Inmitten wachsender geopolitischer Spannungen geht der Druck zur Einhaltung von Klimaverpflichtungen zunehmend von den Gerichten aus. In diesem Jahr haben sowohl der Internationale Gerichtshof (IGH) als auch der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte (IACtHR) in wegweisenden Entscheidungen bekräftigt, dass Länder etwas gegen den Klimawandel tun müssen und dass ein Versäumnis ernste rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen kann.
Gerichte stellen Rahmen für den Klimaschutz klar
Diese neue rechtliche Klarheit kommt zu einem kritischen Zeitpunkt. Das vergangene Jahr war das wärmste seit Beginn der Aufzeichnungen, mit globalen Durchschnittstemperaturen von mehr als 1,5° Celsius über vorindustriellem Niveau, doch die Kluft zwischen der Dringlichkeit der Klimabedrohung und der politischen Reaktion darauf wird immer größer.
Angesichts des Mangels an politischem Willen ist das Rechtssystem zu einer wichtigen Triebkraft für Fortschritte beim Klimaschutz geworden. Kurz vor der UN-Klimakonferenz in Brasilien (COP30) ist der Grundstein für stärkere, gerechtere und verantwortungsvollere Klimaschutzmaßnahmen gelegt worden. Die Regierungen müssen ihre Politik nun im Einklang mit dem Völkerrecht und den Erfordernissen des Umweltschutzes anpassen.
Internationale Klimaschutzpflichten
Die unmittelbarste Auswirkung der Entscheidungen des IGH und des IACtHR ist, dass die als national festgelegte Beiträge (NDCs) bezeichneten nationalen Klimapläne „größtmöglichen Ehrgeiz“ widerspiegeln und dem Ziel des Pariser Klimaabkommens von 2015 entsprechen müssen, die globale Erwärmung auf 1,5°C zu begrenzen.
Mit Sorge ist festzustellen, dass die globalen Temperaturen nach dem Stand von 2024 bis zum Ende des Jahrhunderts voraussichtlich um bis zu 3,1°C ansteigen werden. Doch sind nach Ablauf der Frist für die Vorlage neuer NDCs im September lediglich die Hälfte der Treibhausgasemissionen durch aktualisierte Klimazusagen abgedeckt, und die meisten davon bleiben weit hinter den wissenschaftlich begründeten Zielwerten zurück. Die Entscheidungen von IGH und IACtHR geben jedoch etwas Anlass zur Hoffnung. Auf der COP30 können Verhandlungsführer und Vertreter der Zivilgesellschaft auf ehrgeizige Maßnahmen drängen, denn die Nichteinhaltung der Temperaturziele des Pariser Abkommens kann nicht nur in diplomatischen Foren, sondern auch vor Gericht angefochten werden.
Germanwatch
Saúl Luciano Lliuya with his lawyers and the team from Germanwatch and Stiftung Zukunftsfähigkeit in front of the Higher Regional Court Hamm
Haftungs- und Finanzierungspflichten im globalen Klimaschutz
Ein schneller Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas bleibt entscheidend für wirksamen Klimaschutz. Doch trotz des so genannten „VAE-Konsenses“ über den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen behindern viele Länder weiterhin den Fortschritt. Auch hier gibt der IGH den Verhandlungsführern neue Instrumente an die Hand, indem er ausdrücklich anerkennt, dass Staaten für unzureichende Emissionsminderungen haftbar gemacht werden können – und zwar auch dann, wenn diese auf die Förderung, Nutzung, Erkundung oder Subventionierung fossiler Energieträger zurückzuführen sind.
Das internationale Klimaregime muss sich an die veränderten rechtlichen Rahmenbedingungen anpassen. Dazu braucht es wirksamere Durchsetzungsmechanismen, die gewährleisten, dass Länder ihre Klimaziele einhalten und ihre Finanzzusagen erfüllen. Besonders deutlich zeigt sich der rechtliche Paradigmenwechsel bei der Klimafinanzierung. Die entwickelten Länder haben die Finanzierung von Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel und zum Ausgleich von Verlusten und Schäden jahrzehntelang als Ermessensausgaben behandelt. Daher liegen die bisherigen Beiträge, trotz der auf der COP28 erfolgten Einrichtung des Fonds zur Bewältigung von Verlusten und Schäden, deutlich unter dem erforderlichen Niveau.
