Meldung | 25.07.2001

COP6b - Kurzberichte und Impressionen von den Verhandlungen

Impressionen zur COP 6b im Jahr 2001

In den folgenden Kurzartikeln werden einzelne Aspekte der Verhandlungstage der COP6b in Bonn, vom 16.-27. Juli 2001 herausgegriffen und kommentiert.

Der Poker hat begonnen

Der Tag vor dem Klimagipfel. Nachmittags mehrstündiges Strategietreffen mit den NGOs aus aller Herren Länder. Die regionalen Gruppen berichten: Japan, Europa, USA, Kanada und Australien, G77. Wie bei einem Puzzle fügen sich viele Teile zusammen, andere liegen noch da und man wundert sich ob sie wirklich ins Bild passen oder nicht. Viele der Gesichter sind uns seit Jahren vertraut, andere sind neu dazu gekommen. "40 Prozent Erfolgschancen" bringt Jennifer Morgan (WWF) die Erwartungen an den Klimagipfel auf einen Punkt.

Danach auf dem Münsterplatz sehe ich noch das Ende der Fahrraddemonstration zum Klimagipfel von "risingtide", die gerade wegfährt. Eine unserer ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen, Britta Höck, hatte zum Empfang der Fahrradfahrer, die aus allen Richtungen angestrampelt waren, einen der Informationsstände mit GERMANWATCH-Material bestückt. Morgen gibt’s dann eine weitere Fahrraddemo durch die Stadt.

Als ich am Abend dann ins Hotel Maritim komme, den diesmal aus Sicherheitsgründen großräumig abgesperrten Verhandlungsort des Klimagipfels, warten dort einige Freunde aus dem US Business Council for Sustainable Energy. Sie haben gerade erfahren, dass der japanische Regierungschef laut einer Meldung von Reuters angekündigt habe: Es gebe keine Einigung in Bonn und frühestens im Oktober sei mit einer Einigung zu rechnen.

John Palmisano und ich setzen uns mit dem deutschen Delegationsleiter Hendrik Vygen und später auch Karsten Sach zusammen. Wichtigstes Thema auch hier: Was ist dran an dieser Meldung, wie ist sie zu interpretieren? Ist das die Ankündigung des schleichenden Todes von Kyoto? Anschließend fahre ich mit dem Fahrrad zum ECO-Raum, wo die internationalen NGOs jede Nacht die Zeitung "ECO" für alle Delegierten erstellen. Auf dem Weg dahin treffe ich die fünf japanischen NGO-Vertreter(innen), die auch auf dem Weg dahin sind. Dasselbe Thema. Was ist dran an der Reutersmeldung? Wie ist sie zu interpretieren? Oben treffe ich dann Farhana, Mitarbeiterin bei Field London und seit langem Delegationsmitglied für die kleinen Inselstaaten. Ihre Interpretation der Aussage des japanischen Regierungschefs ist optimistischer. "Er sagt: wir wollen das mit den USA machen. In Bonn wird es keinen Konsens mit ihnen geben, sondern allenfalls im Oktober in Marakesh. Das könnte heißen: Japan will hier ein Abkommen verhandeln und abschließen. Und es stellt den USA ein Ultimatum. Wenn diese sich nicht bis Oktober auf eine konstruktive Alternative einlassen, dann werden sie den abgestimmten Text ratifizieren."

Der Poker um den Bonner Klimagipfel hat begonnen. Oder sollte er gar schon beendet sein? Es würde mich wundern, wenn das das letzte Wort Japans gewesen sein sollte.

Christoph Bals 15.7.01, 22:00
 

Montag doch bereits offizieller Beginn des Klimagipfels

Mit der üblichen Verspätung – dieses Mal sind es lediglich 40 Minuten – eröffnet Jan Pronk, der Präsident der Konferenz, die erste Plenarsitzung und verkündet ohne große Vorrede, dass der Klimagipfel entsprechend dem gestrigen Beschluss des Büros der Konferenz doch schon am heutigen Montag begänne.

Bis Donnerstag soll die Arbeit in folgenden vier Gruppen fortgeführt werden, die von jeweils einem Vorsitzenden eines Nebenorgans und einem Mitglied des Büros geleitet würden und die bei Bedarf weitere Fachleute hinzuziehen könnten:

  1. Finanzierung, Technologietransfer, Anpassung, Ausbau der Umsetzungskapazitäten und Art. 4.8/4.9 sowie 3.14
  2. Die Kyoto-Mechanismen
  3. LULUCF (d.h. die Behandlung der Senken)
  4. Erfüllungskontrolle

...sowie gegebenenfalls später noch eine Gruppe über die Richtlinien der Treibhausgasinventare (Art. 5, 7 und 8).

