Blogpost | 25.05.2023

Digitalisierung – Herausforderung oder Chance?

Wege in eine nachhaltige und digitale Zukunft
Nahaufnahme einer Leiterplatte

Welcher Weg ist der richtige? Wir müssen uns entscheiden, wie wir die Digitalisierung in Zukunft gestalten wollen.

Digitalisierung und Nachhaltigkeit – die beiden großen Zukunftsthemen. Digitalisierung wird häufig mit dem Versprechen verbunden, Nachhaltigkeit zu beflügeln – aktuell wirkt die Digitalisierung aber oft als Brandbeschleunigerin sozialer und ökologischer Probleme. Weder werden Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) oft genug zum Zweck der Nachhaltigkeit eingesetzt, noch werden die digitalen Werkzeuge selbst nachhaltig gestaltet und angewandt. Dabei hat die Digitalisierung durchaus positives Potenzial, denn Visionen und Ansätze für eine demokratische, sozial und ökologisch gerechte Digitalisierung gibt es zum Glück viele.

Die Europäische Kommission rief 2021 die Digital Decade aus. Die EU-Mitgliedstaaten einigten sich daraufhin, bis 2030 eine menschenrechtszentrierte, nachhaltige Vision einer digitalen Gesellschaft aufzubauen. Doch was genau macht eine digitale Gesellschaft nachhaltig? Und hat nicht auch die Digitalisierung selbst Auswirkungen auf die Nachhaltigkeit? Wir argumentieren, dass die Digitalisierung Herausforderung und Chance zugleich ist und plädieren für einen Paradigmenwechsel.

Die unsichtbaren Kosten der Digitalisierung

Das Öko-Institut hat bereits 2020 die CO2-Emissionen, die durch die Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) pro Person jährlich anfallen, auf 849 kg CO2-Äquivalente geschätzt. Miteinbezogen sind die Emissionen, die durch die Herstellung und Nutzung digitaler Endgeräte, die Übertragung von Daten sowie die Rechenzentrumsinfrastruktur verursacht werden. Mit einer knappen Tonne umfasst unser digitaler Fußabdruck bereits ein Drittel des pro Person zur Verfügung stehenden CO2-Budgets für die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens!

Zudem wird die Nachfrage nach Rohstoffen für IKT weiter ansteigen. Deutschland ist dabei von Importen aus einigen wenigen Staaten abhängig. Der Abbau, die Weiterverarbeitung und der Transport dieser Rohstoffe gehen oft mit ökologischen und sozialen Problemen einher. Auch indirekt wirkt sich die Digitalisierung auf unsere Umwelt und das Klima aus: Während personalisierte Werbung den Konsum anreizt, führen Streaming- und Clouddienste zu steigendem Datenverkehr.

Mehrere Smartphone-Stapel stehen nebeneinander

Die Digitalisierung verbraucht viele Rohstoffe, die zum Beispiel für die Produktion von digitalen Endgeräten eingesetzt werden.

 

Eine Kehrtwende ist nicht in Sicht: Mit der Digitalisierung immer neuer Lebens- und Produktionsbereiche und dem Aufkommen neuer datenintensiver Anwendungen, zum Beispiel Künstlicher Intelligenz (KI) und dem Internet der Dinge (der Anbindung von physischen Objekten wie Smart Home-Geräten an das Internet), nehmen Rohstoffverbrauch, Datenverarbeitung und -übertragung beständig zu.

Die ungleiche Verteilung des ökonomischen Wohlstands verschärft sich auch in der Datenökonomie durch die Vormachtstellung einiger weniger Unternehmen. Die Entwicklungsorganisation Brot für die Welt bezeichnet das Abschöpfen von Daten aus dem Globalen Süden für Gewinne von Big Tech-Unternehmen wie Google, Amazon, Meta, Apple, Microsoft und deren chinesischen Pendants wie Alibaba, Tencent und Baidu als „digitalen Kolonialismus“. Dass sich die digitale Infrastruktur in der Hand von wenigen großen Konzernen befindet, ist nicht nur ökonomisch, sondern auch politisch höchst problematisch: Intransparente Algorithmen, Datenmonopole und profitorientierte Geschäftsmodelle befördern die weltweit ansteigende Hassrede, gezielte Desinformation im Netz und die daraus resultierenden Polarisierungen bis hin zu Wahlmanipulationen.

Wie die Bits & Bäume-Konferenz 2022 zu Digitalisierung und Nachhaltigkeit gezeigt hat, gibt es jedoch zahlreiche positive Visionen für eine zukunftsfähige digitale Welt. Die relevanten Fragen sind daher: Wo kann die Digitalisierung der sozial-ökologischen Transformation dienen? Und wie können digitale Geräte, Infrastruktur, Anwendungen und Geschäftsmodelle nachhaltig gestaltet werden?

