Pressemitteilung | 25.04.2024

Deutscher Erdüberlastungstag: Ab 2. Mai lebt Deutschland auf Kosten anderer

Wenn alle Menschen weltweit so leben und emittieren würden wie wir, wären bereits am kommenden Donnerstag alle natürlichen Ressourcen für dieses Jahr verbraucht / „Schuldenbremse“ in Bezug auf Überlastung der Erde nötig
Pressemitteilung

Berlin/Bonn. (25. April 2024) Wenn alle Menschen auf der Welt so leben und wirtschaften würden wie wir in Deutschland, wäre bereits am 2. Mai (Donnerstag) das Budget an nachhaltig nutzbaren Ressourcen und ökologisch verkraftbaren Emissionen für das gesamte Jahr aufgebraucht. Der deutsche Erdüberlastungstag markiert den Tag, ab dem wir bis Jahresende quasi ungefragt Schulden bei anderen machen: bei Menschen im globalen Süden, die deutlich weniger verbrauchen als ihnen zustünde, sowie bei Kindern und nachfolgenden Generationen, die mit den Folgen der jahrzehntelangen Übernutzung umgehen müssen. Der Tag wird jährlich vom Global Footprint Network (GFN) errechnet.

„Der deutsche Erdüberlastungstag ist eine Mahnung, jetzt in allen Bereichen die Rahmenbedingungen so zu verändern, dass nachhaltiges Verhalten zum neuen Normal wird“, so Aylin Lehnert, Bildungsreferentin bei Germanwatch. „Wir brauchen eine neue Schuldenbremse, eine Schuldenbremse in Bezug auf die Überlastung der Erde.“

Tendenziell nimmt die Erdüberlastung durch Deutschland seit 2010 zwar etwas ab – aber viel zu langsam. Wären vor 14 Jahren rechnerisch laut GFN 3,3 Erden nötig gewesen, wenn alle Menschen so leben und wirtschaften würden wie die Menschen hierzulande, sind es heute noch immer 3.

Binnen drei Jahren Wald von der doppelten Fläche Hamburgs zerstört

Großen Einfluss auf den Verbrauch natürlicher Ressourcen hat der nach wie vor sehr hohe Konsum von Fleisch und anderen tierischen Produkten. In Deutschland werden rund 60 Prozent der Agrarfläche für die Produktion von Futtermitteln verwendet. Konstantinos Tsilimekis, Experte für Welternährung und Landnutzung bei Germanwatch, erklärt: „Allein 56 Prozent des hierzulande erzeugten Getreides gehen in die Futtertröge. Da die einheimischen Futtermittel dennoch nicht ausreichen, um den hiesigen Bedarf für die Tiere zu decken, werden zusätzlich massiv Flächen im Ausland in Anspruch genommen – 2022 etwa wurden 3,4 Millionen Tonnen Soja für die Verfütterung nach Deutschland importiert. Der Anbau solcher Futtermittel ist seit Jahrzehnten ein zentraler Treiber für die Vernichtung von Wäldern und den Verlust von Biodiversität. Allein von 2016 bis 2018 stand die Zerstörung von 138.000 Hektar Tropenwald weltweit in Verbindung mit dem Verbrauch in Deutschland. Das ist fast die doppelte Fläche einer Millionenstadt wie Hamburg. Um die Zerstörung von Naturflächen spürbar zu reduzieren und auch hierzulande wertvolle Flächen wie zum Beispiel Moore renaturieren zu können, müssen wir die Zahl der Nutztiere verringern und angebaute Nahrungsmittel mehr direkt konsumieren“, so Tsilimekis.

Unter anderem jüngste Untersuchungen des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) belegen, dass eine weltweite Umstellung auf eine nachhaltige und fleischarme Ernährung die Chancen für eine Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius deutlich erhöhen würde.  Tsilimekis verweist zudem auf Empfehlungen wie die der Deutschen Gesellschaft für Ernährung: „Weniger Tierprodukte und eine pflanzenbasierte Ernährung schonen nicht nur die Umwelt, sondern auch das Klima und die eigene Gesundheit.“

Eine gesündere und ressourcenschonende Ernährung erreiche man aber nicht allein mit Appellen. „Es ist eine politische Aufgabe, nachhaltigere Angebote in der Gemeinschaftsverpflegung, etwa in Kantinen, sowie steuerliche Anreize für pflanzenbasierte Nahrungsmittel zu schaffen.“ Gleichzeitig müssen auch gangbare Geschäftsmodelle gemeinsam mit den Landwirt:innen entwickelt werden. „Ein guter Ausgangspunkt dafür könnte das erst kürzlich initiierte Chancenprogramm Höfe der Bundesregierung sein. Dieses soll dazu dienen, Bauern und Bäuerinnen die Umstellung von der Tierhaltung hin zur Produktion von eiweißreichen pflanzlichen und klimafreundlichen Lebensmitteln zu ermöglichen“, so Tsilimekis.

Alle können ihren Handabdruck hinterlassen

Auch der Deutsche Ethikrat mahnt in seiner aktuellen Stellungnahme zu Klimagerechtigkeit politische Maßnahmen an: „Es ist unangemessen, wenn staatliche Akteure von Individuen emissionsärmeren Konsum erwarten, solange innerhalb der vom selben Staat gewollten und unterstützten Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung die Voraussetzungen dafür zu einem guten Teil nicht erfüllt sind oder sogar konterkariert werden, so dass emissionsärmeres Handeln in vielen Feldern immer noch „moralisches Heldentum“ verlangt. Eine moralische Kritik an Entscheidungen im Bereich der privaten Lebensführung und des Konsums ist kein Ersatz für notwendige politische Maßnahmen.“
Germanwatch bietet mit dem „Handabdruck“-Konzept Ansätze für transformatives Engagement über die Verkleinerung des individuellen CO2-Fußabdrucks hinaus. „Wir setzen uns für die Vergrößerung der bleibenden Spuren des Engagements in der Gesellschaft ein. Der Handabdruck befähigt dazu, durch gesellschaftliches Engagement Strukturen so zu verändern, dass Nachhaltigkeit für alle zum preiswerten und praktischen Standard wird“, betont Aylin Lehnert.

Stefan Rostock, Bereichsleiter Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) bei Germanwatch, ergänzt: „Bildung für nachhaltige Entwicklung gehört in die Schulen. Die Beschäftigung mit dem Handabdruck befähigt Lernende, ganz konkret in ihrem Umfeld Strukturen hin zu mehr Nachhaltigkeit zu verändern. Das wäre ein großer Beitrag dazu, den deutschen Erdüberlastungstag zügig Richtung Jahresende zu verschieben.“

Hintergrund
Der Erdüberlastungstag (EÜT) wird jedes Jahr vom Global Footprint Network errechnet. Es wird einerseits für jedes Land ein nationaler Erdüberlastungstag ermittelt – wie jetzt für Deutschland. Andererseits wird auch der globale Erdüberlastungstag berechnet, der sich auf die weltweite Ressourcennutzung bezieht. Dabei werden zwei rechnerische Größen gegenübergestellt: zum einen die biologische Kapazität der Erde zum Aufbau von Ressourcen sowie zur Aufnahme von Müll und Emissionen; zum anderen Wälder, Flächen, Wasser, Ackerland und Fischgründe, die die Menschen derzeit für ihre Lebens- und Wirtschaftsweise verbrauchen. Der globale EÜT war im vergangenen Jahr am 2. August.