Blogpost | 09.02.2022

Digital Services Act: Update für den Verbraucher:innenschutz – mit großem ungenutzten Potenzial

Handy liegt auf einem Tisch neben einem Laptop und wird von einer Person benutzt.

Der Digital Services Act soll insbesondere den Verbraucher:innenschutz stärken. Richtig umgesetzt kann er neue internationale Standards etablieren.

Die EU-Kommission hat mit dem Digital Services Act (DSA) und dem Digital Markets Act (DMA) ihr politisches Rüstzeug für das digitale Zeitalter vorgestellt. In diesem Blogbeitrag geht es um den DSA (zum DMA siehe diesen Blogbeitrag).

Der DSA soll digitale Dienstleister, vor allem Online-Plattformen, zu mehr Verbraucher:innenschutz und Transparenz verpflichten. Er hat damit eine wichtige Funktion für den Schutz der Demokratie.

Die Regulierung digitaler Konzerne in der EU ist überfällig. Doch der DSA verpasst Chancen. Nachbesserungen müssen unter anderem …

  • Nutzer:innen mehr Kontrolle und Transparenz bzgl. ihrer Daten geben,
  • Desinformation stärker bekämpfen,
  • den Einfluss von Facebook, Telegram und Co. auf den öffentlichen Diskurs und damit unsere Demokratie entschärfen,
  • die Nutzung personenbezogener Daten für Online-Werbung verbieten und
  • ein breiteres Spektrum von Nachhaltigkeitszielen verfolgen.

Worum es im DSA genau geht und welche Nachbesserungen Germanwatch im Detail fordert, klärt dieser Blogbeitrag.
 

Worum geht es im DSA-Entwurf?

Die Kommission plant unter anderem folgende Veränderungen:

  1. Vorgehen gegen illegale Inhalte
    Illegale Inhalte sind zum Beispiel gefälschte Produkte oder auf Plattformen verbreitete Hassbotschaften. Nutzer:innen sollen solche Inhalte leichter melden können. Um illegale Inhalte zu finden, sollen Plattformen außerdem mit externen Hinweisgeber:innen zusammenarbeiten.
  2. Schutz von Nutzer:innen
    Online-Plattformen wie Marktplätze, App-Stores oder „Soziale Netzwerke“ sollen Nutzer:innen erklären, was sie tun. Also warum sie zum Beispiel einen Instagram-Post anzeigen, verbergen oder gar löschen. Zu solchen Entscheidungen sollen sie Berichte erstellen. Darin sollen die Plattformen zum Beispiel aufschreiben, welche Profile sie gelöscht haben. Außerdem sollen Nutzer:innen künftig mehr Kontrolle über das bekommen, was ihnen die Plattformen anzeigen. Werbung beispielsweise muss als Werbung erkennbar sein.
  3. Untersuchung systemischer Risiken
    Sehr große Online-Plattformen sind Plattformen mit mehr als 45 Millionen aktiven Nutzer:innen – wie zum Beispiel TikTok. Sie sollen künftig ihre eigenen systemischen Risiken identifizieren und Maßnahmen dagegen ergreifen. Bei systemischen Risiken handelt es sich zum Beispiel um Auswirkungen auf Grundrechte wie die Meinungsfreiheit. Aber auch die Verbreitung von Desinformation fällt unter diese Kategorie. Werden viele Desinformationen verbreitet, sollen die Plattformen zum Beispiel ihre Empfehlungssysteme anpassen.
  4. Zugang zu Daten für Forschungszwecke
    Forscher:innen sollen auf die Daten der Plattformen zugreifen können. So sollen sie eine unabhängige Kontrolle der Plattformen sicherstellen.

Die Kommission kontrolliert, ob die Plattformen die Regeln einhalten. Sie kann Strafen verhängen. Neue Koordinierungsstellen in jedem EU-Mitgliedsland und eine unabhängige Berater:innengruppe sollen sie bei dieser Arbeit unterstützen.
 