Die Digitalisierung als Ermöglicherin

Wir argumentieren: Für eine zukunftsfähige digitale Welt von morgen darf die Digitalisierung kein Selbstzweck sein, sondern muss primär als Werkzeug für mehr Nachhaltigkeit verstanden und am Gemeinwohl ausgerichtet werden. Sie kann zum Beispiel als Unterstützerin der Energiewende wirken: So können in einem durch zunehmende Dezentralität und Volatilität geprägten Energiesystem, das auf erneuerbaren Energien basiert, intelligente Mess- und Stromsysteme den Strombedarf und das -angebot besser in Einklang bringen. Datenbanken und Algorithmen lassen sich einsetzen, um verschiedene Unternehmen für kreislaufwirtschaftliche Produktion miteinander zu vernetzen. Zudem kann IKT auch die Mobilitätswende durch Sharing-Dienste oder bedarfsorientierte ÖPNV-Apps unterstützen. Jedoch dürfen Nachhaltigkeitsinnovationen nicht durch Reboundeffekte konterkariert werden. Digitale Car-Sharing-Angebote können nur zur absoluten Reduktion des mobilisierten Individualverkehrs führen, wenn sie nicht als zusätzliche Angebote verstanden werden. Dazu bedarf es neben der Ermöglichung des Car-Sharings durch die Digitalisierung auch Anreizen oder Regulierungen, die Autonutzung insgesamt zu reduzieren. Technologien sollten also suffizient eingesetzt und als ergänzend zu nicht digitalen Maßnahmen für nachhaltige Wenden verstanden werden.

Ein Mann in Indonesien steuert eine Bewässrungsanlage mit seinem Smartphone

Neue Möglichkeiten: Ein Bauer in Indonesien nutzt eine App, um die Bewässerung zu steuern.

 

Die Digitalisierung selbst nachhaltig gestalten

Vielversprechende Ansätze, um Rohstoff- und Energieverbrauch von IKT zu reduzieren, betreffen zum einen die digitalen Geräte und zum anderen die materielle Infrastruktur. So werden Schätzungen zufolge 30-40 % der funktionsfähigen Smartphones ausgetauscht, weil die Software nicht mehr aktualisiert wird. Mit Open Source-Software kann dieser softwarebedingten Obsoleszenz entgegengewirkt werden. Open Source-Software kann im Gegenteil zu nicht frei zugänglicher, proprietärer Software frei verwendet, von allen eingesehen, weitergegeben sowie modifiziert und angepasst werden. Weiterhin sind Interoperabilität (die Fähigkeit verschiedener Systeme, Geräte und Anwendungen sich ohne besondere Anpassungen verbinden und kommunizieren zu können) und offene Standards wichtige Ansätze, damit Daten zwischen verschiedenen Diensten geteilt werden können und Herstellerabhängigkeit verhindert wird.

Ein weiterer Hebel ist die Herstellung und Nutzung der digitalen Geräte im Sinne einer ganzheitlichen Kreislaufwirtschaft. Für die Weiterverwendung und Zurückführung von Stoffen, Materialien oder Komponenten in den Kreislauf spielen Design, Standards und Herstellerpflichten eine zentrale Rolle. Auch die Reparierbarkeit der Geräte ist wichtig, um die Lebensdauer von Geräten zu verlängern. Parallel sollten passende Rahmenbedingungen für Rohstoffimporte, -abbau und -verarbeitung, wie ein ambitioniertes Lieferkettengesetz, dafür sorgen, dass Unternehmen ihren ökologischen und sozialen Sorgfaltspflichten nachkommen.

Was die materielle Infrastruktur der Digitalisierung betrifft, müssen wir die Rechenzentren in den Blick nehmen. Die Verpflichtung, Strom aus erneuerbaren Quellen für den Betrieb von Rechenzentren zu verwenden und die anfallende Abwärme im Sinne der Wärmewende zu nutzen, ist ein erster wichtiger Schritt in Richtung einer klimafreundlichen Gestaltung der Infrastruktur.

Auf digitale Anwendungen bezogen bedeutet Suffizienz als Leitprinzip, dass ressourcensparende Ansätze bevorzugt verwendet werden. Künstliche Intelligenz (KI) sollte beispielsweise nicht rein aus Marketinggründen eingesetzt werden, wenn energiesparende Algorithmen zu vergleichbaren Ergebnissen führen können. Videos lassen sich auf kleinen Endgeräten in niedrigerer Auflösung abspielen, ohne dass das menschliche Auge den Unterschied erkennt. Privacy-by-design, also die Berücksichtigung von Datenschutz bei der Konzipierung und Entwicklung von Software und Hardware sowie benutzerfreundliche Voreinstellungen, bei der nur notwendige Daten erfasst werden, sollten zum Standard werden.

Wir stehen damit vor der Herausforderung, suffiziente und demokratische IKT aufzubauen und diese langfristig zu erhalten, ohne dabei neue Abhängigkeiten durch datengetriebene Geschäftsmodelle zu schaffen. Bislang wird Open Source-Software oft von Big Tech-Unternehmen vereinnahmt. Ein Paradigmenwechsel, der soziale, ökologische sowie demokratische Aspekte der Digitalisierung zusammen denkt, ist daher dringend notwendig: Es braucht transformative Geschäftsmodelle, finanzielle Förderung von Open Source und den Aufbau von öffentlicher digitaler Infrastruktur. Auf globaler Ebene sollte eine Governance-Struktur Standards für einen gerechten und sicheren Austausch von Daten und deren Wertschöpfung sicherstellen. Gleichzeitig gilt es, die Macht von Big Tech-Unternehmen zu entflechten. Die Zivilgesellschaft muss dabei als Frühwarnsystem, Watchdog und Debatten-Treiberin fungieren. Denn nur wenn die Dynamiken der Digitalisierung einer frühzeitigen Überprüfung unterzogen und kreative Lösungen zum Umgang mit den Herausforderungen geschaffen werden, können wir eine nachhaltige Digitalisierung gestalten.


Literatur:


Dieser Text erschien zuerst im Rundbrief 1/2023 des Forum Umwelt und Entwicklung.

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