Pressemitteilung | 24.09.2008

Die Arbeiter in Handy-Fabriken haben keine Stimme, während wir telefonieren.

Pressemitteilung

Pressemitteilung von Germanwatch und Verbraucher Initiative
 
 

Berlin, 24. September 2008: Eine heute veröffentlichte Studie der europäischen makeITfair-Kampagne kratzt am glänzenden Image der Elektronikindustrie. Die Studie enthüllt erschreckende Arbeitsbedingungen in asiatischen Handyfabriken: Junge Arbeiter hantieren ohne Schutzkleidung mit Chemikalien, leisten exzessive Überstunden, um ihre Grundbedürfnisse zu decken, und werden für fehlerhafte Produktion bestraft. In den Exportproduktionszonen in einigen Ländern Asiens, wo die Firmen angesiedelt sind, werden Proteste oft brutal unterdrückt. Die untersuchten Firmen liefern ihre Produkte an alle großen Handy-Firmen.

"Die Fabrikarbeiter in China und den Philippinen müssen einen hohen Preis dafür zahlen, dass wir Handys immer billiger kaufen können. Den zumeist jungen Frauen in den asiatischen Fabriken werden ihre Grundrechte vorenthalten. Oft haben sie kaum eine Chance, ihre Situation zu verbessern, da unabhängige Gewerkschaften zumeist verboten sind", sagt Cornelia Heydenreich von Germanwatch, einer der beiden deutschen Trägerorganisationen von makeITfair.

makeITfair hat Arbeitsbedingungen in sechs Zulieferfabriken in China und den Philippinen untersucht, die Bauteile für Nokia, Samsung, Motorola, LG, Sony Ericsson und Apples iPhone herstellen. Die Studie deckt auf, dass die vorgefundenen Arbeitsbedingungen nationale Gesetze sowie Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO/ILO) verletzen. Ebenso verstoßen sie gegen die eigenen Verhaltenskodizes der Elektronikunternehmen - zum Beispiel bei den Arbeitszeiten und dem Umgang mit gefährlichen Chemikalien. 

Die im Bericht erwähnten Unternehmen erhielten die Möglichkeit, zu den Ergebnissen von makeITfair Stellung zu nehmen. Keine der Firmen hat das niedrige Lohnniveau in den Zulieferfirmen bestritten. Die makeITfair-Studie zeigt, dass die niedrigen Löhne einen Teil der anderen Probleme erklären, die die Markenfirmen laut ihren Verhaltenskodizes eigentlich lösen wollen. So bedeuten niedrige Löhne für eine Vollzeitbeschäftigung, dass die Arbeiter unvertretbar viele Überstunden leisten müssen, um über die Runden zu kommen. Manche von ihnen schlafen bei der Arbeit ein, weil sie einfach zu erschöpft sind, und machen dadurch Fehler. Dies führt dann dazu, dass ihr Lohn gekürzt wird und sie noch weniger verdienen. Aufgrund des geforderten hohen Arbeitstempos arbeiten manche Beschäftigten lieber ohne ihre Schutzkleidung, auch wenn die Anwendung von Chemikalien ihre Gesundheit schädigen könnte. Meistens werden sie auch nicht ausreichend darüber aufgeklärt, warum Schutzkleidung so wichtig ist.

"Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz bedeuten nicht nur, die richtige Schutzkleidung zur Verfügung zu stellen. Es ist ebenso wichtig, dass die Arbeiter auch die Möglichkeit haben, diese Schutzvorrichtungen zu nutzen. Die Arbeiter, die wir für die Studie befragt haben, zeigen typische Symptome einer falschen Anwendung von Chemikalien. Schulungen und ein angemessenes Arbeitstempo sind unbedingt erforderlich, wenn ihre Gesundheit geschont werden soll", sagt Jenny Chan von der Nichtregierungsorganisation SACOM aus Hong Kong, die die Recherchen in China koordiniert hat.

Die Zulieferfirmen, die von makeITfair befragt wurden, beschweren sich über die kaum zu erfüllenden Anforderungen der Handy-Firmen. Einerseits sollen die Zulieferer die Herstellungskosten reduzieren. Andererseits sollen sie die Arbeitsbedingungen und Umweltstandards bei der Produktion verbessern, aber diese Investitionen kosten Geld. Größere Zulieferer können diesen Anforderungen genügen, wenn sie denn wollen, aber kleinere Zulieferfirmen sind dazu häufig nicht in der Lage.

