklimavertrag in Paris internationale Solidarität großgeschrieben wurde und dem Jahr 2016, in dem durch die krisenbedingten Flüchtlingsbewegungen die rechtspopulistische Rhetorik neuen Aufwind erlangte, könnte kaum größer sein. "Anfang 2017", so Warner: "stehen wir vor vielen Entscheidungspunkten". Die zwei großen Fragen, die es zu beantworten gebe seien "Wer sind wir?" und "Wie wollen wir leben?". Sie plädiert für ein Umdenken, für Energiequellen der Zukunft und den Verzicht zu Gunsten eines globalen Allgemeinwohls. Denn es braucht neue Wege und Denkweisen, damit es allen gut gehen kann.

Am Beispiel des peruanischen Bergführer Saúl Luciano und seiner Klage gegen den Energieriesen RWE, zeigte Christoph Bals noch einmal auf, wie alles miteinander verbunden ist. Die Klimapolitik und unser eigenes Handeln müssen endlich mit den vereinbarten Klimazielen überein gebracht werden, Verantwortung für verursachte Schäden durch den Klimawandel muss übernommen werden, bzw. eingeklagt werden können und die notwendige Unterstützung Betroffener und verletzlicher Menschen sichergestellt werden.

Beendet wurde die Veranstaltungen mit einem Kurzbeitrag von Silke Lunnebach, die die Arbeit vom Klima-Bündnis der europäischen Städte mit indigenen Völkern der Regenwälder vorstellte und der Möglichkeit Fragen an das Podium zu stellen.


Die Veranstaltung wurde gemeinsam von Germanwatch und der Stadt Bonn durchgeführt. Sie fand im Rahmen Projektes "EYD2015: The future we want - local Authorities for Sustainable Development" statt und wurde durch die Europäische Union gefördert.