Blogpost | 14.01.2021

Wasserstoff: Eine zukunftsfähige Option für die Energiebeziehungen zwischen der EU und Russland?

Blogbeitrag: Wasserstoff 2021-01-15

Die Europäische Kommission setzt auf Wasserstoff aus erneuerbarem Strom, um die Dekarbonisierung der verschiedenen Sektoren voranzutreiben und Klimaneutralität 2050 möglich zu machen. Doch was bedeutet das für die Zukunft der Energieimporte aus Russland, dem aktuell größten Erdgaslieferanten der Europäischen Union? Eine Chance, finden die Autor*innen dieses Hintergrundartikels und arbeiten Herausforderungen und erste Schritte dazu heraus, wie diese Möglichkeit gehoben werden kann.

Die Europäische Union und viele Mitgliedsstaaten setzen auf grünen Wasserstoff aus erneuerbarem Strom, um die Dekarbonisierung in verschiedenen Sektoren voranzutreiben und so ihre Klimaziele bis 2050 zu erreichen. Dazu hat die Europäische Kommission im Juli 2020 eine neue Wasserstoffstrategie verabschiedet. Grüner Wasserstoff soll ein wesentlicher Bestandteil des europäischen Energiesystems werden und bis 2050 großflächige Anwendung in den Bereichen der Energiespeicherung, des Schwerlasttransports, Flug- und Schiffsverkehrs und der energieintensiven Industrie finden – in diesen Bereichen sind die Möglichkeiten der direkten Elektrifizierung begrenzt. Um einen Markthochlauf für Wasserstoff zu ermöglichen werden jedoch auch alternative Herstellungsverfahren für klimafreundlichen Wasserstoff aus fossilen Brennstoffen in Erwägung gezogen.

Um die benötigten Mengen grünen Wasserstoffs zu produzieren, müsste sich die Stromproduktion aus erneuerbaren Energien in Europa deutlich erhöhen. Bisher sind 30,7 Prozent des Stroms in der EU erneuerbar. Der bisher geplante Kapazitätsausbau wird zunächst im Stromsektor benötigt und steht daher nur sehr begrenzt für grünen Wasserstoff zur Verfügung. Die Nachfrage nach Wasserstoff wird also mit hoher Wahrscheinlichkeit auch durch Importe gedeckt werden. Hydrogen Europe und Industrieverbände aus der Ukraine und Nordafrika haben einen gemeinsamen Plan vorgelegt, bis 2030 40 GW Elektrolyseure – Anlagen zur elektrischen Herstellung von Wasserstoff – in Europa und weitere 40 GW in den Nachbarstaaten zu installieren.

Auch für die europäisch-russischen Energiebeziehungen eröffnet die Option Wasserstoff neue Chancen. Russland ist der derzeit wichtigste Energielieferant der EU. 2018 kamen etwa 40 Prozent des importierten Erdgases aus Russland – genauso wie 42 Prozent der importierten Kohle und 30 Prozent des eingeführten Rohöls. Energieexporte machen etwa die Hälfte der russischen Staatseinnahmen aus und die russische Regierung sieht einen möglichen Absatzeinbruch aufgrund sinkender Nachfrage folglich als Bedrohung der wirtschaftlichen Sicherheit. Mit dem European Green Deal und dem darin festgehaltenen Ziel, Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen, hat die EU gezeigt, dass sie Klimaschutz und die Energiewende ernst nimmt und ihre Nachfrage nach fossilen Brennstoffen zügig senken wird. Das Umweltbundesamt geht in einer aktuellen Studie davon aus, dass die Nachfrage nach Erdgas allein in Deutschland – dem größten Erdgasabnehmer in der EU – im genannten Zeitraum um 90 Prozent sinken wird. Eine vielversprechende Zukunftsoption für Russland könnte der Export von klimafreundlichem Wasserstoff in die EU sein.

Russland als neuer Lieferant für grünen Wasserstoff?

Russland hat zweifelsohne das Potenzial, klimafreundlichen Wasserstoff in großen Mengen zu produzieren und zu exportieren. Bereits heute produziert Russland über zwei Millionen Tonnen Wasserstoff jährlich – hauptsächlich aus Erdgas durch Dampfreformierung. Das Land hat außerdem jahrzehntelange Erfahrungen mit Wasserstoff in der Militär- und Raumfahrtforschung und besitzt die am weitesten entwickelte Gas-Transportinfrastruktur der Welt. Auch grüner Wasserstoff könnte in Russland in großen Mengen produziert werden, da Wind- und Sonnenenergieressourcen enorm hoch sind – mit besonderen Kostenvorteilen u. a. am Nordpolarmeer und am Schwarzen Meer.

Hinderlich für umfassende Exporte von grünem Wasserstoff ist allerdings, dass der Ausbau von Erneuerbaren derzeit nur langsam vorankommt und die Regierung keine langfristigen Ausbauzielsetzung hat. Immerhin soll der Anteil von Wind- und Solarenergie am Strommix von derzeit 0,15% bis 2024 auf 4,5 Prozent hochschnellen. Zwar hat Russland 2019 das Pariser Klimaabkommen ratifiziert, seine aktuelle Klimapolitik wird jedoch als völlig unzureichend bewertet. Die aktuelle Energiestrategie des Landes weist den Erneuerbaren nach wie vor nur eine untergeordnete Rolle zu. Wasserstoff ist hingegen auf der russischen Regierungsagenda angekommen ­und die Regierung plant bis 2035 zwei Millionen Tonnen zu exportieren. 