Der Weg voran ist klar. Die Entscheidung des IGH bekräftigt, dass die reichen Länder völkerrechtlich verpflichtet sind, die Bemühungen der Entwicklungsländer beim Klimaschutz, zur Anpassung an den Klimawandel und zur Schadensbehebung zu unterstützen. Zur Erfüllung dieser Verpflichtungen müssen bis 2035 jährlich mindestens 1,3 Billionen US-Dollar mobilisiert werden, die auch zweckgebundene Rückstellungen für Verluste und Schäden umfassen müssen.
Gerichte bestätigen die Verantwortung der Großemittenten in der Klimakrise
Zentral ist auch: Der Privatsektor wird nicht aus der Verantwortung entlassen. Der IGH, der IACtHR und auch der Internationale Seegerichtshof haben anerkannt, dass Regierungen Unternehmen regulieren müssen, wenn dies zum Schutz der Umwelt, zum Schutz des Klimasystems und zur Wahrung der Menschenrechte erforderlich ist.
Zugleich werden Unternehmen auch von nationalen Gerichten zunehmend zur Verantwortung gezogen. In einem wegweisenden Urteil entschied das Oberlandesgericht Hamm, dass große Emittenten grundsätzlich für Klimafolgen haftbar gemacht werden können. Die Klage des peruanischen Landwirts Saúl Luciano Lliuya zeigt, dass einzelne, unmittelbar von der Klimakrise Betroffene die Verursacher zwingen können, ihren gerechten Anteil zu tragen.
Doch lässt sich durch Gerichtsverfahren allein keine Gerechtigkeit in großem Maßstab schaffen. Die Regierungen müssen klare rechtliche Rahmenbedingungen schaffen, um die großen Emittenten für ihre Rolle bei der Verursachung der Klimakrise in umfassender Weise in die Verantwortung zu nehmen, bevor der Schaden unumkehrbar wird. Mechanismen wie obligatorische Rückstellungen, Offenlegungsvorschriften, Versicherungssysteme und Entschädigungsfonds können dazu beitragen, Haftungsrisiken zu internalisieren und die Rechenschaftspflicht strukturell im System zu verankern, statt sie dem guten Willen oder den Gerichten zu überlassen.
Globale Rechtsprechung bewegt nationale Politik
Die Dynamik hin zu derartigen Maßnahmen verstärkt sich. In Ländern wie den Philippinen und Pakistan und in US-Bundesstaaten wie Vermont und New York arbeiten Parlamentarier derzeit an der Einführung von Rechtsvorschriften nach dem Verursacherprinzip. Bemerkenswerterweise berufen sich in Klimaprozessen die Kläger – von indigenen Gemeinschaften in Kanada bis hin zu Landwirten in Korea – bereits auf die Argumentation des IGH, und ein brasilianisches Gericht hat sogar ausdrücklich darauf verwiesen, als es die Einstellung eines fossilen Projekts anordnete.
Statt auf das nächste Gerichtsurteil zu warten, sollten Regierungen jetzt handeln, um die Rechtsstaatlichkeit zu stärken und Verantwortung für den Umgang mit der Klimakrise zu übernehmen. Das bedeutet, sie müssen einen glaubwürdigen Weg hin zu drastischen Emissionssenkungen einschlagen, den Ausstieg aus fossilen Energien beschleunigen und eine Klimafinanzierung sicherstellen, die wirksam, gerecht und zweckmäßig ist. Auf der COP30 sollten die internationalen Entscheidungsträger den derzeitigen rechtlichen Rückenwind nutzen und eine globale Abgabe auf Gewinne aus fossilen Brennstoffen und emissionsintensiven Sektoren – darunter Schifffahrt und Luftfahrt – vorschlagen, um die nachhaltige Finanzierung des Anpassungsfonds und des Fonds zur Bewältigung von Verlusten und Schäden zu gewährleisten.
Ein Jahrzehnt nach dem Pariser Abkommen kann sich die Welt keine halbherzigen Maßnahmen mehr leisten. Vanuatu hat bereits Pläne für eine neue UN-Resolution angekündigt, die darauf zielt, die Entscheidung des IGH in konkretes politisches Handeln umzusetzen. Indem sie diese Initiative unterstützen und jetzt entschlossen handeln, können die politischen Entscheidungsträger ein globales Klimaregime aufbauen, das in der Lage ist, echte Lösungen in dem Tempo und Umfang zu liefern, wie es diese Krise erfordert.
Dieser Text wurde übersetzt dem Englischen von Jan Doolan und erstveröffentlicht auf Project Syndicate.