Blogpost | 16.06.2020

Dramatische Zustände am Anfang globaler Lieferketten zeigen: Wir brauchen jetzt erst recht ein Lieferkettengesetz!

Textilfabrik in Weliweriya, Sri Lanka

Textilfabrik in Weliweriya, Sri Lanka

Foto: asian Development Bank

Die Dimension unserer weltweiten wirtschaft lichen Vernetzung haben wir wohl kaum so deutlich gespürt wie in den letzten Monaten. Hierzulande stand vor allem die Versorgungssicherheit mit Atemschutzmasken oder Antibiotika im öffentlichen Fokus. Im Globalen Süden erleben derzeit viele Menschen die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie sehr existenziell. Globale Lieferketten sind seit Beginn der Pandemie zusammengebrochen, mit fatalen Auswirkungen für viele Arbeiter*innen und Kleinbäuer*innen. Zugleich sehen wir, wie die mangelhafte Umsetzung von Menschenrechtstandards entlang der Lieferkette die Fähigkeit in den betroffenen Ländern untergräbt, wirkungsvoll auf Krisen zu reagieren.


Schon Ende März zeichneten sich die dramatischen Auswirkungen, zum Beispiel in der Textilbranche, ab. Sie steht symptomatisch dafür, wie die schwächsten Glieder der Lieferketten die Folgen der Pandemie ausbaden müssen: Einige Textilunternehmen stornierten ersatzlos Aufträge oder bezahlten für bereits produzierte Ware nicht. Andere europäische Modeunternehmen forderten von ihren Zulieferbetrieben Preisnachlässe von bis zu 30 Prozent. In der Folge kam es in Bangladesch und anderen asiatischen Ländern zu massenhaft en Entlassungen von Arbeiter*innen oder Zwangsurlaub ohne Gehaltsfortzahlung. Die ohnehin prekäre Lage von Arbeiter*innen und ihren Familien wird durch den Wegfall von Lohnzahlungen ungleich verschlimmert. Die fehlende gesetzliche soziale Grundsicherung in vielen Produktionsländern bringt dort Millionen von Menschen in Existenznot.

Doch gerade weil die soziale Absicherung vom Staat in Ländern des Globalen Südens oftmals fehlt, stehen die Unternehmen in besonderer Verantwortung. So sollten zum Beispielt Textilunternehmen ihre Zulieferer nicht alleine vor die Aufgabe stellen, das Existenzminimum von Arbeiter*innen zu sichern. Mit fairen Abnahmepreisen können Modeunternehmen u.a. aus Deutschland dafür sorgen, dass ihre Zulieferer vor Ort existenzsichernde Löhne zahlen können. Im Frühjahr 2020 konnten jedoch beispielsweise in Bangladesch über 70 Prozent der betroffenen Betriebe ihren zwangsweise beurlaubten Beschäftigten keinen Lohn fortzahlen. Von einem staatlichen Kurzarbeitergeld können die Arbeiter*innen dort nur träumen.

Ein breites Bündnis für Menschenrechte und Umweltstandards

Die Forderung nach fairen Abnahmepreisen ist nicht neu. Faire Einkaufspraktiken sollten Teil verantwortlichen globalen Wirtschaft ens sein. Doch nicht nur in Krisenzeiten zeigt sich, dass dies freiwillig selten funktioniert. Deshalb hat Germanwatch gemeinsam mit inzwischen fast 100 weiteren Organisationen die Initiative Lieferkettengesetz gestartet. Seit September 2019 setzen wir uns gemeinsam dafür ein, dass Unternehmen in Deutschland verpflichtet werden, bei ihrer weltweiten Geschäftstätigkeit die Menschenrechte und Umweltstandards zu achten. Entsprechend den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und den OECD-Leitsätzen sollen Unternehmen ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht nachkommen.

Bedauerlicherweise nutzen einige Wirtschaftsverbände und Akteur*innen, insbesondere aus dem konservativen Lager, gerade die Corona-Krise als Argument, um in Deutschland ein Lieferkettengesetz auszuhebeln. Dabei zeigt uns die globale Pandemie deutlicher als zuvor, wie wichtig es ist, weltweit solidarisch zu handeln. Ein wichtiger Baustein dafür ist, dass Unternehmen ihre menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten wahrnehmen und damit ihre Lieferketten resilienter gestalten. Und wenn sie dies nicht freiwillig tun, müssen sie dazu verpflichtet werden – jetzt erst recht!


Dieser Beitrag erschien im Mitglieder-Magazin EINBLICK 2|2020.

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