Pressemitteilung | 30.03.2004

Deutschlands Klima-Wende.


 

Pressemitteilung

Bonn/Berlin, 30.3.04. Die Bundesregierung hat sich auf einen Kompromiss zum Emissionshandel und gegen den Klimaschutz geeinigt. Nach Einschätzung von Germanwatch stellt dieser Kompromiss eine Wende der deutschen Klimapolitik dar. "Das ist ein Sieg des Lobbyismus gegen das Gemeinwohl, ein Sieg der Vergangenheit gegen die Zukunft. Die Industrie wird vom Großteil ihrer vor drei Jahren gegebenen Klimaschutzzusagen befreit. Sie erhielt heute Nacht Zertifikate für jährlich 15 Mio Tonnen CO2 geschenkt. Deutschland kann sein Kyoto-Ziel damit nur noch erreichen, wenn die Regierung nun massive Maßnahmen in den Bereichen Verkehr und Haushalte ergreift", kommentiert Germanwatch-Klimaschutzexperte Christoph Bals. "Nach dem Weichspülprogramm der letzten Nacht verliert der Emissionshandel deutlich an Wert. Dies ist ein Schlag ins Gesicht aller Wähler, die diese Regierung wegen ihrer Zusage eines ernsthaften Klimaschutzes gewählt haben."

Es ist damit zu rechnen, dass sich andere EU-Staaten an dem nun beschlossenen, völlig unzureichenden Nationalen Allokationsplan von Deutschland, dem größten Energieland der EU, orientieren werden. Damit ist spätestens im Jahr 2006, wenn dann EU-weit der Allokationsplan für die Kyoto-Zieljahre (2008-2012) festgelegt wird, mit einer massiven Debatte in der EU zu rechnen, sich von Kyoto zu verabschieden. "Deutschland, das bisher eine Triebkraft für den internationalen Klimaschutz gewesen ist, wird mit dieser Entscheidung zu einem Hemmschuh", kommentiert Bals.

Vor zwei Jahren, beim Nachhaltigkeitsgipfel in Johannesburg hatte der deutsche Bundeskanzler ausgerufen: "Der Klimawandel ist keine skeptische Prognose mehr - sondern bittere Realität. Diese Herausforderung verlangt ein entschiedenes Handeln." Seit heute ist das Einknicken der deutschen Klimapolitik vor kurzfristigen Lobbyinteressen keine skeptische Prognose mehr - sondern bittere Realität.

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Weitere Hintergrundinformationen (aktualisiert am 5.4.04):

Eckpunkte des Kompromisses sind:

  • Statt wie versprochen 28 Mio Tonnen muss die Industrie von 1998 bis 2012 ihren Ausstoß nur um 13 Mio Tonnen CO2 reduzieren.
  • Der Anreizmechanismus ist so schwach ausgestattet, dass völlig ungenügende Anreize für eine treibhausgasarme Energieversorgung in Deutschland gesetzt wird. Der Modernisierungsanreiz ist so schwach gesetzt, dass nicht einmal die zwischen 1968 und 1974 gebauten Braunkohlekraftwerke davon betroffen sind.
  • Trotzdem erhalten Kraftwerksneubauten eine Zusage, dass auf sie 18 Jahre keine Verpflichtungen zukommen (4 Jahre Überausstattung, 14 Jahre Ausstattung nach Bedarf).
  • Eine Stillegungsregelung, die größten Mißbrauch ausschaltet, fehlt in dem Kompromiss.
  • Neue Steinkohle und Gaskraftwerke werden 14 Jahre nach Bedarf ausgestattet.
  • Für einige Industrien wie Stahl und Keramik wird auf eine Reduktion der Emissionen verzichtet.
  • Darüber hinaus sind nach dem Kompromiss Schlupflöcher möglich, nach denen der Ausstoß der Industrie-Emissionen bis 2012 sogar deutlich steigen kann. (Vor allem über den nicht geregelten Missbrauch der Newcomer-Regelung. Vor allem nach 2007 besteht hier ein erhebliches Missbrauchs-Potenzial)


Was bedeutet der Kompromiss für die Emissionsentwicklung der verschiedenen Sektoren in Deutschland?
(unter der Annahme, dass Deutschland zu seinem Kyoto-Ziel steht).

Durchschnitt 2000-2002:
Gesamt: 863 Mio Tonnen
Industrie, Stromerzeugung: 505 Mio Tonnen
Gewerbe, Verkehr, Haushalte: 358 Mio

2007:
Gesamt: 859 Mio Tonnen
Industrie, Stromerzeugung: 503 Mio Tonnen
Gewerbe, Verkehr, Haushalte: 356 Mio Tonnen

2012:
Gesamt: 846 Mio Tonnen
Industrie, Stromerzeugung: 495 Mio Tonnen
Gewerbe, Verkehr, Haushalte: 351 Mio Tonnen

Was bedeutet der Kompromiss für die Reduktionsziele der Industrie und Energiewirtschaft?

Der BDI hatte eine Reduktion der Industrieemissionen um 45 Mio Tonnen zwischen 1998 und 2012 zugesagt. Etwa 10 Mio Tonnen davon entfallen auf nicht vom Emissionshandel betroffene Anlagen. 7 Mio Tonnen könnte man für die politisch veranlasste Stillegung (und entsprechenden Ersatz) von Atomkraftwerken abziehen.

Das heißt: Die deutsche Industrie hätte nach ihrer Selbstverpflichtung ihren Ausstoß zwischen 1998 und 2010 um 28 Mio Tonnen reduzieren müssen. 1998 betrugen die Emissionen 508 Mio Tonnen CO2. Bis 2010 hätte sie damit - nach ihrer eigenen Selbstverpflichtung - ihre Emissionen von 508 Mio Tonnen auf 480 Mio Tonnen CO2 reduzieren müssen. Statt dieser Reduktion um 28 Mio Tonnen CO2 muss sie jetzt nur um 13 Mio Tonnen CO2 (gegenüber 1998) auf 495 Mio Tonnen CO2 bis 2012 verringern.
 

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