Sogleich schlägt er für jede Arbeitsgruppe zwei Co-Chairs vor: Die Herren Ashe und Kranjc für die AG 1, Dovland und Gwage für die AG 2, Dovland und Estrada für die AG 3 und Ashe und Slade für AG 4. Beobachter seien an den Verhandlungen nicht zugelassen – der bisher weitgehend transparente Klimaprozess beginnt sich mehr und mehr einzuigeln.

Pronk unterbricht dann die Sitzung "für 30 Minuten", ohne Wortmeldungen zuzulassen.

In der folgenden Pause – sie dauert eineinhalb Stunden – beginnt ein Phänomen, das in Kyoto erst in den letzten Verhandlungstagen auftrat: Dauernd bilden sich Gruppen von hochrangigen Delegierten, oft mehrere gleichzeitig, die bald danach wieder auseinandergehen und gleich wieder in anderer Zusammensetzung zusammenkommen. Da stehen wohl kommunikationsintensive Entscheidungen an.

In der wiederanberaumten Plenarsitzung teilt der Präsident eine neue Aufgabenteilung mit. Die AG 2 wird nunmehr von Estrada und Chow, die AG 3 von Dovland and Gwage sowie die AG4 von Dovland and Slade geleitet werden. Co-Chairs der AG 1 werden, wie vorgeschlagen, Ashe und Kranjc.

Manfred Treber, 16.7.01, 16:30
 

Empfänge und geschlossene Verhandlungen

Dienstag ist zunächst ein tröger Tag. Die Nichtregierungsorganisationen sind noch von den Verhandlungen ausgeschlossen. Nachmittags findet eine wenig inspirierende Präsentation über die Ergebnisse der Arbeitsgruppen I und II zum dritten Sachstandsbericht des IPCC statt.

Abends finden zwei Empfänge statt. Bei der Deutschen Telekom trifft man sich zunächst auf Einladung der Unternehmerinitiative e-mission 55, die sich für eine Ratifizierung des Kyoto-Protokolls ohne die USA ausspricht. Das Interesse ist groß - bei der Pressekonferenz sind etwa 80 Journalisten. Wer hätte gedacht, daß einst Teile der Wirtschaft der Politik Beine machen würden?

Der zweite Empfang – Veranstalter sind die Stadt Bonn und das Bundesumweltministerium – findet in der Museumsmeile statt. Wir fahren mit dem Fahrrad an den anderen vorbei, die sich zu Fuß von der Telekom dorthinbegeben. In seiner Begrüßungsrede betont Umweltminister Trittin, daß das Kyoto-Protokoll bis 2002 in Kraft treten und Verpflichtungen zu realen Emissionsreduktionen enthalten müsse.

Der Empfang bietet gute Gelegenheiten für Gespräche mit Delegierten, Mitarbeitern des Klimasekretariats und vielen anderen. Unter den Gästen finde ich auch Bob Watson, Vorsitzender des IPCC, als er gerade mit jungen Amerikanern diskutiert. Ich frage ihn, warum das IPCC bei den Szenarien die CO2-Konzentration und nicht die CO2-Äquivalente nennt, die den maßgeblichen Indikator für die Erwärmung darstellen. Er stimmt mir zu, die CO2-Äquivalenzwerte wären gegenwärtig 50 ppm höher, mit in Zukunft steigender Tendenz.

Die Kulturveranstaltung macht gerade Pause, als einige Aktivisten die Bühne erklettern und versuchen, ihre Botschaft an die Gäste zu richten. Doch nicht nur, daß man ihnen kein Mikrofon anbietet, um sich vernehmlich artikulieren zu können - nein, Ordner machen eine richtige Hetzjagd auf der Bühne auf die Aktivisten und fangen sie ein. Das ist eine sehr wenig souveräne Reaktion auf einen unvorhergesehenen Programmpunkt. Warum läßt man diese Stimmen nicht zu Wort kommen?

Manfred Treber, 17.7.01, 23:00
 

Durchbruch mit Entwicklungsländern?

