Blogpost | 11.10.2023

Vom Kohlestandort zur Chancenregion

Eine Studienreise nach Nordmazedonien bringt neue Ideen aus der Zivilgesellschaft in die Politik
Gruppenbild in Oslomej

Gruppenbild in Oslomej: Zwei Tage reiste die Gruppe durch Nordmazedonien.
Copyright: Egzona Aruqaj

Germanwatch ist gemeinsam mit drei Partnerorganisationen nach Nordmazedonien gereist. Vor Ort haben wir erfahren, dass ein Braunkohletagebau zum Solarpark werden kann, wie kleine Unternehmen die Stromversorgung revolutionieren und warum grenzüberschreitende Kooperation für die Energiewende auf dem Westbalkan besonders wichtig ist. Ein Reisebericht.

Oslomej ist ein sehr kleiner Ort in der Gemeinde Kičevo im Westen von Nordmazedonien. Früher klaffte nahe dem Dorf ein großes Loch im Erdboden – seit den frühen 1980er Jahren holten Bagger hier tonnenweise Braunkohle aus der Erde. Doch der reine Abbau soll 2030 der Vergangenheit angehören und schon heute sieht man vor allem blau glänzende Solarmodule, wenn man den Blick über die ehemalige Kohlegrube schweifen lässt. Mit der Energie, die sie produzieren, lässt sich der Strombedarf von bis zu 5.000 Haushalten decken. Oslomej ist damit ein Symbol für den Wandel im Westbalkan geworden. Die Region hat begonnen, sich vom Kohlestandort zum Hotspot für Erneuerbare Energien in Europa zu entwickeln.

Gerade komme ich von einer Studienreise zurück, bei der wir Visionär:innen aus Nordmazedonien, dem Kosovo und Serbien erfolgreiche und erfolgsversprechende Modellprojekte in Nordmazedonien vorstellten – wie das in Oslomej. Bei der Zusammenarbeit mit Partnerorganisationen im Westbalkan fokussiert sich Germanwatch vor allem auf das Potenzial der Region für eine gelungene Energiewende. Dabei geht es unter anderem darum, welchen Unterschied auch Deutschland zusammen mit den Ländern vor Ort machen kann, um dieses Potenzial zu heben.

Früher ausschließlich Braunkohletagebau, heute auf bereits zugeschütteten Gruben ein Solarpark: Blick auf Solarmodule im Bergbauort Oslomej.

Früher ausschließlich Braunkohletagebau, heute auf bereits zugeschütteten Gruben ein Solarpark: Blick auf Solarmodule im Bergbauort Oslomej.
Copyright: Egzona Aruqaj

 

Gute Voraussetzungen für eine erfolgreiche Energiewende

Der Mix aus Wasserkraft, Wind und Sonne in den Balkanstaaten ist so ideal, dass Nordmazedonien die Schließung seiner beiden Kohlekraftwerke bereits für 2030 angekündigt hat. Mit dieser Maßnahme möchte das Land auch dem mit der EU geteilten Ziel gerecht werden, bis 2050  Klimaneutralität zu erreichen. Zusammen mit der nordmazedonischen Partnerorganisation Ekosvest verfolgt Germanwatch das Projektziel, dass Nordmazedonien an den angekündigten Ausstiegsszenarien festhalten kann und der Strombedarf dabei sukzessive durch erneuerbare Energiequellen gedeckt wird. In diesem Projekt kooperieren wir zusätzlich mit der Balkan Green Foundation (BGF) in Kosovo und der Belgrade Open School (BOS) in Serbien, um auch dort die Voraussetzungen für eine ökologisch und ökonomisch gelungene Energiewende zu verbessern und grenzübergreifend mehr Kooperation der Zivilgesellschaft anzustoßen.

Nordmazedonien ist beim Ausbau Erneuerbarer Energien durchaus Vorreiter in der Region. Das zeigen nicht nur groß angelegte Projekte wie das in Oslomej. Auch in kleineren Betrieben lässt die Innovation nicht auf sich warten. Die Firma „Solar Macedonia“ bietet zum Beispiel Komplettlösungen an: Solarzellen auf dem Dach decken den Energiebedarf eines Haushalts – und in Kombination mit Batteriespeichern wird er sogar energieautark. Gleichzeitig bringt die Firma damit das gesamte Land näher an die Lösung des Problems, dass das Stromnetz durch übermäßige Einspeisung bei starker Sonneneinstrahlung nicht überlastet werden kann. Auch die Landwirtschaft entdeckt das Potenzial Erneuerbarer Energien für sich. Landwirtschaftliche Kooperativen planen, ihre Mitglieder mit nachhaltiger Energie zu versorgen – die Fläche dafür haben sie oft zur Genüge, zum Beispiel auf Dächern von Lagerhallen. Für eine ganzheitliche Energiewende haben Kooperationspartner von Germanwatch unter anderem aufgeschlüsselt, an welchen Orten im Land am besten welche erneuerbare Energiequelle genutzt werden sollte und Vorschläge für Windparks, großflächige Photovoltaik-Anlagen und haushaltsnahe Lösungen gemacht.

Die Reisegruppe besucht das Dorf Belica, das eine erfolgreiche nachhaltige Zukunftsperspektive entwickelt hat.

