Berlin (24. Juni 2025). Die Umwelt- und Menschenrechtsorganisation Germanwatch übt scharfe Kritik an der am späten Abend beschlossenen Position des EU-Ministerrats zum sogenannten Omnibus-Vorhaben. Der EU-Ministerrat geht dabei noch einmal über die schon stark abgeschwächte Position der EU-Kommission hinaus. „Der EU-Ministerrat geht in einen Unterbietungswettkampf mit der Kommission. Was die EU-Kommission von ihren ursprünglichen Regulierungen übriggelassen hat, wollen die Ministerinnen und Minister nun auch noch wegkürzen“, bilanziert Cornelia Heydenreich, Leiterin des Bereichs Unternehmensverantwortung bei Germanwatch.
Lieferkettengesetz kaum mehr ein Schatten seiner selbst
„Das Lieferkettengesetz wäre so kaum mehr ein Schatten seiner selbst. Ginge es nach den gestern Abend überhastet verabschiedeten Vorschlägen, wären in Deutschland künftig statt der bislang ungefähr 4500 Unternehmen nur noch schätzungsweise 275 Unternehmen vom Lieferkettengesetz erfasst. Das immer wieder von der EU geäußerte Versprechen, im Omnibus-Verfahren ginge es nur um Vereinfachungen, ohne das geltende Schutzniveau abzusenken, entpuppt sich damit endgültig als leeres Versprechen“, so Heydenreich weiter.
Besonders kritisch sieht Germanwatch die Rolle von Bundeskanzler Friedrich Merz: „Der Bundeskanzler hat durch seine in der Koalition nicht abgestimmten Forderungen in Richtung Brüssel gemeinsam mit Emmanuel Macron das nun herrschende Deregulierungschaos erst mit losgetreten“, so Heydenreich. „Auffällig ist zudem, dass kaum eine der vom Rat vorgeschlagenen Änderungen tatsächlich eine Vereinfachung der geltenden Regeln bedeuten würde.“
Finn Schufft, Referent für Unternehmensverantwortung bei Germanwatch: „Statt sich am international etablierten risikobasierten Ansatz für die eigene Lieferkette zu orientieren, folgt der EU-Rat den komplizierteren Regeln aus Deutschland. Und durch zusätzliche Ausnahmen macht er es noch unwahrscheinlicher, dass Unternehmen die Menschenrechtsrisiken in der eigenen Lieferkette tatsächlich erkennen können. Zudem hat die Bundesregierung darauf gedrängt, wie von der EU-Kommission vorgeschlagen, die EU-weit harmonisierte Haftungsregel aufzugeben – mit der Folge, dass für Unternehmen dann wieder 27 verschiedene länderspezifische Haftungsregelungen gelten würden. Vereinfachung sieht anders aus.“
Deutschland sollte nun im weiteren Prozess darauf hinwirken, dass von der EU-Richtlinie mindestens die Unternehmen erfasst sind, die auch unter das deutsche Lieferkettengesetz fallen. „Die Bundesregierung sollte nun in Brüssel auf ein konstruktives Omnibus-Gesetz drängen, das sich tatsächlich auf praktisch wirksame Vereinfachungen konzentriert, aber zugleich die Rechte der vielen Menschen in den Lieferketten europäischer Unternehmen effektiv schützt“, fordert Cornelia Heydenreich.
CSRD: Mittelstand trägt Kosten der Unsicherheit
Bei der Nachhaltigkeitsberichterstattung – kurz CSRD – sieht die Ratsposition eine massive Einschränkung des Anwendungsbereichs durch eine weitere Anhebung der Schwellenwerte auf 1000 Mitarbeitende und einen Nettoumsatz von 450 Millionen Euro vor. „Der Rat macht es sich zu einfach. Das Prinzip Freistellung statt Vereinfachung ist kein Lösungsansatz. Statt durch mehr Konsistenz und Harmonisierung für echte Vereinfachung zu sorgen, entlässt er mehr als 40.000 Unternehmen pauschal aus der Pflicht“, sagt David Ryfisch, Bereichsleiter für zukunftsfähige Finanzflüsse bei Germanwatch.
Zwar bezieht sich der Ratsvorschlag explizit auf den Draghi-Report, handelt aber gleichzeitig klar gegen dessen Empfehlung, einen vereinfachten, aber verpflichtenden Berichtsstandard für mittelgroße Unternehmen einzuführen. Ryfisch dazu: „Transparenz und Transformation dürfen nicht zur Exklusivaufgabe von Großkonzernen werden. Nachhaltigkeitsdaten sind auch für den Mittelstand entscheidend. Sie gewähren Zugang zu Kapital, ermöglichen ein besseres Risikomanagement und erhöhen die Resilienz gegenüber Klima-, Technologie- und geopolitischen Risiken. Es braucht ein praxisnahes System mit abgestuften Berichtspflichten, das seine transformative Wirkung in der Breite entfalten kann. So würde Europas Industrie langfristig gestärkt und Kapital in zukunftsfähige Technologien gelenkt.“
EU-Staaten attackieren Menschenrechtsschutz und Nachhaltigkeit in der Wirtschaft
Massive Abschwächung des Lieferkettengesetzes geplant / Vorschlag zu Nachhaltigkeitsberichterstattung schwächt Wettbewerbsfähigkeit anstatt sie zu stärken