Wie kann auf dem Klimagipfel die notwendige Stimmung für einen Durchbruch entstehen? Keine Frage, wesentliche Entwicklungsländer müssten sich neben der EU an einer solchen Strategie beteiligen. Kann es eine "Green Group" geben? Auf dem Klimagipfel in Berlin (1995) hatte eine solche Gruppe unter Leitung von Indien für den Durchbruch gesorgt. Grundlage für eine solche Entwicklung müsste sein, dass sich die EU und die Entwicklungsländer über das Entwicklungsländerpaket einigen - und auf dieser Grundlage insgesamt an einem Strang ziehen. Aber die Verhandlungen zum Entwicklungsländerpaket - dabei geht es um Fragen der Anpassung an den Klimawandel, um Technologietransfer, um Aufbau von Klimaschutzkapazitäten in Entwicklungsländern und die dafür notwendigen Finanzen - kommen nur sehr langsam voran. Aus EU-Sicht ist der entscheidende Fehler, dass in Salami-Taktik, also Stück für Stück, verhandelt wird und nicht das Gesamtpaket. Dies führt zu zahlreichen Verstimmungen und gerade nicht als Anlauf zum großen Wurf.

Lässt sich hier ein Weg heraus finden? Die Zeit der Vorverhandlungen läuft ab. Ab morgen Mittag sollen die Minister verhandeln. Ab jetzt ist die Gruppendynamik fast ebenso wichtig wie die Substanz, um die verhandelt wird. Immerhin scheint mir insgesamt der Ton, die Verhandlungsstimmung wesentlich besser als in Den Haag. Ein gutes Zeichen? Wer weiß?

Christoph Bals, 18.7.01, 15:00
 

Kompromissbereitschaft allerorten

Am Donnerstag, dem Tag des Beginns des Ministersegments, werden vormittags die Resultate der Arbeit der letzten drei Tage aus den vier Arbeitsgruppen vorgestellt.

Sie klingen recht optimistisch. Insbesondere die Darstellung der Arbeitsgruppe 2 (zu den Mechanismen) von Estrada weist eine Aufbruchstimmung auf: Bei der Zusammensetzung des Exekutiv-Boards für den CDM sei man so gut vorangekommen, dass die Mitglieder bereits im Herbst in Marrakesch gewählt werden könnten.

Eine konstruktive Atmosphäre liegt in der Luft. Das strahlt auch auf die Umwelt-NRO aus - im zweischneidigen Sinne. Man möchte die Fehler von Den Haag nicht wiederholen. Soll heißen, dass man nicht bis zuletzt an der reinen Lehre festhalten möchte und so lange auf den Forderungen puristisch beharren will. So werden im täglichen Treffen der weltweiten NRO Fragen gestellt, auf welchen Feldern man die Position am ehesten aufgeben möchte. Das wird alles nur mündlich behandelt - solch delikate Aussagen werden nicht zu Papier gebracht.

Dieses Vorgehen hat auch die Absicht, die Frustration in den eigenen Gruppen zu mäßigen, falls am Schluss ein Ergebnis entsteht, denn dieses wird - das ist schon jetzt klar - nicht alle die Forderungen beinhalten, die jetzt von uns erhoben werden.

Manfred Treber, 19.7.01, 18:00
 

Ministersegment eröffnet

Donnerstag Abend geht es los mit den Ministern. Wider Erwarten ist das erste informelle Treffen im Ministersegment öffentlich - sogar eine Videoübertragung in einen Nebenraum ist vorgesehen, damit alle folgen können.

COP-Präsident Pronk und das Büro haben sich eine neue Szenerie und eine andere Dramaturgie ausgedacht. Die Minister sind nach einer Umbestuhlung eng zusammengepfercht, pro Land gibt es nur zwei Sitze. Sie sind in der Mitte des großen Verhandlungssaales aufgestellt, darum herum die anderen Delegierten und auf dem Balkon die Beobachter.

Die Co-Chairmen der vier Arbeitsgruppen präsentieren den Ministern die durch die Arbeit der letzten Tage identifizierten offenen Fragen, welche am Vormittag bereits vorgestellt worden waren. Nach der ersten Vorstellung - es war die zu den Mechanismen von Estrada - erklärt Pronk, indem er ihnen ein fünfstufiges Verfahren vorschlägt, was er von den Ministern erwarte. Sie sollten keine Antworten zu den Fragen suchen - die lägen mit den Positionen der Länder bereits vor, darüber hätten sich die Beamten bereits vier Jahre ausgetauscht. Sie, die mit politischem Mandat ausgestattet seien, müssten sich die Fragen mit Bedacht anschauen, hierachisieren und schließlich im Kuhhandel die Positionen einander annähern.

Insgesamt werden über drei Dutzend offener Fragen aus den vier Arbeitsgruppen präsentiert - es gibt kaum Interventionen, lediglich Al Sabban aus Saudi Arabien meldet sich mehrfach zu Wort. Estrada kabbelt sich mit "Prof. Emeritus Al Sabban", Pronk wirft die Titel der CoChairmen durcheinander (plötzlich nennt er jeden "Ambassador"), was aber zur allgemeinen Erheiterung beiträgt und die Atmosphäre deutlich auflockert.

