Rückständig!

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Die Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag auf eine Reform der WTO im Sinne ihrer Nord-Süd-politischen Ziele und des Leitbildes "Zukunftsfähigkeit" festgelegt. Im Lager der Industrieländer steht Deutschland damit zwar nicht alleine da, auch Frankreich und die skandinavischen Länder haben solche Absichten geäußert, aber bei den USA und auch einigen europäischen Ländern stößt dies ebensowenig auf Begeisterung wie bei vielen Entwicklungsländern (EL).

Ein wichtiger Grund des Widerstandes gerade bei Entwicklungsländern liegt in der bisherigen Erfahrung mit der Umsetzung der Freihandelsregeln in die Außenhandelspolitik der Industrieländer begründet; denn die Umsetzung der Verpflichtungen wird sehr ungleichgewichtig durchgeführt: z.B. wird die Liberalisierungsverpflichtung im Textilbereich von den Industrieländern extrem zögerlich umgesetzt. Die höchsten Außenhandelszölle der EU liegen nach wie vor im Bereich von Textilien, Bekleidung und Schuhen. Bei vielen Importen von Rohstoffen sind Entwicklungsländer immer noch der Zolleskalation ausgesetzt, d.h. die Zölle steigen mit der Verarbeitungsstufe der Produkte an - ein wirksames Instrument, um die Weiterverarbeitung der Rohstoffe in Entwicklungsländern zu behindern. Im Agrarbereich ist zwar im Rahmen der Agenda 2000 gerade erneut über eine Reform der EU-Agrarpolitik gesprochen worden, dennoch geht die Subventionierung der Exporte weiter, und das Subventionsniveau unserer Landwirtschaft steigt weiter an.

Das Agrarabkommen der WTO ist insgesamt als diskriminierend für die Entwicklungsländer zu bewerten. Während diese ihre Märkte Stück für Stück für Produkte der Weltagrarmärkte öffnen, verbleiben den Industrieländern nach wie vor Möglichkeiten, ihre Überschüsse mit Subventionen zu verkaufen. Das agrarpolitische Instrumentarium, das die WTO ihren Mitgliedern erlaubt, baut vor allem auf Subventionen und positiven Transferzahlungen auf, d.h. den Instrumenten, die Industrieländern zur Verfügung stehen. Typische Instrumente für Entwicklungsländer zur Förderung ihrer Landwirtschaft müssen dagegen tendenziell abgebaut werden, z.B. Importzölle. Selbst das Freihandelsabkommen der EU mit Südafrika, das über mehrere Jahre ausgehandelt wurde, sieht im Agrarbereich keine größeren Zugeständnisse der EU vor. Auch die jetzige Bundesregierung hat hier bislang keine neuen Akzente gesetzt, indem sie z.B. versucht, solche Mängel in der Außenhandelspolitik der EU anzusprechen oder gar zu beenden. Von EL werden im Rahmen von Strukturanpassungsprogrammen bedeutende Veränderungen der internen Politik verlangt, die EU dagegen ist kaum in der Lage, selbst kleine Zugeständnisse an die EL gegen den Widerstand der Bauernverbände durchzusetzen. Es ist vor allem diese Unglaubwürdigkeit der Umsetzung der WTO-Verpflichtungen, die verhindert, daß Entwicklungsländer offener Themen wie "Handel und Umwelt" bzw. "Handel und soziale Mindeststandards" gegenüberstehen. Zu schlecht sind ihre Erfahrungen mit dem derzeitigen Protektionismus der Industrieländer, als daß sie nicht befürchten müßten, daß inhaltliche Erweiterungen des WTO-Regelwerkes ebenfalls protektionistisch mißbraucht werden könnten. Bei den Verhandlungen über die Agenda 2000 wurden solche Anliegen von der Bundesregierung nicht vorgebracht.

An dem WTO-eigenen technischen Informations- und Unterstützungssekretariat für Entwicklungsländer hat sich die Bundesregierung im März mit einer freiwilligen Zahlung von 1 Mio. DM besonders beteiligt. Die Initiative der Regierung der Niederlande, der Gründung eines Rechtshilfezentrums für EL, wird von der Bundesregierung aber bislang nicht unterstützt. Gerade erst hat sie einen regelmäßiger Austausch mit Nichtregierungsorganisationen (NRO) über Fragen der Welthandelsordnung begonnen und international könnte sie sich für weitergehende Beteiligungsrechte von NRO einsetzen.

Neue Verhandlungsrunde?

Zusammen mit anderen EU-Ländern unterstützt Deutschland inzwischen den britischen Vorschlag, im Herbst 1999 mit einer neuen Verhandlungsrunde - oft bereits Millennium-Runde genannt - zu beginnen. Die EU ist bislang die wichtigste Kraft, die sich  für die Einberufung einer neuen Liberalisierungsrunde einsetzt. Hintergrund dürfte die Tatsache sein, daß in verschiedenen Bereichen des WTO-Regelwerks ohnehin weiterverhandelt wird, so z.B. im Agrarhandelsbereich. Dieser im Ergebnis der Uruguay-Runde festgehaltene eingebaute Zeitplan birgt allerdings für die EU die Problematik, daß jeder Themenbereich getrennt verhandelt wird. Die EU hegt deshalb Befürchtungen, daß bei den anstehenden Verhandlungen im Agrarbereich große Anpassungsleistungen auf sie zukommen werden, ohne daß gleichzeitig Vorteile in anderen Bereichen des Außenhandels erreicht werden. Eine neue Runde würde demgegenüber den Vorteil bieten, die Ergebnisse verschiedener Handelssektoren gegeneinander aufzurechnen, d.h. Lasten im Agrarbereich durch Zugeständnisse anderer Länder in anderen Sektoren auszugleichen.

Viele WTO-Mitgliedsländer stehen der Aufnahme einer neuen Runde skeptisch bis ablehnend gegenüber. Die Entwicklungsländer  befürchten, daß eine neue Runde zu neuen Verpflichtungen ihrerseits führen würde, während die Umsetzung der Beschlüsse der Uruguay-Runde gerade auf seiten der Industrieländer immer noch defizitär ist, ebenso wie die Datenlage zu den Auswirkungen dieser Runde auf die EL. Viele Länder verweisen darauf, daß die Aufnahme einer neuen Runde das Tempo der  Deregulierung noch einmal erhöhen könnte, von der sie sich ohnehin bereits überrollt fühlen. Die schnelle Öffnung der Kapitalmärkte war z.B. einer der krisenverschärfenden Elemente während der Asienkrise. Die notwendigen Anpassungen aufgrund der Regelungstiefe der WTO müssen zunächst umgesetzt und deren Ergebnisse sorgfältig überprüft werden, so die Position vieler EL, bevor weitere Schritte im Hinblick auf die Einführung einer Wettbewerbsordnung, der Liberalisierung des öffentlichen Beschaffungswesens etc. durchgeführt werden könnten.

Sehr skeptisch sind die meisten Entwicklungsländer zudem, ein  weiteres "neues Thema" im Rahmen der WTO zu behandeln: die Investitionsregeln. Die Bundesregierung muß die Bedenken der Entwicklungsländer viel stärker berücksichtigen und in der EU auf eine Revision der Liberalisierungspläne dringen.

Rainer Engels
 

 

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