Blogpost | 13/10/2021 - 11:57

„Menschheit ist zweifelsfrei Haupttreiber der Klimakrise“

Ein Erfahrungsreport zur Verabschiedung des Berichts der Arbeitsgruppe I des Weltklimarats für den 6. IPCC-Sachstandsbericht
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Der Weltklimarat IPCC (International Panel on Climate Change) hat mit der Fertigstellung seines 6. Sachstandsberichtes angefangen. Im Sommer 2021 begann die Phase, in der nun nach und nach die Berichtsteile der drei Arbeitsgruppen verabschiedet werden. Den Anfang machte die Arbeitsgruppe I „Klimawissenschaft“[1], die von 26. Juli bis 6. August 2021 ihren Berichtsteil – bisher noch nie dagewesen – virtuell abnahm.

Es gelang der Arbeitsgruppe die Zusammenfassung für Entscheidungsträger (SPM – Summary for Policy Makers) sowie den gesamten Bericht am Morgen des 6. August beinahe punktgenau abzunehmen. Die darauffolgende (virtuelle) 54. IPCC-Plenarsitzung nahm den Bericht final an, womit der IPCC mit diesem virtuellen Verfahren – in den Worten von ihrem Vorsitzenden Hoesung Lee – „Geschichte schrieb“.

An die Öffentlichkeit ging der IPCC mit den Ergebnissen am 9. August 2021 im Rahmen einer mit 7.500 Teilnehmer:innen (virtuell) stark besuchten Pressekonferenz.

Zum Bericht beigetragen haben 234 Autoren aus 65 Staaten, welche im Review-Prozess über 78.000 Kommentare aus der Zivilgesellschaft und von den Regierungen berücksichtigen mussten. Doch wie läuft eine solche Sitzung ab?

Das Verfahren

Die Arbeitstage wurden in Slots von etwa drei Stunden mit Verhandlungen aufgeteilt. Wenn ein konfliktreiches Thema – wie etwa Kipppunkte – behandelt wurde, gab es zahlreiche Interventionen und öfter konnte keine Konsensformulierung sofort gefunden werden. So wurde das Thema entweder in einem huddle (Kleingruppe) oder in einer Kontaktgruppe separat behandelt, was meist zum erwünschten Erfolg führte. Dieses war kein Unterschied zum Vorgehen bei physischen Treffen, auch wenn informelle Gespräche zwischen Delegierten (bis zu 400) im virtuellen Raum ungleich schwerer zu Stande kamen.

Die Herausforderung einer solchen virtuellen Verhandlung ist es, Unterhändler:innen aus verschiedenen Kontinenten zusammenzubringen. Denn manche müssen nachts, andere sehr früh morgens oder spät abends an den Verhandlungen teilnehmen. Dies ist der Preis dafür, dass die Unterhändler:innen nicht an einem Verhandlungsort zusammenkommen.

Die Hauptverhandlungen fanden in Plenarsitzungen statt. Im ersten Durchlauf gingen die Co-Chairs – sie moderierten nach Unterkapitel alternierend – den Entwurf der Zusammenfassung für Entscheidungsträger:innen nach Abschnitt Zeile für Zeile durch und nahmen Kommentare auf. So erarbeiteten die Autor:innen einen neuen Entwurf. Im zweiten Durchlauf war das Ziel, im Rahmen des oben beschriebenen Verfahrens Konsens zum Text herzustellen. Als Moderator:in für Kontaktgruppen oder huddles wurden oft erfahrene Kräfte aus dem IPCC-Bureau – wie etwa Ko Barrett (USA) oder Thelma Krug (Brasilien) – ausgewählt, um einen Ausweg aus verfahrenen Situationen zu finden und damit den Gordischen Knoten zu lösen, was zumeist gelang. Das erzielte Ergebnis wurde später in der Plenarsitzung vorgestellt.

Politische Aspekte der Berichtsabnahme

Im Unterschied zu anderen IPCC-Plenarsitzungen haben sich bei IPCC 54 lediglich Vertreter:innen aus zwei Staaten fast bei jedem Punkt mit Interventionen gemeldet und auf diese Weise den Verhandlungsfortschritt deutlich gebremst: Saudi Arabien sowie Indien. Saudi Arabien sah im vorliegenden Entwurf oft eine Sprache, die der Politik Vorgaben macht – was beim IPCC an sich ein „Totschlagargument“ ist, denn Politikneutralität ist die zentrale Vorgabe für den IPCC.

Auch wenn die zahlreichen Interventionen von Delegierten der beiden Staaten die Verhandlungszeit sehr in die Länge zogen, ist es diesen dennoch nur im geringem Umfang gelungen, die Aussagen zu verändern und auf diese Weise die Aussagekraft des SPM zu verringern. Glücklicherweise gelang es der Verhandlungsführung fast immer eine Konsensformulierung zu finden. Eine herausragende Leistung. Doch um welche Inhalte ging es bei der Arbeitsgruppe?

Inhalte und Beschlussfassung

Das SPM bei IPCC-Berichten wird im Konsens angenommen. Dies bedeutet, dass alle Staaten, sei es, dass sie Bremser oder Unterstützer von Klimaschutzmaßnahmen sind, die verhandelten und von der Wissenschaft als korrekt eingestuften Aussagen zum Klimawandel im SPM mittragen. Insofern trägt dieses stark den Charakter eines kleinsten gemeinsamen Nenners und sticht nicht mit pointierten Aussagen hervor. Da der Weltklimarat Politik-neutral ist, finden sich im SPM keine Forderungen an die Politik, sondern lediglich Aussagen zur Politikberatung im Stil „wenn …, dann …“.