Die Reisegruppe besucht das Dorf Belica, das eine erfolgreiche nachhaltige Zukunftsperspektive entwickelt hat.
Copyright: Egzona Aruqaj

 

Ein schönes Beispiel ist auch Belica: Vor einigen Jahren war der Ort buchstäblich entvölkert durch die Abwanderung junger Leute in den Westen und geprägt von Perspektivlosigkeit. Mittlerweile haben die verbliebenen Einwohner:innen das Blatt gewendet: Mit viel Eigeninitiative und Ideenreichtum holt der Ort junge Menschen zurück, sanfter Tourismus, nachhaltige Landwirtschaft und günstige Energie sind die Erfolgsrezepte. Das alte Schulhaus wird zum Energieversorger für den gesamten Ort, dank der geplanten Solarpanele.

Anregungen, Austausch und friedliche Kooperation

Für die beiden angereisten Delegationen aus Serbien und Kosovo gab es einige neue Ideen, die sie mit in ihre Länder nehmen wollen. Das Fachsimpeln über technische Details war genauso Teil der Studienreise wie die Diskussion über Regierungen, die man rechenschaftspflichtig halten müsse. Vor allem überwog die Erkenntnis, dass man die Energiewende in der Region nur grenzübergreifend und gemeinsam schaffen könne. So hat unser Projekt in einer besonders konfliktreichen Region auch eine friedensschaffende Komponente. Klar war allen Beteiligten, dass der gegenseitige Austausch keine Ausnahme bleiben sollte.

Der gemeinsame Austausch von Delegationen aus den der Ländern hatte auch eine friedensstiftende Komponente, da der Westbalkan aktuell von starken politischen Spannungen geprägt ist.

Der gemeinsame Austausch von Delegationen aus den drei Ländern hatte auch eine verbindende Komponente, da der Westbalkan aktuell von starken politischen Spannungen geprägt ist.
Copyright: Egzona Aruqaj

 

Unsere Reisegruppe erregte denn auch mehrfach die Aufmerksamkeit von Leuten auf der Straße: Wir reisten schließlich mit zwei Bussen, mit den jeweiligen Autokennzeichen aus dem Kosovo und Serbien. In einer Zeit, in der der Konflikt dieser beiden Staaten mal wieder im Vordergrund steht, haben wir mit Reisenden, die mit ihrer Weitsicht über den tagesaktuellen Auseinandersetzungen stehen, ein Zeichen gesetzt für grenzüberschreitende Kooperation und gemeinsame Visionen. Diese Zusammenarbeit macht Lust auf mehr und ich bin gespannt, welche Projekte in den nächsten Monaten auch auf die anderen Westbalkanländer übertragen werden.

Deutschland kann durch Klimapartnerschaft einen Beitrag leisten

Erstmal geht es aber für mich weiter nach Albanien, wo dieses Jahr der „Berliner Prozess“ stattfinden wird. Diesen hat die Bundesregierung bereits 2014 ins Leben gerufen als informelles Format für die regionale Kooperation auf dem westlichen Balkan und zur Unterstützung der EU-Annäherung.

Im Rahmen dieses Prozesses unterstützt Germanwatch die angekündigte verbindliche Klimapartnerschaft Deutschlands mit der ganzen Region. Deutschland sollte die Partnerländer im Westbalkan mit Know-how und Investitionen dabei unterstützen, die Energiewende sozial gerecht und zügig voranzutreiben. Das ist dringend nötig: Leider legt der neueste „Comply or Close“-Report von Bankwatch abermals offen, dass sämtliche Kohlekraftwerke der Region die festgesetzten Grenzwerte überschreiten, auf die sich die Staaten des Westbalkans mit der EU geeinigt haben.

Weiterhin würde eine dezentralere Energieversorgung am Balkan gleich zwei Probleme lösen: Erstens beugt es der bestehenden Energiearmut vor allem vulnerabler Gruppen in dem Gebiet vor, wenn diese lokale Stromanbieter mit günstigen Preisen auswählen können. Und zweitens würde sich der Energiemarkt durch einen solchen Bottom-up-Mechanismus demokratisieren und die Konsument:innen stärken. Bestehende oligarchische Systeme in der fossilen Energieversorgung würden entmachtet und die Abhängigkeit von Russland oder China im Energiesektor könnte zurückgehen. Das aktuelle Projekt von Germanwatch setzt daher auf Energiekooperativen und stärkt gleichsam nationale zivilgesellschaftliche Foren, die mit lokalen Partnern bestehende Probleme aufzeigen und gemeinsame Vorschläge an ihre nationalen Entscheidungsträger:innen herantragen. Hierbei setzen wir auch auf ungewöhnliche Partnerschaften – Frauenrechtsorganisationen arbeiten genauso wie Vertreter:innen aus der Wirtschaft in den nationalen Foren mit. Die Energiewende gehört in die Mitte der Gesellschaft und braucht Verbündete aus allen Bereichen.

Ich bin gespannt, was Germanwatch gemeinsam mit den Partnerorganisationen noch weiter voranbringen kann. Gerne sind Sie eingeladen, sich weiter über diesen Weg zu informieren.

Autor:innen

Verena Allert

Ansprechpersonen

Echter Name

Referentin für Energiewende-Kooperation Westbalkan