Noch weit vor 22 Uhr ist alles vorgestellt. Man ist sehr weit gekommen; Pronk meint, man wäre viel weiter gekommen als man dachte.

Im Anschluss wird sich das erweiterte Büro für eine Stunde treffen und das Verfahren, wie es die nächsten Tage weitergehen soll, diskutieren.

Manfred Treber, 19.7.01, 22:10
 

Arbeitsstrukturen der Minister festgelegt

In der Plenarsitzung am Freitagvormittag legt Konferenzpräsident Pronk in aller Kürze die Arbeitsstruktur für die Minister in den nächsten Tagen fest, wie sie das erweiterte Bureau letzte Nacht und auf einer Sitzung am Vormittag im Konsens beschlossen hat.

1. Die substantiellen Verhandlungen werden auf der Basis des verschlankten Dokumentes CRP.8 geführt werden, d.h. des Textes, der von den Co-Chairs der vier Arbeitsgruppen verfaßt und den Ministern gestern Abend mündlich vorgestellt wurde.

2. Das erweiterte Bureau ist der Auffassung, daß sowohl Effizienz als auch Transparenz die Verhandlungen leiten sollen: die Verhandlungen in "DER GRUPPE" werden von täglichen Plenarsitzungen (die wie üblich für Beobachter offen sind) begleitet und sollen von dort wichtige Impulse bekommen.

3. Die eigentlichen Verhandlungen werden in "DER GRUPPE" stattfinden, die Pronk leiten wird. Sie besteht aus

  • einem Vertreter aus der "Environmental Integrity Group" (zu der gehören etwa die Schweiz, Mexiko und Südkorea),
  • drei Vertretern der CG11 (osteuropäische Staaten)
  • fünf aus der EU
  • sechs aus der Umbrella Gruppe (u.a. USA, Japan, Kanada, Russland) sowie
  • 19 Vertretern von G77 und China.

Weiterhin wird noch einer Gruppe um Kasachstan ein Platz eingeräumt. Jede Gruppe bestimmt ihre Vertreter eigenständig.

4. Die Arbeiten zu den technischen Details werden von den bisherigen Vorsitzenden der vier Arbeitsgruppen fortgeführt werden.

5. Eine fünfte Arbeitsgruppe zu den Treibhausgasinventaren (Art. 5, 7, 8) wird unter dem Vorsitz des SBSTA-Chairs Dovland installiert.

Fünfzehn Minuten nach Verkünden und Verabschieden dieses Vorgehens trifft sich "DIE GRUPPE" erstmals. Selbstverständlich nicht-öffentlich, wie es bei Verhandlungen üblich ist, wenn sie in die entscheidende Phase treten.

Manfred Treber, 20.7.01, 18:00
 

Katerstimmung, Zufriedenheit und Skepsis

Samstag Abend gegen 10 versammeln sich alle entweder im kleineren Sitzungssaal Plenary 2 (dorthin haben nur Delegierte Zutritt) oder draußen vor großen und kleinen Monitoren, die den Ablauf von Plenary 2 übertragen.

COP-Präsident Pronk leitet ein mit den Worten, er sähe einen zunehmenden Konsens, er hätte einen Text erstellt, der, sobald genügend Exemplare kopiert worden wären, verteilt würde. Deshalb möchte er zuerst das Verfahren, anhand dessen er vorzugehen gedenke, vorstellen.

Er würde den Text kurz mündlich vorstellen und ihn folgend in die Gruppen geben. Da man gute Arbeit am besten dann durchführt, wenn man ausgeschlafen ist, würde er erst am folgenden Morgen bilaterale Gespräche mit den Gruppen führen in der Abfolge: 9 Uhr Environmental Integrity Group, 9.30 Uhr CG 11, 10.15 Uhr EU, 11.00 Uhr Umbrella Group und 12.00 Uhr G77 und China. Diesen Gesprächen wolle er eine zweite Runde von ein- bis zweistündiger Dauer anschließen und um 15.00 Uhr "DIE GRUPPE" einberufen. Ein high level Plenary solle noch vor Ende des Nachmittags die Beschlüsse fassen, so daß dann in einer "normalen" Plenarsitzung am Montag die Entscheidungen formal getroffen werden könnten.