Unsere Thesen: Warum ist der DSA wichtig für die sozial-ökologische Transformation?

  1. Personalisierte Werbung ist ein Konsumtreiber. Dies schadet einer konsequenten Kreislaufwirtschaft.
  2. Digitale Dienste haben direkte Nachhaltigkeitsauswirkungen. Sie entscheiden zum Beispiel darüber mit, wie viel Strom oder Ressourcen digitale Geschäftsmodelle verbrauchen.
  3. Die Konzentration von Marktmacht in der Datenökonomie hängt mit den Geschäftsmodellen digitaler Dienste eng zusammen, welche der DSA regulieren soll. Marktmacht jedoch wirkt innovationsfeindlich. Für die sozial-ökologische Transformation sind Innovationen hingegen unerlässlich.
  4. Digitale Dienste beeinflussen massiv den öffentlichen Diskurs. Sie stellen ein immer wichtigeres Spielfeld dar, auf dem die sozial-ökologische Transformation verhandelt wird.
     

Was fordert Germanwatch?

Alle vier oben genannten Veränderungen, die der DSA-Entwurf vorsieht, begrüßt Germanwatch im Grundsatz. Sie gehen jedoch nicht weit genug.

Zudem bietet der DSA die Chance, weit mehr zu verbessern. Wir fordern die EU auf, hier nachzuarbeiten.

Unsere 12 Handlungsempfehlungen zeigen, was die EU unserer Ansicht nach noch tun muss:

  1. Mehr Klarheit zu illegalen Inhalten
    Plattformen sollten nicht automatisiert über gemeldete Inhalte entscheiden dürfen. Gerade bei potenziell illegalen Posts oder Waren sollten sie nach klaren Kriterien entscheiden, insbesondere nach Schweregrad. Wir meinen zum Beispiel: Hassverbrechen sind in aller Regel schlimmer als Verletzungen von Copyright.
     
  2. Härter gegen Desinformation vorgehen
    Plattformen sollten Desinformationen vertrauenswürdige Informationen gegenüberstellen, insbesondere bei wichtigen demokratischen Ereignissen wie Wahlen. Außerdem sollte eine Person oder Institution eine Nachricht nicht beliebig oft in beliebig große Gruppen schicken können.
     
  3. Zivilgesellschaft beteiligen
    Die EU sollte zivilgesellschaftliche Organisationen (ZGOs) in die Aus- und Überarbeitung von Richtlinien einbinden.
     
  4. Breiteres Spektrum von Nachhaltigkeitszielen verfolgen
    Der DSA sollte zu einem geringeren Strom- und Ressourcenverbrauch beitragen. Hierzu braucht es konkrete Vorschriften, zum Beispiel zu Datenspeicherung und -transport. Online-Händler sollten zum Beispiel Auslieferungen bündeln und keine Rücksendungen vernichten. Außerdem sollten Plattformen Verleih- und Reparaturmöglichkeiten prominenter anzeigen als Neukauf-Optionen.
     
  5. Verpflichtungen zu Algorithmen einführen
    Plattformen sollten transparenter sein, was ihre Algorithmen angeht. Diskriminierung oder die Verbreitung von Desinformationen sollten sie bestmöglich verhindern. Außerdem sollten Plattformen ihre Algorithmen so programmieren, dass sie zufälliger arbeiten, damit sich weniger Filterblasen bilden. Bis sie die Inhalte überprüfen konnten, sollten Plattformen die algorithmische Verstärkung von Inhalten pausieren. Das Europaparlament fordert, dass Nutzer:innen Empfehlungssysteme anpassen können und dass Plattformen mindestens ein System anbieten müssen, das nicht auf der Erstellung von Profilen basiert. Das begrüßen wir als Schritt in die richtige Richtung.
     
