Blogpost | 25.10.2022

Nur ein grüner Wiederaufbau der Ukraine hilft dem Land langfristig

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Die Bundesregierung will offenbar eine zentrale Partnerin der Ukraine bei der Beseitigung der Kriegsschäden werden. Das ist aus Germanwatch-Perspektive auch gut so. Die Bundesregierung sollte sich nun allerdings sehr deutlich auf einen grünen Wiederaufbau des Landes fokussieren und die Ukraine damit unterstützen, bis spätestens 2050 auf den Pfad der Klimaneutralität zu kommen. Das würde die Ukraine ökonomisch stärken, die EU-Mitgliedschaft unterstützen und das Land aus der Energieabhängigkeit führen.

Deutschland und die EU haben als größte Geldgeber für den Wiederaufbau der Ukraine erheblichen Einfluss darauf, wie die wirtschaftliche Zukunft des Landes aussieht. Am heutigen Dienstag findet dazu in Berlin eine vom Bundeskanzleramt organisierte hochrangige Konferenz statt, an der neben Bundeskanzler Scholz auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Präsident Volodymyr Selenskyj teilnehmen sollen. Während russisches Militär fortgesetzt die zivile Infrastruktur der Ukraine bombardiert, Wohnhäuser sowie Energieinfrastruktur zerstört werden und ein Ende des Krieges noch nicht in Sicht ist, ist es schwierig, einen langfristigen Wiederaufbauplan für die Ukraine zu entwickeln. Trotzdem gilt: Der Wiederaufbau des Landes beginnt nicht nach dem Krieg, er muss jetzt beginnen.

In zahlreichen ukrainischen Städten herrscht aktuell Wohnungsmangel und auch in der Provinz steigen Mietpreise rasant. In die westukrainische Metropole Lviv sind seit Kriegsbeginn mehrere hunderttausend Binnenflüchtlinge gelangt. In die Bergbaustädte der nicht besetzten Oblast Dnipropetrovsk sind mehrere tausend Kohlekumpel mit ihren Familien gezogen, weil die Minen im Donbas unter russischer Besatzung oft irreparabel beschädigt worden sind. Nachdem die ukrainische Armee den Kiewer Vorort Butscha befreit hatte, waren über 3300 Gebäude der 35.000-Einwohner-Stadt zerstört oder beschädigt. Mit der Wiederherstellung von Wohnraum und Energieinfrastruktur kann nicht überall bis Kriegsende gewartet werden. Zur Abmilderung einer humanitären Krise braucht es hier schnelle Lösungen.

Gebäude und Netze resilient und energieeffizient machen

Beispielsweise helfen rasche Investitionen in das ukrainische Fernwärmenetz, die Energieversorgungskrise des Landes zu mildern. Gleichzeitig ist ein modernisiertes Fernwärmenetz ein wichtiger Schritt zur CO2-Reduktion. Die Bundesregierung sollte die 2020 beschlossene deutsch-ukrainische Energiepartnerschaft um das Thema Wärme erweitern und in diesem Rahmen Investitionen in das Fernwärmenetz unterstützen.

Deutschland und die EU unterstützen bereits den ukrainischen Energieeffizienzfonds (EEF), über den Zuschüsse an Hauseigentümergemeinschaften für thermische Modernisierungen vergeben werden. Dieser wichtige Fonds sollte nun auch mit deutschen Geldern und Know-how so gestärkt werden, dass er eine zentrale Rolle beim Wiederaufbau von Wohn- und Geschäftshäusern spielen kann.

Fossilen Lock-in von Anfang an ausschließen

Im Juli hat die ukrainische Regierung ihren Plan für den Wiederaufbau des Landes vorgestellt. Er enthält zentrale Elemente eines grünen Wiederaufbaus: Übergang zu kohlenstofffreien Technologien in der Metallurgie, Dekarbonisierung oder Ersatz fossiler Brennstoffe durch erneuerbare Energien. Allerdings sollen auch neue Atomkraftwerke gebaut, Umweltstandards weiter geschwächt und der Zugang zu Rohstoffen vereinfacht werden.

