Blogpost | 26.11.2015

Warum wir im Pariser Abkommen ein Ziel zum Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas brauchen

Blog-Beitrag von Lutz Weischer und Manfred Treber, November 2015
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Am 30. November beginnt in Paris der Klimagipfel, auf dem ein neues globales Abkommen verabschiedet werden soll. Eines der Themen, um die dabei bis zum Schluss gestritten werden wird, ist das sogenannte "Langfristziel": Welches gemeinsame Ziel soll im Abkommen festgehalten werden, als Leitstern an dem sich die internationale Klimapolitik in den nächsten Jahrzehnten orientieren kann?

Die internationale Gemeinschaft hat sich bereits darauf verständigt, dass der Klimawandel auf unter 2°C begrenzt werden muss und dass überprüft werden muss, ob diese Obergrenze nicht auf 1,5°C verschärft werden soll. So wurde es wiederholt in Konferenzbeschlüssen seit dem Klimagipfel 2010 in Cancún festgehalten. In Paris wird diese Obergrenze wahrscheinlich in das Abkommen aufgenommen und damit rechtlich aufgewertet.

Es ist aber entscheidend, über die abstrakte Temperaturgrenze hinauszugehen. Das durch die Temperaturgrenze gesetzte langfristige Ziel des internationalen Klimaschutzes muss konkretisiert werden - und zwar so, dass Regierungen, Investoren und Bürger verstehen, was es bedeutet.

Der letzte Bericht des Weltklimarats hat 2014 aufgezeigt, was erforderlich ist, um mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 66% das Zwei-Grad-Limit einzuhalten: Es dürfen ab dem Jahr 2011 insgesamt nur noch 1000 Milliarden Tonnen CO2 ausgestoßen werden. Die bereits nachgewiesenen Reserven von Kohle, Erdöl und Erdgas sind um ein Vielfaches höher. Das meiste davon muss also unter der Erde bleiben. Der globale Ausstoß aller Treibhausgase muss spätestens 2020 seinen Scheitelpunkt erreichen und bis 2100 auf Null sinken. Noch schneller muss es beim Kohlenstoffdioxid (CO2) gehen, das vor allem bei der Verbrennung fossiler Energieträger entsteht. Die weltweiten CO2-Emissionen müssen laut Weltklimarat spätestens um das Jahr 2070 auf Null sinken, die Weltwirtschaft muss bis dahin vollständig "dekarbonisiert" sein. Im Elektrizitätssektor ist eine weitgehende Dekarbonisierung sogar schon im Zeitraum zwischen 2040 und 2070 erforderlich.

Diese Berechnungen setzen ab der zweiten Hälfte des Jahrhunderts auf "negative Emissionen", also die Entnahme von Treibhausgasen aus der Atmosphäre. Dazu benötigt man Technologien, die bislang nicht erprobt und mit vielfältigen Risiken verbunden sind. Wenn diese riskante Wette vermieden werden soll, muss die Dekarbonisierung schneller erfolgen. Auch wenn das Zwei-Grad-Limit mit einer höheren Wahrscheinlichkeit als 66% eingehalten oder die Erwärmung auf 1,5 Grad begrenzt werden soll, muss der Ausstieg aus den fossilen Energien noch früher geschafft sein.

Der Stand der Klimawissenschaft lässt sich also so zusammenfassen: Ein weltweiter Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas ist bis Mitte des Jahrhunderts erforderlich. Je klarer dies auch im Abkommen formuliert werden kann, desto deutlicher wird das Signal, dass von Paris ausgeht. Hierbei stellen sich verschiedene Fragen:

Wie genau soll das Ziel formuliert werden? Bei einer informellen Zusammenkunft der Staats- und Regierungschefs in  New York am 27. September wurde dieses Thema diskutiert. Die Gastgeber - der UN-Generalsekretär und die Präsidenten Perus und Frankreichs - haben in ihrer Zusammenfassung festgehalten, dass Einigkeit bestand, dass das Abkommen "ein lautes und klares Signal an Bürger und den Privatsektor senden muss, dass die Transformation der Weltwirtschaft unvermeidbar ist, Vorteile bringt und bereits im Gange ist." Dazu wurden drei mögliche Formulierungen identifiziert: "die zunehmende Dekarbonisierung der Weltwirtschaft im Laufe des Jahrhunderts", die "Umstellung auf 100% sauberer Energiesysteme" oder "grüne kohlenstoffarme Transformation im Laufe des Jahrhunderts".[1] Im Verhandlungstext sind weitere Optionen enthalten, beispielsweise "Null-Emissionen", "Netto-Null-Emissionen", "Klimaneutralität", "Kohlenstoffneutralität", "langfristige globale emissionsarme Transformation", "globale kohlenstoffarme Transformation".  Ein starkes Signal wird nur von einer Formulierung ausgehen, die eindeutig ein Ende der CO2-Emissionen aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe anzeigt, beispielsweise Dekarbonisierung - die Formulierugn auf die sich die G7-Staaten beim Gipfel in Elmau verständigt haben. Formulierungen mit "Netto" oder "Neutralität" sind demgegenüber Abschwächungen, denn sie verweisen auf die Vorstellung, dass Emissionen weiter entstehen können, solange sie an anderer Stelle - etwa durch Aufforstung oder "negative Emissionen" wieder ausgeglichen werden. Vage Formulierungen wie  "Niedrigemissionen" oder "kohlenstoffarm" (low emissions oder low carbon) schließlich würden nur wenig Orientierung geben.