Dieser Verfahrensvorschlag stößt weitgehnend auf Ablehnung - dies konnte man auf der Großleinwand schon den bestürzten Gesichtern etwa von Umweltminister Trittin oder dem ehemaligen SBSTA-Vorsitzenden Farago ansehen. Estrada (dieser möchte die Verhandlungen bereits am Morgen abgeschlossen sehen), die belgische EU-Ratspräsidentschaft und sogar die japanische Umweltministerin Kawaguchi, die im Namen der Umbrella Gruppe spricht, setzen sich vehement dafür ein, keine Zeit zu verlieren und ohne Pause weiterzuverhandeln. Pronk gibt dem insofern nach, daß er bilaterale Vorgespräche mit einigen Gruppen bereits ab Mitternacht halten will. Aber sein vorgeschlagener Ablauf bleibt davon unberührt.

Die Vorgehensweise von Pronk ist ein Tanz auf dem Seil ohne Netz. Kommt es nicht zu der von ihm erwarteten weitgehenden Zustimmung zu seinem Papier, kann der Gordische Knoten nicht zur G 8 nach Genua weitergereicht werden, um ihn dort zu zerschlagen. Und auch in Bonn wird die Zeit, so ist bereits am Samstag Spätabend abzusehen, knapp, da wichtige Minister aus Entwicklungsländern ihr Flugzeug in Frankfurt Sonntag Abend um 21 Uhr erreichen müssen.

Was führt den niederländischen Umweltminister zu diesem Vorgehen? Ist es, wie Jürgen Maier vom Forum Umwelt & Entwicklung meint, seine Eitelkeit, die nicht zuläßt, daß andere - in diesem Fall die Staatschefs beim G 8 Treffen in Genua - nach ein oder zwei Stunden Beratungen den Schlußstrich unter eine Aufgabe zögen, die er auch im zweiten Anlauf nach weit mehr als einem Jahr Vorbereitung und intensivsten weltweiten Anstrengungen nicht zum Abschluß bringen konnte?

Bei der deutschen Delegation herrscht Katerstimmung, nachdem der Verfahrensvorschlag von Pronk festgezurrt ist.

Nachdem genügend Exemplare des Pronk-Papiers (Titel: Core Elements for the Implementation of the Buenos Aires Plan of Action) vorhanden sind, geht dieser kurz drüber. Der Text reflektiere den Ausgang der Konsultationen, und er würde, sobald er angenommen wäre, die Grundlage dafür sein, daß die Industriestaaten mit dem Ratifizierungsprozeß beginnen könnten.

Alle stürzen sich dann auf den Pronk-Text und analysieren ihn. Binnen einer Stunde gibt es eine erste Meinung: Sowohl die deutsche Delegation wie auch die "grünen" Nichtregierungsorganisationen können mit den Vorschlägen leben, die befürchteten ganz großen Kröten mußte man bisher nicht schlucken - wiewohl klar ist, daß nach ihrer Meßlatte der jetzige Vorschlag hinter demjenigen von Den Haag, der keinen Konsens fand, zurückfällt. So ändert sich die Sichtweise angesichts der neuen politischen Lage.

Doch die beschriebene Zufriedenheit sät zugleich auch einen Keim für Skepsis, ja Pessimismus. Wie wird die Umbrella Gruppe den Text bewerten, den sogar die Umwelt- und Entwicklungsverbände passabel finden? Wird sich der Ablauf von Den Haag wiederholen, als zum Schluß einfach die Zeit fehlte - am Sonntag fällt laut Aussage der G77-Minister um 18 Uhr der Vorhang, da wichtige Minister ihr Flugzeug in Frankfurt erreichen müssen?

Manfred Treber, 22.7., 11.30 Uhr
 

Die magische Stunde Zehn

Pronk trifft sich noch in der Nacht auf Sonntag mit der zentralasiatischen Gruppe, dann mit der EU. Diese vermittelt, dass sie mit dem Text ohne Änderung leben könnte, sofern andere Gruppen auch keine Änderungen wollten.

Als nächstes ist die Umbrella-Gruppe dran. Es gibt intensive Diskussionen. Drei Vertreter dieser Gruppe haben die gleiche Position wie die EU, die anderen wollen das Papier weiter diskutieren.

Im frühen Morgen findet noch ein weiteres Treffen mit den Umbrellas statt. Pronk legt ihnen dringend nahe, keine Änderungen am Text vorzuschlagen.

Sonntag früh laufen dann die am Vortag angekündigten Treffen mit den einzelnen Gruppen ab. Die Environmental Integrity Group schließt sich der EU an und meint, sie könne mit dem Papier leben, ebenso die CG 11 (Osteuropa) trotz bestehender Vorbehalte.

Um 12 Uhr ist dann das Treffen mit G 77 und China. Sie sind, ebenso wie die Umbrella-Gruppe (abgesehen von den Dreien, s.o.), noch nicht so weit.