  6. Nutzer:innen Transparenz bzgl. ihrer Daten garantieren
    Nutzer:innen sollten Zugang zu allen Daten bekommen, die ein Dienst über sie hat. Weiterhin muss klar sein, was mit diesen Daten passiert. Plattformen sollten Nutzer:innen die Möglichkeit geben, Informationen über sich zu ändern oder zu löschen. Das Europaparlament fordert zurecht ein Verbot sogenannter Dark Patterns. Davon ist zum Beispiel die Rede, wenn Plattformen ihre Oberflächen so gestalten, dass Nutzer:innen dazu verleitet werden, in die Nutzung ihrer Daten einzuwilligen.
     
  7. Nutzung personenbezogener Daten für Werbung stark einschränken
    Standardmäßig sollte personalisierte Online-Werbung ausgeschaltet sein. Das sollte nicht nur für sehr große Plattformen oder nur für Kinder, sondern für alle gelten.
     
  8. Einschätzung systemischer Risiken nur in Kooperation mit ZGOs
    Die EU sollte ZGOs dabei unterstützen, systemische Risiken zu bewerten und zu beobachten, ob Plattformen in ausreichendem Maße daran arbeiten, sie zu reduzieren. Systemische Risiken sollten unter anderem negative Auswirkungen auf die Menschenrechte, die mentale Gesundheit oder die Umwelt umfassen.
     
  9. Bedingungen für Zurückhaltung von Informationen konkretisieren
    Plattformen können Inhalte aus ihren Transparenzberichten entfernen, wenn sie behaupten, dies diene dem „Schutz vertraulicher Informationen“ oder der „Sicherheit des Dienstes“. Diese Begründungen sollten klar definiert und eingegrenzt werden. Außerdem muss es möglich sein zu prüfen, ob Plattformen Informationen berechtigterweise entfernt haben oder nicht.
     
  10. Zugang zu Daten für zivilgesellschaftliche Organisationen und Presse erleichtern
    Presse und ZGOs sollten ebenso wie Wissenschaftler:innen Zugang zu Daten erhalten. Sehr große Online-Plattformen sollen Wissen und Instrumente als Open Source zur Verfügung stellen. Der Rat der EU fordert, dass Inhalte, Zielgruppen und die Zahl der erreichten Nutzer:innen einer geschalteten Werbung ein Jahr lang öffentlich einsehbar sein müssen. Diesen Vorschlag unterstützen wir.
     
  11. Striktere Sanktionsmöglichkeiten
    Bei Verstößen gegen den DSA sollten CEOs haften, Banner entsprechende Plattformen kennzeichnen und/oder Plattformen für bestimmte Märkte ganz gesperrt werden.
     
  12. Systemische Reformen möglich machen
    Methoden, die zum Verbleib auf Plattformen einladen (Engagement-Methoden wie das bodenlose Scrollen), sollten begrenzt werden. Außerdem sollte die EU dringend ein öffentlich-rechtliches Plattform-Angebot aufbauen, das auf Datenschutz und Open Source setzt.

 

Im EU-Gesetzgebungsverfahren steht der Trilog zwischen Rat, Parlament und Kommission an. Das heißt, der Kommissionsvorschlag wird bei Verhandlungstreffen diskutiert, um eine Einigung zu erzielen.

Die EU hat die Möglichkeit, einen neuen internationalen Standard im Umgang mit Internetdiensten zu setzen. Wir sind überzeugt: Wenn die EU unsere Vorschläge umsetzt, stärkt sie Demokratie und Nachhaltigkeit. Tut sie dies nicht, so sind diese wesentlichen Grundwerte zunehmend in Gefahr.
 

Weitere Hintergrundinformationen und Reformvorschläge finden sich in unserem Hintergrundpapier „Der Digital Services Act – Plattform-Regulierung für Demokratie und Nachhaltigkeit in der EU“.

Autor:innen

Hendrik Zimmermann, Wiebke Dönnebrink (Praktikantin im Team Deutsche und Europäische Klimapolitik)