Was ist das Zieldatum? Ein Zieldatum Mitte des Jahrhunderts gibt klare Orientierung für diejenigen, die Investitionsentscheidungen im Energiesektor treffen müssen. Die Lebensdauer von Kraftwerken und Infrastruktur beträgt oft mehr als 40 Jahre - ein 2050-Ziel (in 35 Jahren!) hätte also schon heute klare Auswirkungen. Von einem Ziel Ende des Jahrhunderts - also in 85 Jahren - geht hingegen kein starkes Signal aus. Formulierungen wie "im Laufe des Jahrhunderts" liegen zwischen diesen beiden Polen und müssen interpretiert werden: Wird zum Beispiel auf die Berichte des Weltklimarats verwiesen, so ist klar, dass 2070 gemeint sein muss und deutlich früher für den Elektrizitätssektor. Insgesamt wäre eine Jahreszahl - am besten 2050 - eindeutiger als eine allgemeinere Formulierung. Sicherlich gibt es hier auch "Trade-offs" zur Zielformulierung zu beachten: Ist ein ambitionierter formuliertes Ziel möglich mit einem etwas vager gehaltenem Datum bzw. kann ein klares Datum vereinbart werden, aber nur mit einer weniger klaren Zielformulierung?

Wird eine positive Vision formuliert? Die meisten vorgeschlagenen Formulierungen betonen das Ende der Emissionen oder der fossilen Energieträger. Es wäre sinnvoll, ergänzend zu formulieren, dass die Erreichung dieses Ziels zu Armutsbekämpfung und Entwicklung beitragen soll. Dazu haben die Staatschefs in New York gefordert, dass das Abkommen eine "umfassende langfristige Version einer Welt formuliert, die von Armut befreit ist durch die sozialen und ökonomischen Möglichkeiten, die durch den Übergang in eine emissionsarme und klimaresiliente Zukunft geschaffen werden."[2] Ebenfalls sollte auf die zentrale Rolle der erneuerbaren Energien hingewiesen werden. Die New Yorker Option "100% saubere Energiesysteme" geht in diese Richtung, lässt aber offen, was "saubere Energie" ist. Um  Risikotechnologien wie Kernkraft auszuschließen wäre eine Formulierung besser, wie sie beispielsweise in der Brasilianisch-Deutschen Klimaerklärung enthalten ist: "den Zuwachs der globalen Durchschnittstemperatur gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter auf maximal zwei Grad Celsius [...] begrenzen, was eine Energiewende hin zu erneuerbaren Energien erfordert, einhergehend mit einer Dekarbonisierung der Weltwirtschaft".[3]  Im offiziellen Verhandlungstext finden sich bislang allerdings keine Optionen, die explizit erneuerbare Energien nennen.

Wird zwischen Ländern mit unterschiedlicher Ausgangslage differenziert? Schwellen- und Entwicklungsländer verweisen auf das Prinzip der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten und Fähigkeiten. Dieses sollte sich auch bei einem Langfristziel widerspiegeln, indem die Länder mit mehr Verantwortung und Ressourcen früher dekarbonisieren und andere Länder bei der Transformation unterstützen. Hierzu ist beispielsweise in der Brasilianisch-Deutschen Klimaerklärung als Ziel formuliert: "Dekarbonisierung der Weltwirtschaft im Laufe dieses Jahrhunderts unter Berücksichtigung der erforderlichen Maßnahmen im Hinblick auf die Anpassung an den Klimawandel und Zugang zu Finanzierungen, Technologien und Qualifizierung als notwendige Elemente einer solchen Wende und mit Rücksicht  auf die besonderen Bedürfnisse der Entwicklungsländer."[4]

Wird es Umsetzungspläne geben? Ergänzend zu einem solchen konkreten Langfristziel sollten die Staaten aufgefordert werde, Dekarbonisierungspläne zu erarbeiten. In solchen Plänen würde die nationale Strategie beschrieben, wie die Emissionen auf einen Pfad gebracht werden sollen, der mit der angestrebten Dekarbonisierung kompatibel ist. In einer Konferenzentscheidung sollten Details für die Erarbeitung dieser Pläne festgelegt werden. Sollten einige Abkommen bei der Zielformulierung im Abkommen vage bleiben, könnten sie hier weiter konkretisiert werden. Zum Beispiel könnte als Zieldatum für die Pläne das Jahr 2050 festgelegt werden und es könnten Regelungen zu Differenzierung und Unterstützung getroffen werden.



[1] http://www.un.org/climatechange/wp-content/uploads/2015/09/Key-Messages-Informal-Lunch_FINAL.pdf, Übersetzung durch Germanwatch

[2] http://www.un.org/climatechange/wp-content/uploads/2015/09/Key-Messages-Informal-Lunch_FINAL.pdf, Übersetzung durch Germanwatch

[3] http://www.bmub.bund.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Klimaschutz/klimakonsultation_deutschland_brasilien_bf.pdf

[4] http://www.bmub.bund.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Klimaschutz/klimakonsultation_deutschland_brasilien_bf.pdf


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