Pronk will sich weiter mit Vertretern der einzelnen Gruppen einzeln und gemeinsam treffen und beraten. Er hat die Absicht, später am Tag ("dies ist der letzte Tag") einen neuen Vorschlag vorzulegen. Um 20.30 Uhr soll dieser in "DER GRUPPE" präsentiert werden.

Dies findet weder um halb neun statt, noch wie danach angekündigt um 23.30 Uhr. Bis eine halbe Stunde nach Mitternacht müssen alle warten, bis es soweit ist.

Pronk entschuldigt sich, dass er nicht früher beginnen konnte. Das jetzige Treffen sei das letzte in dieser Zusammensetzung. In der nächsten Plenarsitzung würde das Ergebnis festgemacht werden.

Er habe viele Diskussionen mit einzelnen Mitgliedern der verschiedenen Gruppen gehabt. Er hat sich dazu entschlossen, keinen neuen Text vorzulegen. Er habe die Überzeugung, dass es möglich wäre, einen Entschluss zu fassen. Jede kleine Änderung würde nicht handhabbare, weitere Änderungen nach sich ziehen.

Er habe zwar nicht alle Einwände entkräften können, allerdings wäre in einem Punkt ein ernsthaftes Problem: Bei der Erfüllungskontrolle. So wie es jetzt ist, würde es für manche Länder die Ratifizierung nicht ermöglichen. Wenn der Text jetzt so angenommen würde, wie er jetzt sei, wäre dies ein Hindernis für die Ratifizierung.

Er möchte zu diesem Punkt in der Nacht noch Gespräche führen. Falls diese zu keinem Ergebnis führten, würde der Text so zur Annahme vorgelegt, wie er jetzt sei.

Zwei Kommentare aus "DER GRUPPE" legen ihm nahe, nicht zuviel Zeit zu verlieren. Unter anderem meint Estrada, über dieses Thema könne man 20 Jahre ohne Ergebnis verhandeln.

Pronk schließt mit den Worten, es gäbe genug politischen Willen, zu einem Ergebnis zu kommen. Würde man das nicht schaffen, hätte dies ernsthafte negative Folgen für die COP7 in Marrakesch. Dann legt er wieder einen Zeitplan vor, der um 4.30 Uhr in der nächsten (und letzten) Plenarsitzung münden soll.

Doch um halb fünf tut sich noch nichts, sogar auf den ankündigenden Monitoren wird nichts angezeigt. Warten. Die Gerüchteküche brodelt. Geht es erst um 9 Uhr weiter? Macht G77 Probleme? Mit wem trifft sich Pronk gerade? Die Russen sollen sich plötzlich querstellen …

Auch um 9 Uhr kein Anzeichen, dass irgendein Ende in Sicht ist. Eine gewisse Müdigkeit stellt sich bei vielen ein. Man hört, es ginge erst um 12 weiter. Doch dann plötzlich die überraschende Kunde, die gerade über den Ticker einer Presseagentur gelaufen ist. Ein Ergebnis wurde erreicht. Ein positives.

Das war kurz nach 10. In der gleichen Stunde, in der am 11. Dezember 1997 in Kyoto das letzte Mal Estradas Hammer zum Kyoto-Protokoll heruntersauste, und in der am 25. November letzten Jahres in Den Haag die EU-Minister verkuendeten, dass die Konferenz gescheitert sei. Die Stunde Zehn am Morgen - eine wahrhaft magische Stunde in der Geschichte der Klimaverhandlungen.

Manfred Treber, 24.7.
 

Erleichterung, Feiern, aber auch schon wieder Normalität

Noch bevor COP-Präsident Pronk am Montag das Ergebnis verkündet hat, bekommt er stehende Ovationen, als er in den Plenarsaal eintritt. Gestandene Männer, die normalerweise mit diplomatischer Reserviertheit auftreten, fallen sich reihenweise um den Hals.

Nachdem Pronk offiziell dargestellt hat, dass man zu einer Übereinkunft kam und dass dies nicht allein ein großer Fortschritt für den Klimaschutz sei, sondern auch gezeigt werden konnte, dass multilaterale Abkommen funktionierten, geben die Sprecher der einzelnen Ländergruppen, einer nach dem anderen, ihre Bewertung kund.

Iran (für die G77 und China) misst dem Übereinkommen, ebenso wie Belgien für die EU, eine historische Bedeutung bei. Belgien liest zudem noch eine politische Erklärung vor mit dem Inhalt, dass zusätzliche Finanzmittel für Entwicklungsländer bereitgestellt würden. Marokko ("ein Tag der Freude"), Australien für die Umbrella-Gruppe sowie China, Japan und Bulgarien (für die CG 11) schließen sich an. Letztere stellen ein Engagieren für eine baldige Ratifizierung in Aussicht. Jeder Beitrag wird am Ende mit anhaltendem Applaus belohnt. Nur als Paula Dobrianski für die USA spricht und meint, Präsident Bush nähme den Klimaschutz "sehr ernst", ertönen - das ist auf dem UN-Parkett sehr unüblich - Buh-Rufe, weil kaum einer glaubt, dass die gegenwärtige US-Administration meint, was sie sagt.

