„Das ist nicht der Moment für Selbstgefälligkeit“

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„Das ist nicht der Moment für Selbstgefälligkeit“

Interview mit Renato Redentor Constantino, Geschäftsführer des Institute for Climate and Sustainable Cities, Philippinen, zum IPCC-Sonderbericht zu 1,5 °C
Porträtfoto Renato Redentor Constantino

Der Sonderbericht des Weltklimarates IPCC erklärt, dass es noch immer möglich ist, die globale Erwärmung auf 1,5 °C zu begrenzen. Sind das gute Nachrichten?

Der Bericht des IPCC vermittelt, welch gravierende Risiken zu erwarten sind, sollte mit den Klimazielen von Paris gebrochen werden. Er betont damit die Schwere der Klimakrise. Dennoch erinnert uns der Bericht in einfühlsamer Weise auch daran, wie es möglich ist, die Erwärmung auf 1,5 °C zu begrenzen. Er zeigt, wie es so auch der Wirtschaft möglich ist, inmitten der eintretenden Veränderungen ihre Funktionsfähigkeit aufrecht zu erhalten.

Der Bericht zeigt, dass ALLE staatlichen und nicht-staatlichen Akteure mit einem größeren Bewusstsein für die Dringlichkeit handeln müssen. Wir müssen den Elektrizitätssektor bis 2050 weltweit dekarbonisieren, schnell unseren Energieverbrauch reduzieren und umgehend die bereits angelaufene Energiewende beschleunigen.

Die globale Erwärmung auf 1,5 °C zu begrenzen, fordert neben der Transformation des Energiesektors auch die der Landnutzung und Stadtentwicklung. Außerdem bedarf es einer strategischen Neuausrichtung von Infrastrukturprogrammen, insbesondere in den Bereichen Transport und Bauwesen. Wir sprechen dabei von Systemveränderungen, Transformationen, die es in dieser Größenordnung wohl noch nicht gegeben hat und die einen wesentlichen Anstieg von Investitionen notwendig machen.

Was bedeutet eine globale Erwärmung von 1,5 °C im Vergleich zu einer Erwärmung von 2 °C und mehr für die am stärksten gefährdeten Länder? Was heißt dies konkret für die Philippinen?

Die Philippinen vertreten bereits seit Jahren den Standpunkt, dass das obere Limit der Erwärmung 1,5 °C im Vergleich zum vorindustriellen Niveau nicht übersteigen soll. Denn diese Grenze zu ignorieren, würde den Kampf gegen Armut weit zurückzuwerfen, was wiederum eine beängstigende Kaskade von Vertreibung und Konflikten in Gang setzen würde. Bedroht sind Ökosysteme, Arbeitsplätze, Ernährungssicherheit und Siedlungen an Küsten, unseren Lebensgrundlagen und der Wirtschaft droht der langfristige Ruin. Alles zählt – jedes Zehntel Grad vermiedener Erwärmung. Das ist nicht der Moment für Selbstgefälligkeit.

Der IPCC-Bericht betont die Vorzüge von Klimaschutz und -anpassung für nachhal- tige Entwicklung und Armutsbekämpfung. Haben Sie konkrete Beispiele dafür?

Die dramatischen Auswirkungen in den am meisten vom Klimawandel betroffenen Ländern treffen besonders die verletzlichsten Menschen. Auf den Philippinen erwarten wir die schlimmsten Konsequenzen durch den Meeresspiegelanstieg, ein geringes Wirtschaftswachstum, die Gefährdung der Ernährungssicherheit und den Verlust an Biodiversität.

Eine Begrenzung der Erwärmung auf 1,5 °C kann also auch substanziell zu nachhaltiger Entwicklung beitragen – dazu gehören Armutsminderung, eine verbesserte Gesundheit und der Zugang zu sauberer Energie.

Klimaschutzmaßnahmen, die mit dem 1,5 °CLimit im Einklang stehen, zeigen viele Synergien, aber auch Konflikte mit den globalen Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs) auf. Die möglichen Synergien überwiegen zwar, aber es kommt wesentlich auf einen frühen Start, Geschwindigkeit, Umfang und Ausführung der Maßnahmen an.

Was ist die Reaktion der am stärksten gefährdeten Länder auf den Bericht?

Sie lässt sich beschreiben als Gemisch aus unbeugsamer Entschlossenheit, wachsender Sorge und dem wichtigsten Element: Hoffnung.

Welche Schritte sind jetzt gefragt – gerade von Industrieländern wie Deutschland und der EU?

Es ist Zeit, die Scheinheiligkeit hinter uns zu lassen. Industrieländer wie Deutschland müssen ihre Emissionen mit äußerster Dringlichkeit reduzieren – weitaus früher und mit viel anspruchsvolleren Zielen. Die deutsche Regierung kann nicht mit dem Finger auf philippinische, brasilianische oder mosambikanische Pläne für mehr fossile Brennstoffe zeigen, während sie selbst sich nicht entschieden dagegen einsetzt, den Hambacher Wald zu roden und genau die Kohle aus dem Boden zu holen, die für so viel Leid mitverantwortlich ist. Es ist Zeit, aus dem herrschenden Regime der fossilen Energien auszusteigen und sich ernsthaft der globalen Bewegung für eine bessere Welt anzuschließen. Länder wie die Philippinen können das nicht alleine stemmen. Und doch sind wir entschlossen, noch mehr zu tun, wenn unsere Umsetzungsmöglichkeiten durch schnellere Klimafinanzierung und andere Instrumente gefördert werden.
 

Interview: Lutz Weischer
Übersetzung: Paul Wunderlich