Pressemitteilung | 16.10.1997

Die WTO kontrolliert unser Essen - Wer kontrolliert die WTO?

Pressemitteilung

Altenkirchen/Bonn, 16.10.1997: Vor der Welthandelsorganisation (WTO) wird gegenwärtig um die Frage des Hormoneinsatzes in der Rindermast ein Handelsstreit zwischen der EU und den USA ausgetragen. Anhand dieses Beispiels konnten ca. 25 Teilnehmer einer Fachtagung in der evangelischen Landjugendakademie Altenkirchen die Funktionsweise des WTO-Streitschlichtungsverfahrens kennenlernen und die Frage der zivilgesellschaftlichen und demokratischen Kontrolle der WTO ausführlich diskutieren.

Zentrale Forderungen der Organisatoren (GERMANWATCH, EJL und die beiden Netzwerke Forum Umwelt & Entwicklung und AgrarBündnis) richten sich an vier Ebenen:

  1. Die Bundesregierung soll ihren Einfluß geltend machen, damit die EU alles unternimmt, um das Importverbot weiter in Geltung zu lassen.

  2.  

     

    Auf der Tagung wurde auch deutlich, daß zwei große Gefahren mit dem Schiedsspruch der WTO zu Hormonen verbunden sind:

    1. Der Vergleich der Hormone mit dem Fütterungs-Antibiotikum Carbadox legt den Schluß nahe, daß in Zukunft Grenzwerte für alle Stoffe mit vergleichbarer Wirkung (hier: Tumorförderung in hohen Dosen) auf dem niedrigsten Schutzniveau "harmonisiert" werden. Das steht dem vorsorgenden Verbraucherschutz diametral entgegen.
    2. Im Fall Melangestrol-Azetat (MGA), einem der beklagten Hormone, lag kein internationaler Grenzwert vor, lediglich die US-Zulassungsbehörde hat die vertraulichen Firmenunterlagen zur Risikoabschätzung vorliegen. Die EU kann also gar nicht beurteilen, ob der Stoff Gefahren birgt, bekommt aber von der WTO vorgehalten, sie hätte keine Risikoanalyse durchgeführt. Wenn das Schule macht, brauchen Pharmafirmen ihre Produkte in Zukunft nur noch in einem Land zuzulassen und können den Zugang auf anderen Märkten über den Klageweg erwirken.
    Die Bundesregierung soll weiterhin auf eine Reform der WTO dringen, insbesondere eine wirksame Verankerung des Vorsorgeprinzips im Abkommen über sanitäre und phytosanitäre Maßnahmen und eine Ausweitung der Ausnahmeregelungen für handelsbeschränkende Maßnahmen (§20 GATT) um Menschenrechts-, Verbraucherschutz-, Umweltschutz-, Tierschutz-, arbeitsrechtliche und Ernährungssicherungskriterien.
  3. Die EU soll neue Forschungsaufträge vergeben, um zu klären, ob die beanstandeten Hormone und Hormonersatzstoffe Krebs auslösen können und ob die intensive Rindermast mit Hormonen mit den Kriterien artgerechter Tierhaltung kollidiert.

  4.  

     

    Sie soll neben den Hormonen auch die Fütterungsantibiotika verbieten und die Verwendung von aus therapeutischen oder zootechnischen Gründen hormonell behandelten Masttieren und Zuchttieren für die menschliche Ernährung verbieten. Dies sind notwendige Konsequenzen aus der Argumentation der WTO im Hormonfall, die der EU Inkonsistenz vorgeworfen hat. Die EU soll des weiteren aus Gründen der weltweiten Ernährungssicherung, Ressourcenschonung und des Tierschutzes die Auflagen für die Tiermast verschärfen, insbesondere bei der Bindung an die Fläche, bei Bestandsobergrenzen und bei der Aufstallungsform.

  5. Die WTO soll bei Streitschlichtungsverfahren auch Experten aus den Bereichen Verbraucherschutz, Ernährungssicherung, Tierschutz, Umweltschutz und Menschenrechte heranziehen und auch die relevanten UN-Organisationen hören. Bei Konflikten zwischen Handelsrecht und anderen Internationalen Verträgen soll der Internationale Gerichtshof eingeschaltet werden. Die WTO soll in das UN-System eingebunden werden und die gleichen Transparenz- und Beteiligungskriterien erfüllen.
  6. Die deutschen Nichtregierungsorganisationen sind aufgefordert, sich viel stärker als bisher mit der WTO zu befassen und auf allen Ebenen durch Öffentlichkeits-, Bildungs- und Lobbyarbeit an dem Aufbau einer demokratischen Kontrolle der WTO mitzuwirken.
Dabei ist die Bundesebene am wichtigsten, da sie einerseits die Gestaltung aller WTO-Verträge mit verantwortet und beeinflussen kann und andererseits auf Bundesebene eine stärkere demokratische und öffentliche Kontrolle möglich ist als auf EU-Ebene.

Als Referenten der Tagung standen zur Verfügung: Dr. Rudolf Buntzel vom Evangelischen Bauernwerk Württemberg, Prof. Kroker vom Bundesamt für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin, Herr Grueff, Handelsattaché der US-Botschaft in Bonn, Christophe Bellmann von der Swiss Coalition of Development Organisations, Wilfried Tellkämper, MdEP, Dr. Rainer Engels, GERMANWATCH, Dr. Bernd Schanzenbächer, UNEP, Dr. Michael Epstein, Verbraucherzentrale NRW, Michael Windfuhr, FIAN International und Dr. Frank Wolter, Leiter der Agrar- und Rohstoffabteilung der WTO.

Insbesondere Dr. Wolter stand während der gesamten Veranstaltung für Fragen zur Verfügung. Einerseits hat der Dialog ein sehr genaues Bild von der WTO und seinen Organen und Funktionen ergeben. Andererseits wurden dabei die Kritikpunkte der Nichtregierungsorganisationen an der mangelhaften Transparenz und den fehlenden Beteiligungsmöglichkeiten, aber auch an der einseitigen Ausrichtung auf Handelsliberalisierung ohne soziale und ökologische Bindung (wie in den Feldern Verbraucherschutz, Umweltfragen, Ernährungssicherung und Menschenrechten) deutlich.

GERMANWATCH

Forum Umwelt und Entwicklung

AgrarBündnis

Evangelische Jugend auf dem Lande