Blogpost | 16/07/2020 - 14:01

Klare Kriterien für die Zukunftsfähigkeit der EU-Milliarden

Die EU-Taxonomie ist das beste Instrument, Konjunkturhilfen zukunftsfähig zu machen. Doch langfristig heißt es wachsam bleiben, damit Atomkraft kein „grünes“ Label bekommt.
Foto vom Berlaymont

Foto: Aurore Martignoni, Architektur: Lucien De Vestel, Jean Gilson, A&J Polak; Renovation: Berlaymont 2000

Am kommenden Freitag und Samstag, gleich zu Beginn der deutschen Ratspräsidentschaft, trifft sich der Europäische Rat zu einem Sondergipfel – wahrscheinlich eines der wichtigsten Treffen für die Zukunft der EU. Bei dem Gipfel wollen sich die Staats- und Regierungschefs auf ein EU-Budget für die Jahre 2021-2027 (Mehrjähriger Finanzrahmen – MFR) und ein Konjunkturpaket (“Next Generation EU) einigen, mit dem die EU zukunftssicher aus der Corona-bedingten Wirtschaftskrise kommen will. Damit die geplanten Milliarden-Investitionen wirklich sinnvoll ausgegeben werden, braucht es strikte Kriterien für Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Dafür sollte die EU das bereits erarbeitete Instrument der EU-Taxonomie nutzen. Einige Beobachter_innen sind jedoch besorgt, dass die Taxonomie ein Hintertürchen für die Atomkraft öffnen könnte. Doch diese Sorgen sind zum jetzigen Zeitpunkt unbegründet.

Prüfrahmen für nachhaltige Investitionen auch für die Verwendung öffentlicher Mittel

Mit dem Wiederaufbau- und Zukunftsplan „Next Generation EU“ hat die EU-Kommission 750 Mrd. Euro zur Existenzsicherung der nächsten Generation in der EU hinterlegt. Um tatsächlich zukunftsweisend wirken zu können, muss die Ausgabe dieser Milliarden aber an klare Kriterien geknüpft werden. Ohne das Einhalten von Nachhaltigkeitskriterien würde lediglich die Auslauffrist für überholte Technologien und auslaufende Geschäftsmodelle, wie die Gewinnung, Verarbeitung, Verteilung, Lagerung oder Verbrennung von festen fossilen Brennstoffen und Öl, um ein paar Jahre verlängert werden.

Um die Zukunftsfähigkeit von Investitionen zu überprüfen, hat die EU in den vergangenen Jahren einen Prüfrahmen erarbeitet und jüngst verabschiedet: die EU-Taxonomie-Verordnung.  Auf EU-Ebene findet die Taxonomie Anwendung auf alle Finanzprodukte, die innerhalb der Mitgliedstaaten verkauft werden und hat damit weitreichende Implikationen für alle Sektoren der Realwirtschaft: Kapitalströme, und damit auch die konkrete Finanzierung von Unternehmen, werden zukünftig von Finanzmarktakteur_innen wie Investor_innen, Versicherer_innen und Banken anhand der Taxonomie-Kriterien bewertet und offengelegt. Entwickelt wurde dieser Prüfrahmen zwar für private Investitionen. Er kann aber genauso auch auf öffentliche Investitionen angewendet werden.

Damit Wirtschaftsaktivitäten laut Taxonomie als ökologisch nachhaltig gelten, müssen sie einen Beitrag zu mindestens einem der folgenden Umweltziele der EU leisten, die auch dem Europäischen Green Deal zugrunde liegen:

  1. Klimaschutz,
  2. Anpassung an den Klimawandel,
  3. Schutz von Wasser und Meeresressourcen,
  4. Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, Abfallvermeidung und Recycling,
  5. Vermeidung und Verminderung von Umweltverschmutzung oder
  6. Schutz von Ökosystemen.

Des Weiteren dürfen sie im Hinblick auf andere Umweltziele „keinen erheblichen Schaden“ verursachen („do no significant harm“-Kriterium) und müssen soziale Mindeststandards (z. B. ILO-Kernarbeitsnormen) einhalten. Auch Finanzminister Olaf Scholz und Umweltministerin Svenja Schulze haben vor kurzem ihre Unterstützung für die Taxonomie deutlich gemacht, weil sie Investitionen eindeutig in nachhaltige Bahnen lenken kann.

Die EU-Kommission hat mit ihren Plänen zum Europäischen Green Deal bereits festgehalten, dass dieser Prüfrahmen auch für das Budgetinstrument zur Mobilisierung privater Investitionen (InvestEU) und die Finanzierungsflüsse zentraler Durchführungspartnerinnen – etwa der Europäischen Investitionsbank-Gruppe, nationaler Förderbanken und internationaler Finanzinstitutionen – genutzt werden kann. Warum nicht also auch für die 750 Mrd. Euro schweren Investitionen aus den EU-Konjunkturprogrammen als Antwort auf die Corona-Krise?  

