Blogpost | 04.12.2019

Artikel 6: Risiko für die Umweltintegrität oder Hebel für Ambitionssteigerung?

"Regelwerk zum globalen Emissionshandel muss zusätzlichen Klimaschutz befördern."
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Bis zum 13. Dezember beraten Experten aus Politik, Wissenschaft und Verbänden auf der Weltklimakonferenz über die Umsetzung des Pariser Abkommens. Ein großes Thema: Der globale Handel mit Emissionsrechten. Dieser muss richtig ausgestaltet werden, damit er einen wirklichen Beitrag zum Klimaschutz leisten kann.

Ein Gastbeitrag von Linus Herzig, Referent für CO2-Preise, Germanwatch

"Im Fokus der diesjährigen Weltklimakonferenz in Madrid stehen die Verhandlungen rund um die Umsetzung des Artikels 6 des Pariser Klimaabkommens. Dieser regelt insbesondere den künftigen internationalen Handel mit Emissionen bzw. Emissionsreduktionen. Gerade für die deutsche Debatte könnte Artikel 6 zunächst vielversprechend erscheinen. Denn obwohl breite Teile der Bevölkerung einen ambitionierten Klimaschutz unterstützen, ist es der Bundesregierung mit dem Klimapaket nicht gelungen, ein geeignetes Maßnahmenpaket zum Erreichen der nationalen 2030-Klimaziele zu beschließen. Aller wissenschaftlichen Empfehlungen zum Trotz wurde auch die Chance vertan, einen sozialverträglichen CO2-Preis mit Lenkungswirkung einzuführen. Die Option, Emissionsreduktionen im Ausland zu finanzieren, könnte somit verlockend wirken.


Doppelzählungen verhindern

Artikel 6 birgt jedoch zentrale Risiken für die Umweltintegrität des Pariser Abkommens. Um diese zu verhindern, muss ein robustes Regelwerk beschlossen werden. Zentral ist dabei, Doppelzählungen zu verhindern - sowohl beim zwischenstaatlichen Handel als auch im Zusammenspiel mit privatwirtschaftlichen Initiativen wie dem ICAO-Offsetting-System CORSIA (für die Luftfahrt). Denn findet eine Reduktion nur einmal statt, wird aber von zwei Parteien angerechnet, wird das Ambitionsniveau des globalen Klimaschutzes in der Realität gesenkt.

Zudem müssen die Fehler der Vergangenheit vermieden werden. Denn viele Projekte im Rahmen der Vorgängerinstrumente, dem „Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung“ und der „Gemeinsamen Umsetzung“ haben kaum einen Klimaschutzbeitrag geleistet. Außerdem ist es durch die Projekte oft zu Verletzungen von Menschenrechten und Sozialstandards gekommen.

Auch sollten keine Zertifikate für Emissionsreduktionen aus dem Kyoto-Regime für das Erreichen der künftigen Klimaziele anerkannt werden. Dieser Klimaschutz wurden in der Vergangenheit erbracht und eine Anerkennung würde de facto zu einer Senkung der im Pariser Abkommen vereinbarten Klimaziele führen. Bei einer Anerkennung droht zudem eine Marktschwemme an verfügbaren Zertifikaten, die die Effektivität der Mechanismen von Anfang an verwässern könnte.


Automatische Löschungsrate vielversprechend

Einen positiven Beitrag könnte Artikel 6 dann leisten, wenn er zu zusätzlichen, weitreichenden Emissionsreduktionen führt. Hierfür wäre besonders die Einführung einer substanziellen, automatischen Löschungsrate vielversprechend. Dabei kauft eine Partei Reduktionen, kann sich aber nur einen Teil davon anrechnen lassen. Die Differenz können weder Verkäufer noch Käufer nutzen. Sie wird für den globalen Klimaschutz gewonnen.

Insgesamt sollte die Frage, ob und inwieweit Deutschland und die EU künftig überhaupt von Artikel 6 Gebrauch machen, erheblich davon abhängig gemacht werden, ob das Regelwerk die Umweltintegrität bewahrt, zu zusätzlichen und weitreichenden Emissionsreduktionen führt und die Einhaltung von Menschenrechten und Sozialstandards sichert.


Treibhausgasneutralität möglichst 2040

Doch auch wenn dies gelingt, darf die Politik nicht der Idee verfallen, fortan Klimaschutz vor allem im Ausland einkaufen zu können. In allen Ländern muss spätestens 2050 Treibhausgasneutralität erreicht sein. Um einen fairen Beitrag zum Pariser Abkommen zu leisten, muss auch Deutschland seine Emissionen in den kommenden Jahren massiv senken und als Industrieland möglichst schon bis 2040 treibhausgasneutral sein. Artikel 6 darf keine Ausrede werden, daheim nicht das Notwendige zu tun, also zeitnah Klimapaket und CO2-Preis nachzubessern. Nur wenn er transformatives Handeln zuhause nicht ausbremst, sondern zusätzlichen Klimaschutz erreicht, ist er hilfreich für die Umsetzung der Pariser Klimaziele."

 

Dieser Beitrag ist zuerst auf energate-messenger.de am 02.12.2019 erschienen