Blogpost | 30.06.2020

EU- Konjunkturpakete: Wo grün und Zukunft draufsteht, muss auch grün und Zukunft drin sein

Blogpost

Die ersten Hürden sind genommen: Nach Zustimmung aus dem Parlament und dem Bundesrat kann die deutsche Bundesregierung ihr Konjunkturpaket auf den Weg bringen. Auch die EU-Kommission hat mit einem 750-Milliarden-Programm ihren Vorschlag für den europäischen Wiederaufbau vorgelegt. Wenn das gelingt und gut umgesetzt wird, setzt die EU damit Maßstäbe bei europäischer Solidarität und Klimaschutz. Das europäische Konjunkturprogramm soll noch vor der Sommerpause und unter Deutschlands EU-Ratspräsidentschaft verabschiedet werden. Bisher standen die Chancen gut, dass sich auf EU-Ebene die milliardenschweren Programme zur Bewältigung der Wirtschaftskrise rhetorisch an Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit orientieren. Doch die Instrumente, die das sicherstellen und kontrollieren könnten, drohen blockiert zu werden.

 

EU kann mit weltweit erster "grüne Liste" für nachhaltiges Wirtschaften globale Standards setzen

Die EU hat gerade erst am 18. Juni 2020 ein wegweisendes Instrument zur Klassifizierung von nachhaltigen Investitionen verabschiedet. Mit dieser sogenannten Taxonomie-Verordnung wird die weltweit erste "grüne Liste" für nachhaltige Investitionen in Wirtschaftstätigkeiten geschaffen. Um als ökologisch nachhaltig zu gelten,

  1. muss die Investition in eine Wirtschaftsaktivität einem von sechs EU-Umweltzielen dienen – das sind u.a. Klimaschutz, Anpassung an den Klimawandel, Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft oder Wiederherstellung der Biodiversität;
  2. darf sie keinem dieser Ziele schaden (diese Einhaltung von grundlegenden Standards zu allen sechs Umweltzielen wird "do-no-significant-harm"-Prinzip genannt);
  3. müssen soziale Mindestbedingungen, wie die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), erfüllt werden ("minimum social safeguards") und
  4. müssen die sogenannten technischen Prüfkriterien (bspw. die verursachten Tonnen CO2 pro produzierter Tonne Zement) für die Bewertung der Wirtschaftstätigkeit erfüllt werden.

Die Verordnung wird ab 2022 in Kraft treten und Anwendung auf alle Finanzprodukte in der EU finden. Spätestens dann müssen Finanzmarktakteur_innen, die ihre Produkte innerhalb der EU verkaufen, den Anteil ihrer Investitionen in ökologisch nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten offenlegen. Somit hat sie nicht nur weitreichende Implikationen auf alle Sektoren der Realwirtschaft innerhalb der EU: Kapitalströme, und damit auch die konkrete Finanzierung von Unternehmen, werden zukünftig von Finanzmarktakteur_innen wie Investor_innen, Versicherungen und Banken mittels der Kriterien des Klassifizierungssystems offengelegt und bewertet. Hier sollte die EU ihr Potenzial nutzen, ambitionierte globale Standards zu setzen und somit auch ihre Wettbewerbsfähigkeit für eine zukunftsorientierte Wirtschaft zu stärken. Obwohl die Anwendung der EU-Taxonomie für Nicht-EU-Finanzmarktteilnehmer_innen nicht bindend sein kann (es sei denn, sie sind auf EU-Märkten aktiv), blicken die internationalen Finanzmärkte gespannt auf die EU. Denn u.a. auch Malaysia, Kanada, Australien oder Japan arbeiten an ihren eigenen Klassifizierungssystemen. Mit China verhandelt die EU unter deutscher Ratspräsidentschaft über eine Abstimmung wesentlicher Vorschriften. Wenn so große Märkte gemeinsam agieren würden, werden sich die meisten internationalen Investor_innen weltweit daran orientieren.

Noch bis Ende des Jahres sollen mehrere delegierte Rechtsakte angenommen werden, die für eine Umsetzung der Klassifizierung und Verordnung erforderlich sind. Diese wichtigen Schritte fallen also in die deutsche EU-Ratspräsidentschaft, die von morgen an bis Ende des Jahres andauert.

So weit, so gut. Doch derzeit zeigt sich, dass sich in der EU Gegner der Umsetzung der Verordnung für die milliardenschweren Konjunkturpakete formieren. Die einen haben Angst, dass die Atomkraft, andere, dass die Gaswirtschaft dann ausgeschlossen ist. Und wieder andere stört der ganze Kurs.  

