Blogpost | 11.04.2022

Für Fahrräder, Wärmepumpen und soziale Gerechtigkeit

Das Europäische Emissionshandelssystem für Verkehr und Gebäude
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Vom Auto zum Fahrrad: Ein europäisches Emissionshandelssystem für Verkehr und Gebäude kann auch der Verkehrswende Anschub geben.

Einen Emissionshandel kennen wir in der EU schon für die Bereiche Strom, Flugverkehr und Industrie. Seit 2005 ist dieses System, bei dem Unternehmen untereinander eine immer knapper werdende Anzahl an CO2-Zertifikaten handeln, in diesen Sektoren das zentrale Politikinstrument, um einen Rückgang der CO2-Emissionen zu erreichen. Letzten Sommer schlug die Europäische Kommission dann vor, auch für die Sektoren Verkehr und Gebäudewärme ein – zweites, zusätzliches – europäisches Emissionshandelssystem einzuführen. Dieser Vorschlag wird derzeit kontrovers im Europäischen Parlament und in den Mitgliedstaaten diskutiert.

 

 

Große Skepsis bei mittelosteuropäischen Mitgliedstaaten

Die Meinungen zu einer solchen europaweiten CO2-Bepreisung fürs Tanken und Heizen gehen stark auseinander: Einige Parlamentarier:innen und Regierungen sehen das zweite Emissionshandelssystem als notwendigen, zusätzlichen Baustein im Instrumentenkasten, um die Klimaziele der EU zu erreichen. Der CO2-Preis, der durch das Emissionshandelssystem entstehen würde, setze einen wichtigen Anreiz für Investitionen (z.B. in Gebäudedämmung) und Verhaltensänderungen (z.B. Fahrrad statt Auto). Er sei darum eine notwendige Ergänzung zu Ordnungsrecht (z.B. einem Verbot von Ölheizungen) und staatlichen Investitionen (z.B. dem Ausbau des Schienennetzes).

Auch Germanwatch hat sich schon früh für eine Ausweitung der CO2-Bepreisung auf alle EU-Länder ausgesprochen. Ein Grund: So werden finanzielle Mittel eingenommen, mit denen die Regierungen einerseits Investitionen - z.B. in neue Heizungen - unterstützen und andererseits soziale Härten abgefangen können. Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine zeigt zudem, dass wir alles dafür tun müssen, dass die Preismargen für erdölexportierende Staaten – die meisten davon Autokratien – sinken. Gleichzeitig müssen die Benzin- und Gaspreise hoch bleiben, damit ein schneller Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen gelingt. Dafür braucht es den CO2-Preis.

Gerade vor dem Hintergrund der aktuell stark gestiegenen Energiepreise stehen viele Abgeordnete und etliche Mitgliedstaaten – gerade aus Mittelosteuropa – dem neuen Emissionshandel und der mit ihm einhergehenden zusätzlichen Verteuerung von Heiz- und Kraftstoffen extrem skeptisch gegenüber. Eine Schwierigkeit: Der durch das Handelssystem entstehende CO2-Preis wäre in allen Mitgliedstaaten gleich, obwohl die Kaufkraft sehr unterschiedlich ist. Das könnte leicht dazu führen, dass die Belastung der Menschen in Ländern wie Bulgarien und Rumänien hoch wäre, der zusätzliche Anreiz für klimaschonendes Verhalten für Bürger:innen in Dänemark und Luxemburg dagegen minimal. Viele Entscheidungsträger:innen befürchten eine wachsende Energie- und Mobilitätsarmut. Solche sozialen Härten bergen auch die Gefahr, dass der Rückhalt für zukunftsfähige Klimapolitik in der Bevölkerung schwindet. Um hohen Belastungen entgegenzuwirken, hat die Europäische Kommission einen Klimasozialfonds vorgeschlagen. Er soll den sozialen Ausgleich finanzieren und zwar überproportional in weniger wohlhabenden Mitgliedstaaten. Doch uns und vielen Akteur:innen erscheint der Fonds wie vorgeschlagen als nicht ausreichend.

So steht die Einführung des zweiten Emissionshandelssystems derzeit auf der Kippe: Die nächsten Wochen und Monate werden darüber entscheiden, ob wir einen EU-weiten CO2-Preis fürs Tanken und Heizen bekommen oder nicht. Germanwatch hält eine Reihe von Nachbesserungen am Vorschlag der Europäischen Kommission für dringend notwendig

Kluge Einnahmenverwendung: Ein starker und solidarischer Klimasozialfonds

Ein großer Vorteil der CO2-Bepreisung liegt darin, dass die zusätzlichen Staatseinnahmen für sozialen Ausgleich und zielgerichtete Investitionen verwendet werden können. Das will sich auch die Europäische Kommission zunutze machen: Der vorgeschlagene Klimasozialfonds soll sich vor allem aus den Einnahmen des zweiten Emissionshandels speisen. Zusätzlich soll der Fonds eine starke Komponente innereuropäischer Solidarität beinhalten. So soll Geld von wohlhabenden zu ärmeren Mitgliedstaaten umverteilt werden. Einen solchen solidarischen Klimasozialfonds braucht die EU dringend. Bei vier Aspekten sehen wir jedoch Änderungsbedarf:

1. Mehr Einnahmen aus dem zweiten Emissionshandel für den Klimasozialfonds

Statt der geplanten 25% sollten mindestens 30% der Einnahmen aus dem zweiten Emissionshandel in den Klimasozialfonds fließen. Das ermöglicht eine stärkere Umverteilung und vergrößert so den finanziellen Spielraum für ärmere Mitgliedstaaten, in denen Investitionen und Ausgleichszahlungen so dringend benötigt werden.

