Blogpost | 29/11/2017 - 16:48

Klimarisiken im Finanzsektor: Deutschland darf nicht länger wegsehen

Blog-Beitrag von Julia Anna Bingler, November 2017
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Das Pariser Abkommen zum Klimaschutz verpflichtet die Staatenwelt nicht nur, die Erderwärmung abzubremsen, indem weniger Treibhausgase ausgestoßen werden. Es verpflichtet sie auch, alle Finanzflüsse mit den Klimazielen in Einklang zu bringen. Doch gab es gerade für diesen Bereich kein Verhandlungsmandat zur konkreten Umsetzung. Dabei drängt die Zeit: Angesichts oft langjähriger Investitionszyklen müssen jetzt die Weichen gestellt werden, damit das Risiko kohlenstoffintensiver Fehlinvestitionen verringert und ein Festfahren in klimaschädlichen Geschäftsmodellen verhindert wird. Dies gilt nicht nur für öffentliche Gelder, sondern auch für den Privatsektor.

Für den Finanzsektor bedeutet dies zweierlei: Zum einen müssen bisweilen unterschätzte Nachhaltigkeits- und Transformationsrisiken früher erkannt und in Investitionsentscheidungen einbezogen werden. Zum anderen muss der Sektor seinen Beitrag zur Erreichung der gesellschaftlichen Nachhaltigkeitsziele, allen voran der Ziele der UN-Entwicklungsagenda 2030 und der Ziele des Pariser Klimaabkommens, leisten.

Um die nachhaltige, klimagerechte Ausrichtung des Finanzwesens auf EU-Ebene voranzubringen, setzte die EU-Kommission schon letztes Jahr eine hochrangige Expertengruppe zum nachhaltigen Finanzwesen (High-Level Expert Group on Sustainable Finance, HLEG) ein. Diese veröffentlichte im Juni ihren umfassenden Zwischenbericht, welcher eine Vielzahl an Maßnahmen für ein nachhaltiges Finanzsystem aufweist, und acht Sofortmaßnahmen empfiehlt. Denn die Zeit drängt. Unter anderem empfiehlt die Gruppe, den Markt für Grüne Anleihen zu stärken und die Offenlegung von Nachhaltigkeitsaspekten weiter voranzutreiben. Diese Themen haben international gerade besonders Konjunktur.

Doch Deutschland hält sich bisher betont zurück. Die deutsche Privatwirtschaft bewegt sich vergleichsweise zögerlich. Und von Seiten der deutschen Regierung ist keine progressive Stimme in der internationalen Debatte wahrnehmbar. Zudem wird befürchtet, dass Deutschland die Umsetzung der Empfehlungen der EU-Expertengruppe im nächsten Jahr ausbremsen wird. Damit werden wichtige Chancen vertan, die andere Länder längst nutzen. Auch der Rat für Nachhaltige Entwicklung attestiert: „Deutschland hinkt im europäischen Vergleich beim Thema ‚Sustainable Finance‘ hinterher.“

Das zeigt sich unter anderem beim Thema Grüne Anleihen, auf Englisch Green Bonds. Das sind Anleihen, die zur Finanzierung umwelt- und klimaverträglicher Projekte ausgegeben werden. Der Markt wächst rasant – doch kommt der Großteil der Green Bonds aus China. Deutsche Emittenten haben mit 19 Milliarden Euro ausstehendem Green-Bond-Volumen einen globalen Marktanteil von lediglich zehn Prozent. Der deutsche Markt ist undynamisch und wenig divers. Elf Milliarden Euro gehen allein auf die KfW-Bank zurück, insgesamt sind nur sieben Akteure aktiv. Deutschland droht den Anschluss an einen wachsenden internationalen Markt zu verlieren.