Dass die Menschheit zweifelsfrei die Erwärmung der Atmosphäre, des Landes und der Ozeane und somit die Klimakrise verursacht hat, steht jedoch klarer drin als je zuvor. Wenn die Menschheit nicht sofort schnell großskalig wirksame Maßnahmen zum Klimaschutz ergreift, würde die Beschränkung der globalen Erwärmung auf 1,5°C außer Reichweite geraten, resümierte Valérie Masson-Delmotte, die Ko-Vorsitzende der Arbeitsgruppe. Durch eine Änderung der Basistemperatur[2], so der Bericht, könnte sich eine Erwärmung um 1,5 Grad früher einstellen als bisher erwartet.

Delmotte
Ko-Vorsitzende der Arbeitsgruppe I, Valérie Masson-Delmotte, stellte den Bericht bei der Pressekonferenz am 9. August vor – eine ihrer Aussagen war: "Unless there are immediate, rapid and large-scale reductions in greenhouse gas emissions, limiting warming to close to 1.5°C or even 2°C will be beyond reach.“

Anders als beim Fünften Sachstandsbericht konnte sich die Arbeitsgruppe I dieses Mal auf eine Aussage zur Klimasensitivität[3] einigen. Der beste Schätzwert liegt weiterhin bei 3 °C als Erwärmung, wenn die CO2-Konzentration gegenüber vorindustriellem Niveau verdoppelt wird. Allerdings wird als Spannbreite dazu zwischen 2 und 5 °C angegeben.

Und verglichen mit dem letzten Sachstandsbericht haben sich mittlerweile erfreulicherweise wissenschaftlich große Fortschritte beim Thema Attribution (also die Zuordnung von geschehenen Wetterextremen als Folgen der Klimaerwärmung) ergeben. Dies dürfte nicht nur für verbesserte Anpassungsplanung sorgen, sondern insbesondere Konsequenzen auf juristische Verfahren und für Klagen haben.

Eine hilfreiche Entwicklung ist außerdem das neue interaktive Atlas-Tool. Es zeigt, wie sich die Klimakrise in verschiedenen Regionen unter verschiedenen Szenarien (wahrscheinlich) auswirken wird. Je nachdem, wie schnell Emissionen reduziert werden. Außerdem dürften die Angaben zum Kohlenstoffbudget bei vielen Aktiven auf großes Interesse stoßen, weil daraus mögliche Reduktionspfade abgeleitet werden können, mit denen die Paris-Ziele noch erreicht werden.

Eine kurze Zusammenfassung

Der Berichtsteil der Arbeitsgruppe I (Klimawissenschaft) des IPCC für dessen 6. Sachstandsbericht sendet klare Botschaften an die Öffentlichkeit und die Politik aus:

  1. Die Wissenschaft ist sich so sicher wie nie, dass praktisch allein die menschlichen Aktivitäten die Ursache der beobachteten globalen Klimaänderung sind, welche bisher zu 1,1 Grad globaler Erwärmung gegenüber vorindustriellem Niveau führte und die unterschiedlichste regionale Ausprägungen hat.
  2. Die Folgen der menschgemachten Klimaänderung sind ausgeprägter als bisher angenommen und sie stellen sich teilweise früher ein als gedacht.
  3. Wie bereits im IPCC Sonderbericht zu 1,5°C Erwärmung (2018) erkannt, muss die Menschheit sofort wirksam und großskalig handeln, um auf einen 1,5°C kompatiblen Reduktionspfad zu kommen: Die weltweiten CO2-Emissionen müssen gegenüber heute bis zum Jahr 2030 fast halbiert werden.

Diese Aussagen müssen nun vom G20-Treffen wie auch vom Klimagipfel in Glasgow (COP 26) im November aufgenommen sowie konstruktiv verarbeitet werden, damit dies zu entsprechend passenden Maßnahmen zur Umsetzung führen.

Manfred Treber nahm bei der Abnahme des Berichtteils der IPCC Arbeitsgruppe I vom 22. Juli bis 6. August 2021 virtuell als zugelassener Beobachter teil.

 

[1] Die Arbeitsgruppe I von IPCC ist zur Klimawissenschaft, II zu Auswirkungen und Anpassung (Verabschiedung des Berichts 14. – 18. Februar 2022) sowie III zur Emissionsminderung (Verabschiedung des Berichts 21. – 25 März)

[2] Hier geht es um die weltweite Mitteltemperatur zu dem Zeitpunkt, der als ‚Beginn der Industrialisierung‘ gewählt wird. Selbsterklärend ist, dass die Wissenschaft zu dieser Zeit (also weit vor dem Jahr 1900) hinsichtlich Theorie und Messinstrumenten völlig anders war als heute. So muss die damals herrschende Temperatur rückblickend über Indikatoren und theoretische Überlegungen ermittelt werden.

[3] Die Klimasensitivität gibt die Erwärmung an, die sich mutmaßlich einstellt, wenn die CO2-Konzentration in der Atmosphäre doppelt so hoch ist wie in der vorindustriellen Zeit, d.h. bei einer Verdopplung der CO2-Konzentration von 280 auf 560 ppm.

Autor:innen

Manfred Treber

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