Freihandel zwischen ungleichen Partnern

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Freihandel zwischen ungleichen Partnern

Europäische Handelspolitik bedroht das Recht auf Nahrung afrikanischer Kleinbauern

 

Bereits jetzt werden zahlreiche afrikanische Kleinbauernfamilien durch europäische Billigimporte von ihren lokalen Märkten verdrängt. Die Folgen sind Armut und Hunger. Neue "Wirtschaftspartnerschaftsabkommen" (EPAs) mit der Europäischen Union drohen, das Problem zu verschärfen. Zahlreiche Organisationen der Zivilgesellschaft fordern eine grundlegende Revision der Abkommen.

Jeder dritte Afrikaner südlich der Sahara ist chronisch unterernährt. Verantwortlich sind nicht nur Kriege und Naturkatastrophen wie etwa die Fluten im vergangenen Herbst. Ebenfalls strukturell verheerend sind Fluten ganz anderer Art: Billige Geflügelteile, Tomatenpaste zu Schleuderpreisen und heruntersubventionierte Milchprodukte aus der EU sowie Reis aus den USA und Asien überschwemmen die lokalen Märkte und berauben Kleinbauernfamilien ihrer wichtigsten Einkommensquelle. Für die Betroffenen bedeutet das häufig eine gravierende Verletzung ihres Menschenrechts auf Nahrung, denn Alternativen gibt es kaum: Über drei Viertel der afrikanischen Bevölkerung leben von der Landwirtschaft, Arbeitsplätze fehlen ebenso wie vernünftige Sozialsysteme.

Armutsbekämpfung würde bedeuten, die Bäuerinnen und Bauern zu unterstützen und zugleich die Märkte vor Billigimporten zu schützen. Doch leider geschieht genau das Gegenteil. Zur gleichen Zeit als die EU wichtige Nothilfe für die Opfer der Fluten in der Sahelzone leistete, verhandelte sie mit den Staaten Afrikas, der Karibik und des Pazifiks (AKP-Staaten) über sogenannte  Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (Economic Partnership Agreements - EPAs). Dabei forderte die EU von den "Partnern" eine radikale Marktöffnung für europäische Importe und Dienstleistungen sowie einen weitgehenden Schutz von Investitionen und Patenten. Bis zum 31. Dezember 2007 sollten die Abkommen unter Dach und Fach sein. Andernfalls drohte die EU mit der Anhebung ihrer Einfuhrzölle für Produkte aus den AKP-Staaten, was in vielen Fällen Exporte unmöglich gemacht und empfindliche Einnahmeeinbußen verursacht hätte. Kaum verhohlen hatte die Kommission auch die Erhöhung von Entwicklungsgeldern vom Abschluss der EPAs abhängig gemacht.

Freihandel auf Kosten der Ärmsten

Für die AKP-Staaten ist das eine bittere Pille. Denn mit der Marktöffnung sollen sie eine Gegenleistung für etwas erbringen, das die EU ihnen schon vor Jahren zugestanden hat, nämlich einen günstigen Zugang zum europäischen Markt. "Gibst du mir, geb' ich dir" ist dagegen die Logik der Welthandelsorganisation (WTO) und damit auch die neue Devise der EU. Der Haken daran: Die Wirtschaftskraft der EU übersteigt jene der AKP-Staaten um das 31-fache. Noch auf dem EU-Afrika-Gipfel Anfang Dezember hatten afrikanische Regierungen deshalb die Haltung der EU ungewöhnlich scharf als kolonialistisch kritisiert. Doch unter massivem Druck aus Brüssel willigten bis Jahresende dann doch 35 der 78 AKP-Regierungen in sogenannte Interimsabkommen ein. 

Zwar beschränken sich diese Interims-abkommen - anders als in den Voll-EPAs geplant - auf den Güterhandel, für die Menschenrechte der Ärmsten könnten die Folgen dennoch katastrophal sein. Denn für mindestens 80 Prozent der europäischen Importe müssen die AKP-Staaten in den nächsten Jahren ihre Zölle auf Null senken. Welche Produkte in welchen Ländern als "sensibel" eingestuft und von der Liberalisierung ausgenommen werden dürfen, ist noch unklar. Doch selbst für diese Produkte verbietet eine "Standstill"-Klausel in den meisten Abkommen, den Zoll in Zukunft über das derzeitige Niveau anzuheben. Für ghanaische Tomaten- und Geflügelbauern könnte diese Klausel zum Verhängnis werden. Um sie vor den Billigimporten aus der EU zu schützen, wäre nämlich eine Zollerhöhung erforderlich. Nach den Regeln der WTO wäre eine Erhöhung des derzeitigen Zolls in Höhe von 20 Prozent auf bis zu 99 Prozent auch ohne Weiteres möglich. Im Interimsabkommen hingegen wird der Zoll ab sofort auf 20 Prozent eingefroren.

