Blogpost | 10.05.2019

Digitalisierung gestalten für Agrarbetriebe und Nachhaltigkeit

Digitalisierung in der Landwirtschaft kann der Nachhaltigkeit dienen – muss sie aber nicht.
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Heilsversprechen von realen Chancen unterscheiden

Der Digitalisierung in der Landwirtschaft werden geradezu heilsbringende Eigenschaften zugeschrieben. Precision Farming soll mit Hilfe digitaler Technik Pflanzenkrankheiten oder Schädlinge mit geringeren Mengen an Pflanzenschutzmitteln bekämpfen. Farm-Managementsysteme sollen Verwaltungsabläufe für Landwirt*innen erleichtern. Digital gestützte präzisere Bedarfsanalysen und Applikationen sollen dazu beitragen, Nährstoffe besser auf den Pflanzenbedarf abzustimmen und somit Nährstoffüberschüsse in der Umwelt zu minimieren. Auch der Bedarf an Antibiotika in Tierhaltungen könnte reduziert werden.

Umwelt- und Tierschutzverbände begrüßen diese Ziele. Doch werden sie mit den derzeit in Agrarzeitschriften beworbenen digitalen Instrumenten auch tatsächlich erreicht? Wo bleiben die unabhängigen Technikfolgenabschätzungen? In Deutschland ist mit dem Kauf von Monsanto durch Bayer ein dominanter Treiber der Digitalisierung in der Landwirtschaft entstanden. Eine Recherche von Oxfam zu globalen Investitionen in diesen Sektor lässt Sorgen aufkommen, ob die mit diesen Investitionen verbundenen Renditeerwartungen angesichts der geringen Erzeugerpreise nicht auf Kosten der bäuerlichen Betriebe weltweit gehen. Höchste Zeit, den Dialog für eine nachhaltige Digitalisierung der Landwirtschaft hierzulande rascher voran zu bringen.

Klima- und Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen setzen die Erfolgsmaßstäbe

Mit den Nachhaltigkeitszielen  der Agenda 2030 hat sich die Weltgemeinschaft verpflichtet, bis zum Jahr 2030 Hunger und Armut weltweit zu beenden und die Wirtschaft klimaneutral zu gestalten. Diese Ziele geben die notwendigen Inhalte bei der Digitalisierung auch der Landwirtschaft in Deutschland vor. Doch einen Klimaschutz- oder Nachhaltigkeits-Check für digitale Tools in der Landwirtschaft gibt es nicht. Noch nicht.

Seit 20 Jahren Precision Farming – und trotzdem steigende Pflanzenschutzmittel-Mengen

Schon seit 20 Jahren verfügen Landmaschinen über präzise Techniken. Die Düsen an Pflanzenschutzgeräten lassen sich seit Jahrzehnten schon einzeln steuern und so z.B. Randstreifen schonen. Dank integrierter Windmessungen werden weniger Pestizide aus der Spritze vom Winde verweht. Aber den Nachhaltigkeitsbeweis bleibt der digitale Fortschritt bisher schuldig. Der Absatz an Pflanzenschutzmitteln in Deutschland ([1]) in Deutschland liegt sogar höher als vor 20 Jahren – und soll laut Bayer weiter steigen (vgl. Geschäftsbericht 2018 [2]).

Risiken für Bauernhöfe, Chancen für Konzerne?

Derzeit bieten vor allem globale Plattform-Unternehmen von Saatgut- bzw. Pflanzenschutzkonzernen in Kooperation mit Landmaschinenherstellern und BigData-Unternehmen digitale Systeme für landwirtschaftliche Betriebe an. Die Systeme verschiedener Konzerne sind i.d.R. nicht kompatibel. Wer ein Farmdatensystem zum Beispiel von einer Bayer-Plattform erwirbt, bekommt auch nur „Empfehlungen“ für Produkte von Bayer und seinen Digitalpartnern. Der Kauf solcher Programme bindet Betriebe an einen einzigen Saatgut- und Pestizid-Anbieter. Das kann die Wahlfreiheit für Landwirt*innen stark reduzieren. Zugleich sind Fragen des Datenschutzes bisher ungeklärt. Dennoch hat in Berlin bisher erst ein einziges Fachgespräch im Agrarausschuss des Bundestages stattgefunden.

„Nachhaltigkeits-TÜV“ für digitale Anwendungen

Landwirtschaftsbetriebe bekommen oft sehr niedrige Erzeugerpreise, die ihr Kosten nicht decken. Verbraucher hingegen zeigen abhängig vom Kennzeichnungsrecht eine wachsende Bereitschaft, gesellschaftliche Leistungen mit höheren Preisen zu honorieren. Obwohl zahlreiche Betriebe schon mit digitalen Instrumenten gesellschaftsrelevante Daten verwalten, sind ihre konkreten Leistungen für Tierschutz, Insektenschutz, Klima- bzw. Wasserschutz bisher für Verbraucher*innen und Marktpartner*innen nicht zuverlässig zu erkennen. Hier kann digitales Farm-Management innovative Chancen bieten.

Germanwatch setzt sich dafür ein, gesellschaftlichen Leistungen von bäuerlichen Betrieben mit Hilfe eines digitalen Audits und einer Verbraucher-App in Wert zu setzen: Der Idee nach erfasst das Betriebsaudit z.B. Stoffströme, Artenschutzleistungen und Antibiotikaverbrauch. Je nach Wert erhält der Betrieb Punkte für gesellschaftliche Leistungen. Mit Hilfe des Systems können diese Leistungen nach einer Umgestaltung der Gemeinsamen Agrarpolitikdurch die anstehende EU-Agrarreform honoriert werden.

Zugleich brauchen wir zur Sicherstellung der Klimaziele strenge Regeln für die Digitalisierung: ein Prüf- und Zulassungsverfahren für alle digitalen Anwendungen in der Land- und Ernährungswirtschaft, ob und in welchem präzisen Maße sie den Klima- und Nachhaltigkeitszielen dienen und Datenschutz wahren, wäre ein erster Schritt dazu.

 

[1] Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) 2017

[2] BAYER Geschäftsbericht 2018 (Abschnitt: Empfehlungen für Spitzenumsätze in „Geschäftsfeldern, in denen wir bereits tätig sind“, abgerufen am 5.3.2019)

 

Dieser Text erschien zuerst als Gastbeitrag auf nachhaltig.digital.

Autor:innen

Reinhild Benning