Zwar will die Deutsche Börse zusammen mit dem Rat für Nachhaltige Entwicklung den Finanzplatz Frankfurt als „Hub for Sustainable Finance“, kurz H4SF, etablieren. Und auch die Politik will dabei helfen, nachhaltige Investments aus dem Nischendasein in den Mainstream zu heben. Das ist zumindest das Ziel des Green Finance Clusters Hessen, welcher Mitte November von der hessischen Regierung ins Leben gerufen wurde. Doch ohne regulatorische Rahmenbedingungen wird es nicht gelingen, das gesamte Finanzwesen zu erreichen: Als die Deutsche Börse im Mai diesen Jahres gemeinsam mit weiteren Finanzmarktakteuren die Initiative „Accelerating Sustainable Finance“ startete, bekannten sich zwar Versicherer wie die Allianz, Banken wie die Commerzbank, Investmentfonds wie Union Investment und Beratungsunternehmen wie PwC dazu, am Finanzplatz Frankfurt neue Geschäftsfelder im Bereich Nachhaltigkeit zu identifizieren und einen bewussteren Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken anzustreben. Gleichzeitig betonen die Unterzeichner aber auch: „Die Frankfurter Erklärung bildet den Ausgangspunkt eines offenen Dialogs und ist damit kein Umsetzungsbeschluss.“ Die Scheu vor konkreten Maßnahmen ist symptomatisch für die deutsche Debatte – und sie ist gefährlich.

So ist es wenig überraschend, dass Bundesbank-Vorstand Andreas Dombret Anfang Oktober für Aufsehen sorgte, als er während einer Veranstaltung in Singapur erstmals eindringlich warnte: Der Finanzsektor unterschätze Klimarisiken. Dabei ist dies keine neue Erkenntnis. Der Chef der britischen Zentralbank, Mark Carney, betont schon lange, dass Nachhaltigkeits- und Klimarisiken im Finanzmarkt nicht ausreichend berücksichtigt werden, was zu Fehlinvestitionen führen und die Stabilität des Gesamtsystems gefährden könne. Deshalb beauftragten die G20-Finanzminister im Jahr 2015 den Finanzstabilitätsrat, eine Arbeitsgruppe zur Transparenz finanzieller Klimarisiken, die TCFD, einzusetzen. Diese veröffentlichte im Juni dieses Jahres unter deutscher G20-Präsidentschaft ihre umfassenden Empfehlungen zur Offenlegung finanzbezogener Klimarisiken. Das Besondere an der TCFD-Arbeitsgruppe: Sie besteht vollständig aus Vertretern der Privatwirtschaft.

Im Gegensatz zu elf international tätigen Großbanken, darunter UBS, Santander und Barclays, haben sich deutsche Banken bisher nicht öffentlich zur Umsetzung der Empfehlungen bekannt. Und unter den Hundert Vorständen multilateraler Unternehmen und Investoren, welche offiziell die TCFD-Empfehlungen unterstützen – darunter Schwergewichte wie Unilever, Pepsi und Tata Steel – befinden sich mit Vertretern der Allianz und EnBW nur zwei deutsche Akteure. Ein Fehler: Nur wenn die Empfehlungen in der Breite angewandt werden, kann der Finanzmarkt tatsächlich Klimarisiken und Fehlinvestitionen frühzeitig antizipieren und zukunftsfähige Investitionschancen nutzen.

Andere Staaten haben längst erkannt, dass dazu auch die regulatorischen Rahmenbedingungen angepasst werden müssen. Frankreich verpflichtet in Artikel 173 seines Energiewendegesetzes Unternehmen und Finanzmarktakteure, Klima- und Nachhaltigkeitsrisiken offenzulegen. Zusätzlich erwägt das Land die verpflichtende Umsetzung der TCFD-Empfehlungen – gerne zusammen mit anderen Staaten. Auch Großbritannien unterstützt die Empfehlungen offiziell.

Die neue Bundesregierung, unabhängig von der Konstellation, muss zeigen, dass sie die Zeichen der Zeit erkennt und finanzmarktbezogene Chancen und Risiken im Klima- und Nachhaltigkeitsbereich auf die Agenda setzen. Allen voran sollte eine neue Regierung zusammen mit Vorreiterstaaten, insbesondere Frankreich, ein gemeinsames Regelwerk zur verpflichtenden Offenlegung klimabezogener Finanzrisiken erarbeiten. Darüber hinaus muss Deutschland im nächsten Jahr eine konstruktive, proaktive Rolle bei der Umsetzung der weiterführenden Empfehlungen der hochrangigen Expertengruppe zum Nachhaltigen Finanzwesen spielen. Alles andere würde bedeuten, die Augen vor klima- und finanzpolitischen Notwendigkeiten zu verschließen und somit Nachhaltigkeitsziele und den langfristigen Wohlstand Deutschlands zu gefährden.
 


Dieser Standpunkt erschien erstmals im Tagesspiegel Background am 28.11.2017.