Pressemitteilung | 22.11.2016

EU einigt sich bei Konfliktrohstoff-Verordnung - weitere Ausnahmen hinzugefügt

Zivilgesellschaftliche Organisationen fordern Maßnahmen gegen Aushöhlung der Verordnung durch Schlupflöcher.
Bild: Pressemitteilung ohne Schriftzug

Berlin (22. November 2016). Die Europäische Union hat heute einen positiven, aber halbherzigen Schritt in Richtung eines verantwortungsbewussteren Handels mit Rohstoffen unternommen. Die EU-Gesetzgeber haben ihre Verhandlungen über die so genannten Konfliktmineralien abgeschlossen. Das Ergebnis ist eine Verordnung, die gewährleisten soll, dass in die EU importierte Rohstoffe keine Konflikte oder Menschenrechtsverletzungen finanzieren. Einige europäische Unternehmen werden so zum ersten Mal gesetzlich dazu verpflichtet, Verantwortung für ihre Rohstofflieferketten zu übernehmen und Maßnahmen zu ergreifen, die eine Konfliktfinanzierung oder Menschenrechtsverletzungen unterbinden. Doch eine Reihe an Zugeständnissen sowie in letzter Minute geschaffene Schlupflöcher könnten die Auswirkungen der Verordnung untergraben, da sie zahlreiche Unternehmen von dem Gesetz befreien. Zivilgesellschaftliche Organisationen, darunter Amnesty International, Global Witness, der Arbeitskreis Rohstoffe und Germanwatch, rufen die EU und ihre Mitgliedsstaaten dazu auf zu gewährleisten, dass diese Ausnahmeregelungen nicht die genannten Ziele der Verordnung aushöhlen.

„Diese Verordnung ist ein willkommener Schritt nach vorn”, sagt Michael Gibb von Global Witness. „Aber während die EU ein klares Signal an eine kleine Gruppe von Unternehmen sendet, vertraut sie letztlich darauf, dass viele andere Unternehmen sich weiterhin selbst regulieren werden. Diese
Unternehmen müssen nun beweisen, dass das in sie gebrachte Vertrauen gerechtfertigt und verdient ist. Wir erwarten von unseren Gesetzgebern, dass sie handeln, wenn dem nicht so ist.“

Die EU ist ein bedeutender Zielort für Rohstoffe, sowohl als Markt für unverarbeitete Materialien als auch für jene Alltagsprodukte, die diese beinhalten: von Laptops und Smartphones über Motoren bis hin zu Schmuck. Die Verordnung deckt alle EU-Importe der Rohstoffe Zinn, Wolfram, Tantal und Gold aus allen Staaten der Welt ab. Sie ist damit das erste verbindliche Gesetz, das einen globalen Geltungsanspruch hat. Aber während freiwillige, globale Standards im Rohstoffhandel verlangen, dass die gesamte Lieferkette einem Prozess der Sorgfaltspflicht unterliegt, werden die verbindlichen Vorschriften der EU nur einen kleinen Teil der Lieferkette abdecken. In Missachtung des ambitionierteren Vorschlags des Europäischen Parlaments vom Mai 2015 sind nun nur jene Unternehmen betroffen, die Rohstoffe in ihrer unverarbeiteten Form importieren – also als Erze und Metalle. Unternehmen, die genau die gleichen Rohstoffe als fertige Komponenten oder Produkte in die EU bringen, werden aus der Verantwortung genommen. In einer späten Etappe der Verhandlungen haben EU Mitgliedsstaaten auch erfolgreich auf eine Reihe von Import-Schwellenwerten gedrängt. Diese werden die Zahl der Unternehmen, die zur Einhaltung der Verordnung verpflichtet sind, noch weiter verringern.

„Diese in Bezug auf Importvolumen geltende Schwellenwerte, die Unternehmen von der Einhaltung der Verordnung ausnehmen, sind gefährliche Schlupflöcher“, sagt Nele Meyer von Amnesty International. „So können Rohstoffe im Wert von Millionen von Euro ohne genauere Prüfung in die EU gelangen – und oft sind das genau jene, die das höchste Risiko bergen, mit Konflikten in Verbindung zu stehen. Dieses neue Gesetz kann nur der erste Schritt nach vorne sein. Zusätzliche Maßnahmen müssen gewährleisten, dass alle Firmen ihre Lieferketten angemessen überprüfen können und werden.“

