Neuer Klimaschutz-Index: Noch kein Land gut genug - EU steht am Scheideweg
Berlin/Bonn (7. Dez. 2020). Wenige Tage vor Beginn des EU-Gipfels zum Klimaziel 2030 zeichnet der heute veröffentlichte Klimaschutz-Index 2021 ein zwiespältiges Bild der Europäischen Union. Während vor allem die skandinavischen EU-Staaten, Aufsteiger Portugal und die EU selbst mit recht guten Noten in der Top-Region des Index zu finden sind, gibt es mit Ungarn, Polen, Tschechien, Slowenien und Zypern auch Ausreißer nach unten. „Unser Klimaschutz-Index zeigt deutlich, dass die EU am Scheideweg steht", sagt Jan Burck, Hauptautor des von seiner Organisation Germanwatch in Kooperation mit dem NewClimate Institute erstellten Index. „Die EU kann mit einem grün ausgerichteten Wiederaufbau nach der Corona-Krise, einem ehrgeizigeren neuen Klimaziel für 2030 und einer guten Umsetzung und Weiterentwicklung ihres Green Deal zum Zugpferd beim Klimaschutz werden. Sie kann aber auch schwer ins Straucheln geraten, wenn sie Greenwashing statt Green Recovery betreibt und unzureichende Ziele sowie Instrumente im European Green Deal umsetzt."
In der Gesamtwertung konnte sich die EU um sechs Plätze auf Rang 16 verbessern, allerdings fast ausschließlich dank einer stark besser bewerteten Klimapolitik. „In der Platzierung stecken also ein paar Vorschuss-Lorbeeren", so Burck. „Sollte die EU beim Klimaziel für 2030 oder bei der Umsetzung des Green Deal nun doch enttäuschen, wäre ein Absturz im kommenden Jahr sicher." Der Klimaschutz-Index analysiert und vergleicht den Klimaschutz in den 57 emissionsstärksten Ländern und der EU (gesamt), welche für insgesamt 90 Prozent der weltweiten Emissionen verantwortlich sind.
Emissionen sinken in mehr als der Hälfte der analysierten Staaten
Auch global scheint ein Wendepunkt zum Greifen nah. Zwar ist kurz vor dem kleinen UN-Klimagipfel am kommenden Samstag noch immer kein Land auf einem Pfad zu den Pariser Klimazielen - daher bleiben die ersten drei Plätze im Index erneut unbesetzt - aber der Höhepunkt bei den weltweiten Emissionen könnte erreicht sein. Der aktuelle Index betrachtet noch die Emissionen vor Beginn der Corona-Pandemie, zeigt also kein durch die Auswirkungen der Krise verzerrtes Bild. Die CO2-Emissionen stiegen insgesamt nur noch ganz leicht an, in mehr als der Hälfte der betrachteten Staaten sanken sie (32). In zwei Drittel der Länder (38) werden nun mehr als zehn Prozent der insgesamt benötigten Energie aus Erneuerbaren Energien gewonnen – in zwölf davon sogar mehr als 20 Prozent.
"Umso wichtiger ist es jetzt, dass die weltweiten Konjunkturpakete nicht nur die Wiederbelebung der Wirtschaft unterstützen, sondern auch auf eine CO2-freie Wirtschaft vorbereiten. Ob die Mehrheit der für den Index untersuchten Maßnahmen die Treibhausgasemissionen reduziert oder erhöht, ist noch offen. Aber es gibt noch Raum, die Konjunkturpakete zu gestalten - viele gute Maßnahmen sind im Gespräch", sagt Prof. Dr. Niklas Höhne vom NewClimate Institute, Co-Autor des Index.
Schweden an der Spitze (Platz 4, Kategorie "gut") bleibt das vierte Jahr in Folge internationales Vorbild im Klimaschutz. Zwar ist auch Schweden kein „Klima-Musterland" und noch nicht ganz auf dem Weg zum Erreichen der Pariser Klimaziele. Aber das Land setzt Maßstäbe in den Bereichen CO2-Emissionen, erneuerbare Energien und Klimapolitik (jeweils in der Spitzengruppe), nur der sehr hohe Energieverbrauch pro Einwohner (Platz 49) verhindert eine noch bessere Bewertung. Im Gesamt-Ranking folgen Großbritannien (5.) und Dänemark (6.). Zu den großen Aufsteigern gehören Portugal (von Platz 25 auf 17) und Neuseeland (von 37 auf 28).
“Die drei Nicht-Industrienationen Marokko, Chile und Indien zeigen mit ihrer Platzierung in den Top Ten des Index, dass Klimaschutz nicht nur Industriestaaten vorbehalten ist. Vergleichsweise ehrgeizige Klimaschutzziele kombiniert mit einem ambitionierten Ausbau der Erneuerbaren Energien bei insgesamt niedrigem Emissionsniveau führen hier zu einer deutlich besseren Bewertung als bei vielen reicheren Staaten", sagt Niklas Höhne.
Desaströs ist erneut das Abschneiden der USA: Im letzten Jahr unter Donald Trump liegen sie zum zweiten Mal in Folge noch hinter Saudi-Arabien am Ranking-Ende. Die USA landen in drei der vier Kategorien (Ausnahme Erneuerbare Energien: "schwach") in der Schlussgruppe („sehr schwach") und erhalten in der Klimapolitik als einziges Land neben Australien und Algerien sowohl bei der nationalen als auch der internationalen Politik die schlechteste Bewertung „sehr schwach". Die Pläne des designierten neuen Präsidenten Biden eröffnen große Chancen, dass sich diese Bewertung deutlich verbessern könnte – allerdings nur, wenn die Ankündigungen aus dem Wahlkampf tatsächlich umgesetzt werden. Angesichts der noch unklaren Mehrheitsverhältnisse im Senat ist unsicher, wie viel davon realisiert wird.
Deutschland zum zweiten Mal in Folge etwas verbessert - gute internationale Klimapolitik
Deutschland hat sich nach dem Tiefpunkt vor zwei Jahren (Platz 27) zum zweiten Mal in Folge etwas verbessert und landet nun im oberen Mittelfeld auf Rang 19 (Vorjahr 23) - es reicht allerdings noch nicht für die Kategorie "gut". Deutschlands Problemfelder sind ein für die Umsetzung der Pariser Klimaziele deutlich zu schwaches Ziel für erneuerbare Energien, viel zu wenig Fortschritt im Verkehrssektor sowie ein noch immer hoher Energieverbrauch und auch hohe Emissionen pro Einwohner. Der Trend bei beiden letztgenannten Indikatoren hat sich jedoch verbessert. „Zum leicht verbesserten Abschneiden Deutschlands tragen auch gute Noten für die internationale Klimapolitik bei - zum Beispiel im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft bisher. Trotz nur mittelmäßiger Noten für die nationale Klimapolitik schafft es Deutschland deshalb in der Kategorie Klimapolitik in den Bereich ‚gut‘", erklärt Jan Burck. „In allen drei übrigen Kategorien reicht es nur für die Bewertung ‚mittelmäßig‘. Dies ließe sich insbesondere mit ambitionierteren Ausbauzielen bei den Erneuerbaren Energien und deutlichen Korrekturen bei den Sektoren Verkehr und Gebäude sowie beim Kohleausstieg verbessern. Die Umsetzung eines EU-Klimaziels von mindestens minus 55 Prozent bis 2030 könnte neben dem European Green Deal dafür die Initialzündung sein, auch wenn selbst das noch kein ganz ausreichender Beitrag für das Einhalten des 1,5 Grad-Limits wäre."