Europäische Subventionen - die Doppelmoral des Freihandels

Auch für John Mwemba, Milchbauer aus Sambia, ist Freihandel mit der EU eine Horrorvision. "Bitte lasst uns die Chance, unseren Milchmarkt vor europäischen Importen zu schützen", hatte er im Dezember 2007 in Berlin einigen Bundestagsabgeordneten ins Gewissen geredet. Seine Kühe geben in der Regenzeit nur bis zu vier Liter Milch täglich, in der Trockenzeit fast gar keine. Die in der EU verbreiteten Holstein-Friesen Kühe hingegen liefern bis zu 45 Liter pro Tag. Bisher fallen die direkten Milchpulverimporte aus der EU in Sambia wenig ins Gewicht. Sambias größter Handelspartner Südafrika importiert jedoch seinerseits beträchtliche Mengen an Milchpulver aus der EU und erhöht damit die Kapazität eigener Exporte nach Sambia. Sollte Sambia seinen Zoll aufgrund des Interimsabkommens abschaffen müssen, könnten auch die direkten Importe aus der EU steigen.

Sorge bereiten den sambischen Bauern auch die üppigen Subventionen der EU. Zwar hat die EU die Exportsubventionen in den vergangenen Jahren massiv reduziert. Aufgrund interner Subventionen sind europäische Molkereien aber immer noch in der Lage, ihre Erzeugnisse weit unterhalb der eigentlichen Erzeugungskosten zu exportieren. Diese Subventionen kommen in der EU vor allem großen Unternehmen zugute und sind bislang nicht ausreichend an ökologische und soziale Kriterien gekoppelt. Die EU plant zudem, bis 2015 die Milchquote abzuschaffen, wodurch die Produktion und auch die Exporte noch steigen dürften. Und anscheinend will sich die EU bei der Reform ihrer Milchmarktordnung die Möglichkeit offen halten, bei Bedarf auch wieder verstärkt Exportsubventionen einzusetzen (siehe hierzu Beitrag auf Seite 3). Dies steht im Widerspruch zu dem Versprechen der EU in den Verhandlungen der WTO, die Exportsubventionen bis zum Jahr 2013 ganz abzuschaffen.

Von ihrem Anspruch, ein Entwicklungsinstrument zu sein, sind die EPA-Interimsabkommen weit entfernt. Vielmehr tragen sie die deutliche Handschrift der Generaldirektion Handel der EU-Kommission. Die folgt weitgehend den Interessen der europäischen Unternehmen und möchte für sie einen besseren Zugang zu Absatzmärkten und Rohstoffen schaffen. Dem europäischen Druck hatten die AKP-Staaten wenig entgegenzusetzen. Ohnehin waren ihre Verhandlungskapazitäten durch mangelnde Ressourcen begrenzt. Aufgrund des erheblichen Zeitdrucks wurden die Abkommen mit heißer Nadel gestrickt. Offiziell sind sie immer noch unter Verschluss. Dem Vernehmen nach haben die Rechtsabteilungen der Verhandlungsparteien immer noch alle Hände voll zu tun, die handwerklichen Fehler und Unstimmigkeiten in den vereinbarten Texten zu korrigieren.

Interimsabkommen müssen dringend revidiert werden

Hinzu kommt, dass die meisten Interimsabkommen nicht mit regionalen Verhandlungsblocks vereinbart wurden, sondern bilateral mit einzelnen Regierungen. Für die regionale Integration in Afrika ist dies ein schwerer Rückschlag. Denn wenn Staaten wie Nigeria, die nicht unterzeichnet haben, sich vor den europäischen Importen weiterhin schützen wollen, werden sie sich zwangsläufig gegenüber anderen westafrikanischen Staaten wie Ghana abschotten müssen. Ansonsten landen die EU-Produkte über den Umweg Ghana am Ende auch auf dem nigerianischen Markt. 
In diesem Problem könnte paradoxerweise auch eine Chance liegen. Denn Ziel der EU ist es weiterhin, EPAs mit den gesamten Regionen abzuschließen. Und "dort, wo bilaterale Abkommen künftig von regionalen Abkommen ersetzt werden", so die deutsche Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul, sollen "nicht automatisch die bereits eingegangenen Liberalisierungsverpflichtungen übernommen, sondern auf regionaler Ebene neu verhandelt werden". Damit bestünde also Spielraum für Neuverhandlungen.

Nichtregierungsorganisationen (NRO) wie FIAN und Germanwatch fordern, diesen Verhandlungsspielraum für eine grundlegende Revision zu nutzen. Handelsabkommen wie die EPAs dürfen nur dann ratifiziert werden, wenn ausgeschlossen werden kann, dass sie zu Menschenrechtsverletzungen führen. Dies hat auch Jean Ziegler, UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, im Abschlussbericht an den UN-Menschenrechtsrat am 12. März 2008 betont. Die Bundesregierung sollte sich daher für eine umfassende Folgenabschätzung der bisherigen Abkommen einsetzen und sich bei der EU für eine Revision der problematischen Regelungen stark machen. Denn Menschenrechte stehen über Handelsrechten, und Entwicklung darf nicht zur Worthülse verkommen.

Kerstin Lanje (Germanwatch) und Armin Paasch (FIAN Deutschland)

 

 

 

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