Viele weitere Länder folgen. Bemerkenswert ist der Beitrag von Mexiko - NAFTA-Mitglied und Nachbar der USA - für das der Durchbruch ein Beispiel wirklicher internationaler Kooperation ist und das betont, die UN sei der richtige Rahmen, dass man die UN als Austragungsort der Behandlung solcher Fragen aufrechterhalten solle.

Die Plenarsitzung am Montag beendet Richard Kinley vom Klimasekretariat mit der Aussage über den weiteren Verlauf des Tages, es stände noch eine hohe Arbeitsbelastung für diese Woche an, aber am Nachmittag wären erst einmal keine weiteren Sitzungen vorgesehen.

Dienstag kehrt die Normalität zurück, wenn man von den Sitzungen zur Auswertung des Durchbruchs vom Vortag absieht. Das Bureau berät, wie die Ergebnisse des "Bonner Abkommens" in juristischen Text zu übersetzen seien. Dies ist keine leichte Aufgabe, was sich nicht zuletzt daran zeigt, dass Pronk die COP-Plenarsitzung erst um 18 Uhr - nach Beenden der Sitzung der Nebenorgane - einberuft, um den Beschluss zum Verfahren abnehmen zu lassen. Es ist nicht klar, weshalb er eine Aussprache überhaupt zulässt, aber sogleich kommen die "üblichen Verdächtigen", also die Saudis (heute mal in Arabisch sprechend) und die Russen und beginnen mit ihren Einwänden. Die Zeit läuft weg (die Arbeitszeit der Übersetzer geht normalerweise bis 18 Uhr, nur eine Viertelstunde Überziehen wird ohne große vorherige Vorbereitung akzeptiert) – die Übersetzer wollen aufhören. Pronk schlägt vor, ohne Übersetzung fortzufahren, es ginge nur um einen einzigen Beschluss zu Verfahrensfragen. Doch da melden sich, wie üblich in solchen Situationen, die Russen und die Ukraine, die auf den UN-Regeln und damit auf der Übersetzung in alle UN-Sprachen beharren. Pronk beendet die Sitzung ohne jedes Ergebnis.

Vielleicht ist ihm gar nicht unlieb, dass es nicht lange weiterging, denn er hat die Konferenzteilnehmer zum Feiern eingeladen – für eine Schifffahrt auf dem Rhein mit Essen und Getränken. Weit mehr als 1000 Teilnehmer nehmen die Einladung an und feiern ein weiteres Mal den Erfolg seiner ausdauernden, beharrlichen Arbeit – stellvertretend für die Zigtausenden und Millionen, die die Rettung des Kyoto-Protokolls möglicherweise vor noch größerem Schaden bewahrt und denen das noch nicht ganz bewusst ist.

Manfred Treber, 25.7., 14:00
 

Ein Tag Warten

COP-Präsident Pronk eröffnet die erste Plenarsitzung am Mittwoch kurz nach 18 Uhr mit den Worten "Guten Morgen", wie auf seinem Sprechzettel geschrieben steht – die Sitzung war eigentlich auf 10 Uhr anberaumt.

Was war geschehen? Irgendwie gab es offensichtlich Probleme, fast den ganzen Tag hasteten die Hauptunterhändler durch das Maritim, um sich zu einigen. Worauf? Die große Aufgabe stand an, den Text, den die Minister am Montag nach tagelangen Verhandlungen angenommen ("approved") hatten, von der COP (also vom gleichen Gremium, nur ohne die bereits abgereisten Minister) zu verabschieden ("adopt").

Der Unterschied liegt darin, dass beim ersten Vorgang der Text lediglich in englischer Sprache vorlag, beim zweiten war er vorher in alle UN-Sprachen übersetzt worden. Dabei sollten noch Flüchtigkeitsfehler und andere Versehen (so wurde bei einer Tabelle zu den Senken Kroatien einfach vergessen), die sich bei der Nachtarbeit des Sekretariats eingeschlichen hatten, korrigiert werden.