Die Anwendung der Taxonomie auf öffentliche Investitionen im Rahmen der Konjunkturpakete öffnet keine neue Tür für Atomkraft in der EU

Einige Beobachter_innen sind allerdings besorgt, dass mit der Anwendung der Taxonomie die Möglichkeit dafür geschaffen würde, Investitionen in Atomkraft als „nachhaltig“ zu klassifizieren und entsprechend zu fördern. Immerhin war die Frage der Atomkraft bei der Erarbeitung der Taxonomie bis ganz zum Schluss der größte Streitpunkt. Lange wurde zwischen den Mitgliedstaaten und mit dem Europäischen Parlament verhandelt, welche zur Stromproduktion verwendeten Energieträger als nachhaltig gelten dürfen. Potenzial dazu haben Strom aus beispielsweise Solar- und Windenergie oder aus Geothermie unter Einhaltung der jeweiligen Prüfkriterien und Umweltstandards. Dass Atomkraft in dieser Liste nicht auftaucht, ist bereits der erste Hinweis, dass sie nicht Taxonomie-konform ist. Grundsätzlich gilt aber vor allem, dass wirtschaftliche Aktivitäten, die als nachhaltig definiert werden, nicht negativ auf eines der sechs EU-Umweltziele wirken dürfen. Laut Artikel 17.1.d(iii) der EU Taxonomie gilt „als erheblich beeinträchtigend für die Kreislaufwirtschaft [EU-Umweltziel 4], einschließlich Abfallvermeidung und Recycling, wenn die langfristige Abfallbeseitigung eine erhebliche und langfristige Beeinträchtigung der Umwelt verursachen kann”. Mit dieser Klausel sollen auch direkte Investitionen in Atomkraft ausgeschlossen werden. So ist es von der EU-Kommission beabsichtigt und von Europäischem Rat und Parlament bestätigt. Am Ende waren die Kommentator_innen sich weitestgehend einig in ihrer Beurteilung des Kompromisses.

Selbst die sicher sehr atomkritischen Grünen im Europaparlament zeigten sich zufrieden:

"Anders als weitläufig befürchtet öffnet der verabschiedete Verordnungstext der Ko-Gesetzgeber keine Hintertür für die Atomkraft. Denn Atomkraft produziert nicht-recyclebaren, umweltschädlichen Müll und erfüllt damit nicht die ‘do-no-harm’ Anforderungen", so Sven Giegold, Sprecher der deutschen grünen Europaabgeordneten.

Derzeit sind Investitionen in Atomkraft also unter Anwendung der Taxonomie de facto ausgeschlossen und sie könnte problemlos auf die Konjunkturpakete der EU und der Mitgliedstaaten angewandt werden. Doch die Atomlobby ist eine der einflussreicheren in Brüssel und wird weiter versuchen, auch für die Atomkraft ein „grünes Label“ zu bekommen. Bereits jetzt rührt sie kräftig die Werbetrommel. Der wissenschaftliche Dienst der Kommission, das Joint Research Centre, wird sich in den nächsten Monaten noch einmal mit der Frage der Taxonomie-Konformität der Atomkraft beschäftigen und die Zivilgesellschaft muss streng beobachten, dass hier nicht doch noch Hintertürchen für die Atomkraft geöffnet werden. Denn es stimmt ja: Die Nutzung der Atomkraft produziert den gefährlichsten Müll, den die Menschheit kennt – neben allen anderen Risiken kann sie schon allein deshalb nicht nachhaltig sein.

Unter Anwendung der Taxonomie auf die öffentlichen Investitionsprogramme, die in den kommenden Monaten entschieden werden, besteht kein Risiko, dass damit die Atomkraft befördert wird. Denn die Taxonomie schließt derzeit solche Investitionen effektiv aus – und sie sind auch in keinem der Programme ernsthaft vorgeschlagen. Für die mittel- und langfristige Taxonomie auf alle privaten und öffentlichen Investitionen heißt es wachsam bleiben, dass die EU-Taxonomie mit ihrem Potenzial globale Standards zu setzen, von den Lobbyversuchen der Atomindustrie nicht ausgehöhlt wird. Beim Sondergipfel des Europäischen Rats ist es jetzt Aufgabe der Staats- und Regierungschefs, sicherzustellen, dass in die Zukunft der jungen und der kommenden Generationen Europas investiert wird. Schließlich sind auch sie es, die die zusätzliche Schuldenlast tragen werden müssen. Die EU-Taxonomie ist dafür das aktuell beste Instrument.

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