"Die Handy-Firmen müssen wirkliche Anreize für soziale und ökologische Investitionen in Asien schaffen, statt diese Einkaufspraktiken weiterzuführen. VerbraucherInnen sollten gegenüber den Herstellern faire Produktionsmethoden einfordern, zum Beispiel über die Postkartenaktion von makeITfair", sagt Volkmar Lübke von der Verbraucher Initiative, die ebenfalls Träger der Kampagne makeITfair ist.
 

Weitere Informationen:

Studie "Silenced to Deliver: Mobile phone manufacturing in China and the Philippines (September 2008 - auf Englisch)

Unter http://makeitfair.org/aktiv-werden/email-action-DE2 können kritische VerbraucherInnen eine Postkarte an ihren Handyhersteller schicken.

Für Rückfragen und Interviewwünsche wenden Sie sich bitte an:

  • Cornelia Heydenreich, Germanwatch, Referentin Unternehmensverantwortung, 0179/ 7835551, heydenreich@germanwatch.org
  • Volkmar Lübke, Verbraucher Initiative, 0172/ 5400582, mail@verbraucher.org


makeITfair informiert über die Menschen- und Arbeitsrechtsverletzungen sowie Umweltprobleme in der Produktionskette von Unterhaltungselektronik, u.a. von Mobiltelefonen, MP3-Playern, Spielkonsolen und Laptops. Neun Organisationen aus mehreren europäischen Ländern kooperieren in diesem dreijährigen Projekt, das von der EU gefördert wird. In Deutschland wird makeITfair von Germanwatch und der Verbraucher Initiative getragen. Die anderen Projektpartner sind SOMO und IRENE aus den Niederlanden, SwedWatch, Church of Sweden und Fair Trade Center aus Schweden, FinnWatch/Finnish Association for Nature Conservation aus Finnland und KARAT aus Polen.

 

Am Fließband

In China und den meisten anderen asiatischen Produktionsstandorten der Elektronikindustrie arbeiten vor allem junge Frauen, die ihre oft sehr eintönige Arbeit in Spitzenzeiten für zehn bis zwölf Stunden pro Tag verrichten. Frauen werden von den Firmenchefs bevorzugt, weil sie als "leicht zu managen" gelten.
Bildrechte: SACOM
 

Elektronikarbeiterin

Oft erklären Elektronikarbeiterinnen aus den Philippinen, dass sie eine höhere Selbstbestimmung über ihr Leben erreicht haben und dass sich ihr Status in ihrer Familie erhöht hat, seitdem sie in der High-Tech-Industrie arbeiten. Allerdings sind die Arbeitsbedingungen für diese Frauen oft sehr schlecht: exzessive Überstunden sowie unmenschliche "Disziplinarmaßnahmen"  sind an der Tagesordnung und die Löhne sind sehr niedrig.
Bildrechte: ITUC, Internationaler Gewerkschaftsbund
Foto: Natacha David
 
 

Streik

Am 20. August 2007 sind tausende Arbeiter, die in Shenzhen im Süden Chinas Ladegeräte herstellten, auf die Straße gegangen. Sie haben bessere Arbeitsbedingungen gefordert sowie höhere Löhne, um die aufgrund der Inflation gestiegenen Lebenshaltungskosten decken zu können. Da sich chinesische Arbeiter nicht in einer freien Gewerkschaft organisieren dürfen, können sie ihre Bedingungen nur ändern, indem sie ihren Job aufgeben oder indem sie protestieren - aber das gefährdet ihren Arbeitsplatz.
Bildrechte: SACOM
 

Ein Wohnheim

Die meisten Arbeiter der chinesischen Elektronikindustrie wohnen in Wohnheimen, in denen acht bis zwölf in einem Raum zusammenwohnen. Der Standard der Schlafräume ist unterschiedlich, aber alle sind überfüllt und ohne jegliche Privatsphäre.
Bildrechte: SACOM
 

Verwendung/Nachdruck der Fotos:

Die Bilder können unter Angabe der jeweils angegebenen Quelle verwendet werden. Höher aufgelöste Versionen sind auf Anfrage erhältlich bei Gerold Kier, Tel. 0228 / 60492-0, kier@germanwatch.org