Das System der industriellen Fleisch- und Milchproduktion insgesamt ist in Frage zu stellen

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Das System der industriellen Fleisch- und Milchproduktion insgesamt ist in Frage zu stellen

Interview mit Shefali Sharma, Direktorin des europäischen Büros des Institute for Agriculture and Trade Policy (IATP)
Porträt Shefali Sharma

Ihr Institut für Landwirtschafts- und Handelspolitik hat kürzlich die Studie „Emission Impossible“ zur Klimarelevanz der Fleischund Molkereiindustrie herausgegeben. Wie ist sie im Vergleich zu anderen Industrien einzuordnen?

Die fünf größten Fleisch- und Milchkonzerne der Welt emittieren zusammen mehr Treibhausgase als jeder einzelne der großen Ölkonzerne Exxon, Shell oder BP. Die schieren Massen an Fleisch und Milch, die in Industrie- und einigen Schwellenländern erzeugt werden, tragen damit heute schon massiv zum Klimawandel bei. Dennoch planen die Konzerne noch weiter zu wachsen.

Wie passen diese Pläne zu den Klimazielen von Paris?

Gar nicht. Bis 2050 müssen wir die globalen Emissionen um 18 Milliarden Tonnen (CO2- äquivalent) reduzieren, um die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Wenn alle anderen Sektoren diesen Weg gehen, während die Fleisch- und Milchindustrie wie prognostiziert weiterwächst, könnte der Tierhaltungssektor in nur 32 Jahren 80 Prozent des zulässigen Treibhausgas-Budgets verschlingen.

Gibt es Pläne der Fleisch- und Milchkonzerne, ihre Emissionen zu verringern?

Vierzehn der 35 untersuchten Konzerne haben in irgendeiner Form Emissionsreduktionsziele angekündigt. Allerdings berichten die meisten der weltweit größten Fleisch- und Molkereikonzerne über ihre Emissionen nicht oder nicht umfassend. Und die Pläne sind meist wenig ehrgeizig und zum Teil nicht glaubwürdig.

Worin unterscheiden sich glaubwürdige von unglaubwürdigen Treibhausgasberechnungen?

Nur sechs Konzerne geben auch die Emissionen aus ihrer Lieferkette an und berücksichtigen sie in ihren Zielen. Alle anderen ignorieren die Emissionen ihrer Lieferanten aus Aufzucht der Tiere und dem Futtermittelanbau, obwohl diese bis zu 90 Prozent der Gesamtemissionen ausmachen. Und selbst die sechs Konzerne, die auch die Emissionen aus den Lieferketten reduzieren wollen, verfangen sich dabei in einem Widerspruch: Sie wollen nur Emissionen pro Kilo Milch oder Fleisch reduzieren, aber zugleich Produktion und Exporte weiter steigern. Mögliche Effizienzgewinne, werden so „aufgefressen“ und die Gesamtemissionen wachsen auch bei ihnen in noch dramatischere Höhen.

Welche weiteren Probleme neben den Klimawirkungen entstehen aus Ihrer Sicht aus der industriellen Fleisch- und Milcherzeugung?

Die Fleischwirtschaft hat auch eine globale Verantwortung für die Ausbreitung von multiresistenten Krankheitserregern. Wenn der aktuelle Trend sich fortsetzt, wird der globale Antibiotikaverbrauch in Tierhaltungen zwischen 2010 und 2030 um etwa zwei Drittel zunehmen. Rund zwei Drittel davon wiederum entstehen aus dem schieren Wachstum der Produktion. Das andere Drittel entsteht durch die Industrialisierung der Tierhaltung. In industriellen Stallanlagen können sich Erreger schnell ausbreiten, Tiere verletzen sich gegenseitig und müssen behandelt werden. Zudem werden Antibiotika als Leistungsförderer eingesetzt, da die Tiere unter Antibiotikaeinfluss schneller an Gewicht zunehmen.

Viele Regierungen befürchten, dass Fleisch und Milch zu teuer werden, wenn LandwirtInnen konsequenter Klimaschutz betreiben und den Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung stark verringern. Wie begegnen Sie diesem Argument?

Mit jedem Antibiotikaeinsatz werden einige resistente Erreger hervorgerufen. Industrielle Tierhaltungen haben einen hohen Antibiotikabedarf und weisen daher hohe Resistenzraten auf. In Deutschland trägt jede zweite Hähnchenfleischprobe im Supermarkt multiresistente Erreger. Die scheinbar kostengünstige industrielle Fleischproduktion treibt die Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen voran. Die UN-Landwirtschaftsorganisation FAO sieht darin die Gefahr, dass industrielle Tierhaltungssysteme bald schon nicht mehr funktionieren, weil keine wirksamen Antibiotika mehr zur Verfügung stehen. Von den Wirkungen auf Menschen, für die lebenswichtige Medikamente nicht mehr zur Verfügung stehen, ganz zu schweigen. Die höheren Kosten hat die industrielle Tierhaltung.

Mitte Oktober 2018 findet in Berlin der Gipfel der Weltgesundheitsorganisation WHO statt, auf dem Antibiotikaresistenzen eine zentrale Rolle spielen. Was raten Sie den Regierungen der Welt mit Blick auf die Umsetzung der Ziele der Agenda 2030, insbesondere dem, Gesundheit für alle zu erreichen?

Antibiotikaresistenzen stehen auch auf Initiative der Bundesregierung international weit oben auf der Tagesordnung. Die WHO und andere Organisationen wie die G 20 verfolgen den One-Health-Ansatz. Das bedeutet, Resistenzen bei Menschen, Tieren und in der Umwelt koordiniert zu bekämpfen. Daher muss Tierhaltung auch auf dem Weltgesundheits-Gipfel eine wichtige Rolle spielen. Dabei reicht es nicht aus, Antibiotika nur als Masthilfen zu verbieten und technische Ansätze zur Resistenzbekämpfung zu entwickeln. Vielmehr muss das System der industriellen Fleisch- und Milchproduktion aus verschiedenen Gründen insgesamt in Frage gestellt werden. Die Industrieländer, in denen insgesamt und pro Kopf am meisten Fleisch und Milch erzeugt werden, müssen vorangehen. Nötig ist eine klare Strategie, um die Fleisch- und Milchproduktion zu senken.

Interview: Reinhild Benning

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