In ihrer aktuellen Wasserstoff-Roadmap setzt die russische Regierung jedoch insbesondere auf sogenannten gelben Wasserstoff aus Atomstrom und türkisen Wasserstoff, bei dem Erdgas durch Pyrolyse in Wasserstoff und Graphit (festes Karbon) zersetzt wird. Bei diesem Verfahren wird kein CO2 in die Atmosphäre freigesetzt, allerdings befindet sich diese Technologie noch in einem frühen Entwicklungsstadium. Hinzu kommt, dass bei der Förderung und dem Transport des Erdgases Methan-Emissionen frei werden. Grüner Wasserstoff aus Elektrolyse mithilfe erneuerbarer Energie spielt in der Roadmap eine eher untergeordnete Rolle, kommt als Option jedoch immerhin vor. Gazprom, welches das Monopol auf das russische Gasnetz hat, investiert aktuell in die Entwicklung von türkisem Wasserstoff, will jedoch offenbar so lange wie möglich weiter vorrangig Erdgas nach Europa transportieren, auch wenn durchaus mit der Option, dieses dann außerhalb Russlands zu türkisenem Wasserstoff zu verarbeiten. Ob Gazprom aktuell bereit ist, in Zukunft auch Wasserstoff zu exportieren, lässt das Unternehmen offen. Hier ist der interne Zielsetzungsprozess offenbar noch nicht abgeschlossen und das Unternehmen sowie die russische Regierung dürften besonders offen für Signale aus den Abnehmerländern sein.

Empfehlungen und offene Fragen für die EU und Russland

Um vor diesem Hintergrund eine Zusammenarbeit zwischen der EU und Russland zu klimafreundlichem Wasserstoff zu ermöglichen und Anreize für Investitionen zu geben, bedarf es eindeutiger, affirmativer Maßnahmen. Die EU sollte ihre Importpräferenzen bezüglich Herstellungsverfahren und erwarteter Nachhaltigkeitsstandards für die Wasserstoffproduktion ab sofort klar und in Russland hörbar kommunizieren. Hilfreich könnte es hier sein, in enger Abstimmung mit Russland ein Zertifizierungssystem voranzutreiben. Sinnvolle gemeinsame (Forschungs-)Projekte können auch an der Transport- und Verteilinfrastruktur der Zukunft ansetzen. Außerdem müssen regulative und vertragliche Rahmenbedingungen für den internationalen Handel geklärt werden, auch mit Blick auf die aktuellen Sanktionen gegen Russland. Ein erster Schritt für die EU oder einzelne Mitgliedsstaaten sollte auch sein, gemeinsame Pilotprojekte in der gesamten Wertschöpfungskette zu fördern, von denen auch die mittelständische Wirtschaft in Russland profitiert. Dabei sollten unterschiedliche Produktionsverfahren und Transportwege getestet und wissenschaftlich evaluiert werden. 

Für Russland wird sich des Weiteren die Frage stellen, wie es sich grundsätzlich positioniert, angesichts der Dekarbonisierungstrategien in der EU sowie anderen wichtigen Handelspartnern, wie China. Sollte die EU eine CO2-Grenzabgabe auf Importe erheben, wird sich der Druck auf die russische Wirtschaft, Emissionen zu reduzieren, deutlich erhöhen. Produktion und Export von sauberem Wasserstoff bieten hier eine Möglichkeit für neue Geschäftsmodelle mit erneuerbaren Energien und „Power to X“-Produkten. Entsprechende Projekte könnten an bisherige Investitionen in den russischen Erdgassektor anknüpfen und so das Risiko gestrandeter Vermögenswerte verringern. Vor diesem Hintergrund könnte die russische Regierung die interne Nachfrage nach klimafreundlichem Wasserstoff ankurbeln, um Investitionen in Pilotprojekte und Technologien zu mobilisieren. Dafür bietet beispielsweise die russische Stahlindustrie große Potenziale. Aufgrund der lokalen Verfügbarkeit von Erdgas arbeitet sie schon heute vielfach mit gasbetriebenen Direktreduktionsanlagen, im Gegensatz zu konventionellen äußerst klimaschädlichen Hochöfen. Diese Anlagen lassen sich auch mit Wasserstoff betreiben und bieten daher eine gute Ausgangslage für die klimafreundliche Stahlproduktion. 

Ob es eine Zukunft für die Energiebeziehungen zwischen der EU und Russland gibt, hängt ganz offenbar auch davon ab, ob beide Seiten in einen Modus selektiver und fokussierter Zusammenarbeit auch beim Thema Wasserstoff kommen.


Dieser Artikel wurde in Zusammenarbeit mit Rainer Quitzow, Sonja Thielges und Joschka Jahn vom Institut für Institute For Advanced Sustainability Studies (IASS) im Nachgang des gemeinsamen Workshops "Hydrogen - A future-proof option for EU-Russia Energy Relations?" vom 8. Oktober 2020 erstellt. Der Artikel wurde zeitgleich auf https://www.iass-potsdam.de/de/forschung/globale-wasserstoffwirtschaft veröffentlicht.

Autor:innen

Joschka Jahn, Oldag Caspar (Germanwatch), Rainer Quitzow, Sonja Thielges und Andrea Wiesholzer (Germanwatch)

Ansprechpersonen

Echter Name

Bereichsleiter Deutsche und Europäische Klimapolitik