Ein starker, umfassender Aufbau ist essenziell. Vor dem Krieg betrug das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Ukraine 200 Milliarden Dollar. Nach Schätzungen der Weltbank ist es im ersten Quartal dieses Jahres um 15,1 Prozent eingebrochen. Bis zum Jahresende könnte das BIP um 45 Prozent im Jahresvergleich fallen. Es wird außerdem erwartet, dass die Armutsquote in diesem Jahr von 2 auf 21 Prozent der Bevölkerung steigen wird. Ausländische Darlehen und Zuschüsse mit guten Konditionen werden über viele Jahre eine Rolle beim Wiederaufbau der Ukraine spielen müssen.

Zunächst sollten solche Kredite und Hilfsgelder an Antikorruptionsmaßnahmen sowie die Verbesserung der Rechtsstaatlichkeit gebunden sein. Die Einbindung ukrainischer zivilgesellschaftlicher Organisationen beispielsweise in Aufsichtsgremien zur Vergabe der Gelder ist dabei essentiell.

Was aber nicht weniger wichtig ist: Sämtliche Kredite müssen nach dem Do-no-harm-Prinzip geprüft und die Vergabe dann zurückgezogen werden, wenn sie die Erreichung ambitionierter Klima- und Umweltziele verhindern könnten. Dazu sollten, wo möglich, auch die Kriterien der – allerdings noch nicht vollständig ausformulierten – EU-Taxonomie herangezogen werden. Das hieße zum Beispiel, dass Mittel eher in den Ausbau des Eisenbahnnetzes als in öl- und energieverbrauchssteigernde Autobahnen fließen und es keine Förderung für den Kohlebergbau und neue Kohlekraftwerke gibt.

Zudem sollten im Energiesektor umfassende Förderungs- und Unterstützungsmaßnahmen für den Ausbau erneuerbarer Energien sowie der entsprechenden Netzinfrastruktur aufgelegt werden. Nur solch strenge Kriterien verhindern, dass die Ukraine in eine Lock-in-Situation gerät, in der neue Investitionen alte energie-, ressourcen- und CO2-intensive Technologien wiederaufbauen. Letztgenanntes würde der Ukraine den Weg auf den EU-Markt und in die EU massiv erschweren.

Ukraine kann Werkbank der Energiewende werden

Der Pfad zur Klimaneutralität ist auch für die Ukraine eine Chance. Die Abhängigkeit etwa von China in den Lieferketten von Windkraftanlagen und der Solarwirtschaft wird immer stärker zu einem Risiko für die europäische Energiesicherheit und damit für die Realisierung der Energiewende. Die Ukraine könnte durch den Aufbau einer eigenen Industrie zum attraktiven Produktionsstandort für die Herstellung solcher Teile werden.

Dafür hat das Land gute Voraussetzungen. Seit 2008 sind zahlreiche Solar- und Windparks und viel Know-how entstanden. Spezialisierte Ingenieurbüros, Installationsfirmen und Produzenten beispielsweise von Windkraftanlagen bilden ein Ökosystem, das vor dem Krieg immer dichter geworden ist und bedeutendes Exportpotenzial hat. Die Metallindustrie des Landes ist schon heute ein wichtiger Zulieferer für Europas Offshore-Windkraftanlagen. Langfristig könnte die Ukraine zur Werkbank für die europäische Energiewende werden. Doch dafür müssen die Weichen jetzt gestellt werden.


Dieser Blogartikel erschien am 25.10.2022 im Tagesspiegel Background.

Autor:innen

Maryna Larina, Lukas Latz, Oldag Caspar

Ansprechpersonen

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Referent für Strukturwandelzusammenarbeit Osteuropa

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Bereichsleiter Deutsche und Europäische Klimapolitik