Doch das ist nicht so einfach, wenn es um das entscheidende Dokument der Konferenz geht und wo es weiter Kräfte gibt, die noch etwas zu ihren Gunsten zu ändern beabsichtigen (in diesem Fall Russland), oder einfach nur Zeit schinden wollen. So wird das bereits erstellte und gedruckte Dokument, das keine Fehler mehr enthält, zurückgezogen und ein weiteres erstellt, das die ganzen Fehler noch enthält (die Argumentation der Akteure, die solches durchsetzen, sind für den Beobachter nicht immer erkennbar).

Es braucht den ganzen Tag, bis ein Vorschlag gefunden wird, den Text mit zwei begleitenden Dokumenten, die auch die Fehler benennen, abzunehmen. Wobei allerdings nur der fehlerbehaftete Text formal angenommen wird.

Als das geschehen ist, gibt es wieder lauten Applaus aus dem Plenum. Durch diesen Akt ist der bahnbrechende Beschluss vom Montag, der das Kyoto-Protokoll aus der Intensivstation holt und wieder auf gesunde Beine stellt, auch formal angenommen.

Manfred Treber, 25.7., 20.30
 

Signal auf Grün für den Zug nach Marrakesch

Am Freitag soll laut Tagesprogramm um 15 Uhr die letzte Plenarsitzung der Vertragsstaatenkonferenz beginnen. Der Monitor vermeldet, daß sie erst um 16.30 Uhr beginnt.

Doch nichts geschieht, nur laufen plötzlich Sicherheitsbeamte der UN herum und schauen sich die Teilnehmerschilder der Beobachter an. Drei von ihnen positionieren sich wie Wachhunde auf dem Balkon - was ist da los? Jetzt wird auch noch jedes Teilnehmerschild einzeln mit dem Eintrag in der Teilnehmerliste verglichen. Es heißt, daß Aktivisten von Risingtide den Balkon über der Lobby im Maritim erklommen hätten. Wenn man jetzt den Balkon verlassen würde, würde man nicht wieder heraufgelassen. Sei's drum, so bleibt man halt auf seinem Platz.

Um Acht geht es schließlich im Plenum los - die Verzögerung kommt daher, daß beim Senkenkapitel die Russen eine neue Forderung erhoben hatten.

Viele Beschlüsse sind auf der COP noch zu fällen, die entscheidendsten betreffen die zur Umsetzung des Aktionsplans von Buenos Aires. Dazu schnürt Pronk ein großes Paket. Es umfaßt 10 Dokumente (hauptsächlich zur Finanzierung für Entwicklungsländer im Rahmen der Konvention und für Anpassungsmaßnahmen in besonders verwundbaren Entwicklungsländern gegen die Klimaänderung) sowie fünf weitere Vorlagen, die für eine Entscheidung auf der siebten Vertragsstaatenkonferenz in Marrakesch im kommenden Oktober/November weitergeleitet werden. Die ersteren sind beschlussreif und stehen zur Annahme ohne jede weitere Diskussion an, die letzteren (zu den Senken, den Kyoto-Mechanismen und der Erfüllungskontrolle) sind zur weiteren Behandlung auf COP 7.

Pronk ist zuversichtlich und betont, daß dies in Marrakesch vollendet werden würde. Er warnt eindringlich davor, daß die gefassten Beschlüsse nicht wieder aufgemacht werden dürften. Seine Zuversicht begründet er damit, daß man in Bonn ja lediglich einen Tag - das war der Donnerstag - habe verhandeln können, weil der Mittwoch dafür benötigt worden war, die 15 Seiten politischen Text der Bonner Vereinbarung in 100 Seiten juristischen Text zu "übersetzen".

Nach Abnahme aller Entscheidungen klingt die Sitzung wie üblich mit Interventionen vieler Staatengruppen und Staaten aus, die Dank an die maßgeblich am Erfolg Beteiligten - das sind der Iran (UN-Botschafter Asadi und der Delegierte Salamat), der den Vorsitz über die G77 und China innehat, Konferenzpräsident Pronk, der scheidende Exekutivsekretär Michael Zammit Cutajar und das FCCC-Sekretariat, die Co-Chairs der Verhandlungsgruppen usw. - ausdrücken. 20 vor 11 formuliert Pronk, nachdem er die Teilnehmer mit einem Wiedersehensgruß in Marrakesch verabschiedet hat, den letzten Satz auf COP 6, der gleichzeitig die letzte Entscheidung der COP darstellt: Er schlägt vor und klopft sogleich ab, daß die Entscheidung des Montags den Namen "Bonner Vereinbarung über die Implementierung des Aktionsplans von Buenos Aires" tragen solle. Schluß.

Im gleichen Moment ertönt - völlig unüblich für eine COP - Musik aus den Lautsprechern: das bekannte Stück "Marrakesh Express" von Crosby, Stills, Nash and Young.

Manfred Treber, 27.7.01