2. Früherer Beginn und Einnahmen aus dem ersten Emissionshandel

Bereits drei Jahre vor dem für 2026 geplanten Start des Emissionshandels für Verkehr und Gebäude sollte Geld aus dem Fonds an die Mitgliedstaaten fließen. Das ermöglicht den Mitgliedstaaten eine gewisse Vorlaufzeit für die dringendsten Investitionen und für das Aufsetzen sozialer Programme ¬– bevor der Preisanstieg beginnt. Um einen solchen vorgezogenen Start zu erleichtern und zudem das Fondsvolumen insgesamt zu erhöhen, sollten auch Einnahmen aus dem ersten Emissionshandel für Strom, Industrie und Flugverkehr in den Klimasozialfonds fließen.

3. Strengere Vorgaben für die Mittelverwendung

Für die Mittelverwendung des Klimasozialfonds sollte die EU klare Regeln aufstellen. Germanwatch empfiehlt eine vollständige Mittelverwendung für:

  • Einkommenshilfen – entweder für besonders betroffene Haushalte mit niedrigem Einkommen oder für die Gesamtbevölkerung („Klimaprämie“)
  • Investitionen in den klimaneutralen Umbau des Gebäude- und Verkehrssektors, insbesondere in ländlichen Gebieten und in sozialen Brennpunkten.

4. Kopplung des Fondsvolumens an den CO2-Preis

Das Volumen des Fonds sollte direkt an die CO2-Preise gekoppelt sein: Je höher der CO2-Preis im neuen System, desto höher die Einnahmen und desto höher sollte auch das Fondsvolumen sein. So steht bei höheren CO2-Preisen auch mehr Geld für den sozialen Ausgleich zur Verfügung. Es sollte daher festgelegt werden, dass stets 30% der Einnahmen aus dem zweiten Emissionshandel in den Klimasozialfonds fließen. Der Vorschlag der Europäischen Kommission, eine feste Summe vorzugeben, wird den Herausforderungen des sozialen Ausgleichs nicht gerecht.

Planungssicherheit fördern und extrem hohe Preise verhindern: Ein Preisdeckel

Der Vorschlag der Europäischen Kommission sieht vor, dass sich die Preise im Emissionshandel frei am Markt, nach Angebot und Nachfrage, bilden. Das würde bedeuten, dass die Preisentwicklung nicht vorhersehbar ist. Eine große Unsicherheit bei Privatpersonen und Unternehmen hinsichtlich ihrer Investitionen bei Haussanierungen oder Autokäufen wäre die Folge. Die derzeitige Krise mit hohen Energiepreisen macht zudem deutlich, dass zu hohe Preise weder sozialverträglich noch gesellschaftlich akzeptiert sind. Vor diesem Hintergrund empfiehlt Germanwatch folgende Nachbesserungen:

Mindestpreis für Lenkungswirkung

Ein jährlich steigender europaweiter Mindestpreis sorgt dafür, dass der Emissionshandel einen rechtzeitig planbaren finanziellen Anreiz für Verhaltensänderung setzt und so zum Erreichen der Klimaziele beiträgt.

Höchstpreis, um soziale Härten zu verhindern

Der Klimasozialfonds allein wird kaum in der Lage sein, übermäßige Belastungen für bestimmte Personengruppen komplett zu verhindern. Ein mit der Zeit steigender Preisdeckel kann verhindern, dass der CO2-Preis zu stark ansteigt und die resultierenden hohen Heiz- und Benzinkosten zu einer unzumutbaren, armutsverschärfenden Belastung führen. Ein sinnvoller EU-weiter Einstiegshöchstpreis beträgt 50€. Innerhalb von fünf Jahren könnte er auf inflationsbereinigte 80€ steigen.

Preiskorridor schafft mehr Investitionssicherheit

Die Kombination aus Mindest- und Höchstpreis erzeugt einen Preiskorridor, der es Menschen und Unternehmen ermöglicht, Preisentwicklungen noch besser zu antizipieren und ihr Verhalten danach auszurichten. Die Entscheidung, ob sich der Kauf einer Wärmepumpe oder eines E-Bikes lohnt, wird so stark erleichtert, Fehlinvestitionen (etwa in eine Gasheizung oder ein Auto mit Verbrennungsmotor) verhindert. Um für Investitionssicherheit zu sorgen, sollte der Preiskorridor für mehrere Jahre im Voraus vorgezeichnet sein.

Der Emissionshandel als sozialverträgliches Instrument, um die Klimazielerreichung zu unterstützen

Wenn Europa schnell unabhängig von russischen Energieimporten werden und gleichzeitig seine Klimaziele erreichen will, ist ein breiter Mix an Politikinstrumenten unerlässlich. Eine CO2-Bepreisung fürs Tanken und Heizen sollte Teil dieses Mix sein. Doch um soziale Gerechtigkeit sicherzustellen, braucht es möglichst früh einen gut ausgestatteten Klimasozialfonds mit einer entsprechenden Solidarität zwischen wohlhabenden und weniger wohlhabenden Mitgliedstaaten. Je höher die Preise steigen, desto mehr Geld sollte in den Klimasozialfonds fließen. Darüber hinaus sorgt ein Preiskorridor für Planungssicherheit und verhindert Preise, die die Menschen überfordern. Die Regierungen der EU-Staaten und das Europäische Parlament sind nun in der Verantwortung, die kommenden Monate zu nutzen, um einen Emissionshandel für Straßenverkehr und Gebäude auf den Weg zu bringen, der auf sozialverträgliche Art und Weise hilft, die Klimaziele zu erreichen.