Sogar Unternehmen, die zur Einhaltung der Verordnung verpflichtet sind, wird noch ein weiteres Schlupfloch angeboten. Denn die Europäische Kommission hat der Anerkennung der Standards von privaten Industrieinitiativen zugestimmt, mit deren Hilfe Unternehmen ihre Pflichten der Überprüfung von Lieferketten zunehmend ausgelagert haben. Mitglieder dieser akkreditierten Industrieinitiativen werden von der begrenzten Aufsicht und Kontrolle profitieren. Darüber hinaus werden sie dazu  ermutigt, ihre Rohstoffe von einer Liste mit „verantwortungsvollen“ Schmelzen und Raffinerien zu beziehen. Dies ist deshalb problematisch, weil nur wenige Überprüfungsmechanismen eingeführt werden, die das Verhalten der auf dieser Liste stehenden Unternehmen tatsächlich evaluieren können.

Die Verordnung wird nicht sofort in Kraft treten, sondern auf Beschluss der Gesetzesgeber nach einer langwierigen Übergangsphase.

„Das Gerede von einer Übergangsphase ist ein Ablenkungsmanöver. Die Verordnung spiegelt nur Verantwortlichkeiten wieder, die Unternehmen schon seit vielen Jahren haben. Die Industrie hat alle notwendigen Werkzeuge und Informationen,  um dieser Verantwortung gerecht zu werden. Es wurde genug Zeit verschwendet, um nach Wegen zu suchen, wie sich Unternehmen vor ihren Pflichten drücken können. Jetzt muss der Fokus darauf liegen, zu gewährleisten, dass sie ihre Verantwortung so bald wie möglich wahrnehmen“, sagt Michael Reckordt von PowerShift.

Alleine kann diese Handelsverordnung nicht Frieden und Wohlstand in die vom Rohstofffluch betroffenen Gemeinschaften vor Ort bringen. Die Zivilgesellschaft hat die ganzheitliche Herangehensweise der EU begrüßt und fordert nun Entscheidungsträger der EU und Mitgliedsstaaten dazu auf, die neue Verordnung mit diplomatischen und entwicklungspolitischen Begleitmaßnahmen zu komplementieren.

„Der Abschluss dieser Verhandlungen ist trotz der begrenzten Reichweite des Gesetzes ein wichtiger Erfolg. Aber es ist der Anfang eines Prozesses und nicht das Ende. Es ist jetzt an der Zeit, dass Unternehmen zeigen, dass sie ihre Verantwortung ernst nehmen; dass EU Mitgliedsstaaten zeigen, dass sie hinter den nun etablierten Standards stehen und sie auch durchsetzen; und dass die EU Gebrauch von all ihren Ressourcen zu macht, um einen nachhaltigeren und verantwortungsvolleren Handel mit Rohstoffen zu fördern“, sagte Frederic Triest von Eurac.

Hintergrund

Die EU hat eine politische Vereinbarung im Juni 2016 erzielt, die das politische Umfeld für die Verordnung gesetzt hat. In den darauffolgenden technischen Diskussionenwurde der finale Text für die Verordnung entwickelt. Dieser „Trilog“-Prozess endete heute mit der Einigung zwischen Europäischer Kommission, Europäischem Parlament und dem Rat. Rat und Parlament werden nun über den Text abstimmen.

Die Verordnung betrifft Unternehmen, deren Importe von Erzen oder Metallen von Zinn, Tantal, Wolfram oder Gold in die EU spezifische jährliche Schwellenwerte überschreiten. Das Gesetz verpflichtet die Unternehmen dazu, Sorgfaltspflichten bzgl. ihrer Lieferkette wahrzunehmen. Diese Sorgfaltspflichten stimmen weitestgehend mit den Anforderungen der „Due Diligence Guidance for Responsible Mineral Supply Chains of Minerals from Conflict-Affected and High-Risk Areas“ der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) überein. Im Gegensatz zu der EU-Verordnung gelten diese Richtlinien für alle mineralischen Rohstoffe und für die gesamte Lieferkette, einschließlich der Unternehmen von der Schmelze bis zum fertigen Produkt.
Sorgfaltspflichten in der Rohstofflieferkette zielen nicht darauf ab, auf den Rohstoffbezug aus fragilen und Hochrisiko-Gebieten zu verzichten. Stattdessen ist ihr Ziel, einen verantwortungsbewussteren und transparenteren Handel mit diesen Regionen anzuregen und zu fördern.