 

Green Recovery oder Greenwash? Schlupflöcher sollen Konjunkturprogrammen die Wirkung nehmen

Die kritischen Stimmen aus Mitgliedsstaaten wie Polen oder von Lobbyvertreter_innen entsprechender Industrien attackieren vor allem, dass die Investitionen nicht nur ein Umweltziel unterstützen, sondern auch nachweisen sollen, dass sie die anderen Ziele nicht untergraben ("do-no-harm"-Prinzip). Genau diese, im Vorschlag der Kommission zum EU-Konjunkturprogramm verankerte Prüfung ist aber notwendig, um sicherzustellen, dass die Wirtschaftshilfen die Klima- und Umweltziele des Europäischen Green Deals nicht torpedieren. 

Als Argument wird angeführt, dass die delegierten Rechtsakte für die Anwendbarkeit der Taxonomie noch fehlen. Zur Erinnerung: diese sollen bereits bis Ende dieses Jahres erlassen werden, während erste Gelder aus den Konjunkturprogrammen erst ab Anfang 2021 fließen werden. Die technischen Expert_innen haben ihre Arbeit getan und halten die Verordnung auch in aktueller Form für anwendbar. Es ist nur ein vorgeschobenes Gegenargument, dass man auf den Abschluss des legislativen Prozesses warten müsse. Und dass die Taxonomie in Zukunft um weitere soziale und ökologische Kriterien erweitert werden soll, ist erst recht kein Argument, die beschlossenen Kriterien nicht anzuwenden. Es geht darum, jetzt schon die wegweisenden Weichen stellen, damit die EU nachhaltig und zukunftssicher aus der Krise kommt. 

Und wer jetzt die Debatte nach Förderung von fossiler Gasinfrastruktur oder Atomkraft wiederaufnehmen will – nachdem die technische Arbeit abgeschlossen und vereinbart ist und diese Frage einen Großteil des legislativen Prozesses, auch die Verabschiedung durch das EU-Parlament, durchlaufen hat – möchte letztlich den notwendigen Strukturwandel blockieren und öffnet die Tür zu einer generellen Taxonomie-Aufweichung. Nein, wo grün und Zukunft draufsteht, muss auch grün und Zukunft drin sein.

 

Finanzsektor als Vorreiter – Politik muss gestalten

Die deutsche Förderbank KfW hat gezeigt, dass man die Taxonomie anwenden kann, bevor es die finalen delegierten Rechtsakte gibt: Die Mindestanforderungen für ihr Förderprogramm "Klimaschutzoffensive für den Mittelstand" sind bereits an die Prüfkriterien für nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten angelehnt.

Auch viele private Akteur_innen im Finanzsektor scheinen an dieser Stelle bereits einen Schritt weiter zu sein. So veröffentlichten heute 16 Akteur_innen des deutschen Finanzsektors eine Selbstverpflichtung, die Pariser Klimaziele zu erreichen und bis spätestens Ende 2022 sektorspezifische, wissenschaftsbasierte Klimaziele für ihre Portfolien zu formulieren, zu veröffentlichen und sie entsprechend zu steuern. Gleichzeitig fordern Finanzmarktakteur_innen und Unternehmen von der Politik seit langem mehr Investitionssicherheit zu schaffen, denn Selbstverpflichtungen und Freiwilligkeit sind auch auf politische Fahrpläne und Rahmensetzung angewiesen.

 

Die EU zukunftssicher und nachhaltig aus der Krise führen

Die EU muss wirkungsvolle Handlungsfähigkeit auch gegenüber den USA und China sicherstellen. Die deutsche Ratspräsidentschaft muss sich an ihrer Führungsrolle in Krisenzeiten messen lassen. Sie muss die Chance nutzen, die EU zukunftssicher und nachhaltig aus der Krise zu führen. Dazu gehört einerseits ein kluges Konzept der Solidarität und andererseits, dass die mit Milliarden geförderten Investitionen aus den EU-Konjunkturprogrammen mit Klimaschutz und Nachhaltigkeit kompatibel sind. Das aktuelle Programm der deutschen Ratspräsidentschaft bleibt hier zu vage. Deutschland muss sich dafür einsetzen, dass die EU-Taxonomie schnellst möglichst eingesetzt und nicht durch die Hintertür neu verhandelt wird. Nach dem klaren Bekenntnis zur Taxonomie von Bundesumweltministerin Svenja Schulze und Bundesfinanzminister Olaf Scholz, muss sich nun auch die Kanzlerin Angela Merkel für die Anwendung der Verordnung stark machen – innerhalb der Bundesregierung, aber auch bei den kritischen Mitgliedstaaten. Bereits am 17. und 18. Juli beim Treffen des Europäischen Rats muss sich Merkel offensiv dafür einsetzen.

Wenn – sicher für lange Zeit zum letzten Mal – so viel öffentliches Geld ausgegeben wird, darf dieses nicht die grundlegenden Krisen unserer Lebensgrundlagen – Klima und Biodiversität – befeuern. Klare nachhaltigkeitsbezogene Prüfanforderungen an öffentliche Investitionen sind unerlässlich. So sieht Zukunftsverantwortung aus, an der der Erfolg der deutschen EU-Ratspräsidentschaft gemessen wird.