Globale Landwirtschaftspolitik im Umbruch

Weitblick Artikel

Globale Landwirtschaftspolitik im Umbruch

Bedeutet das Scheitern der Welthandelsrunde eine Abkehr von neoliberalen Konzepten?
Titelbild: Welternährung

Landwirtschafts- und Ernährungspolitik waren jahrzehntelang Stiefkinder der internationalen Politik. Zwar gab es regelmäßig internationale Gipfel, auf denen Staats- und Regierungschefs dem Hunger den Kampf ansagten – so auch im Rahmen der Millennium-Entwicklungsziele. In der Praxis begann die Zahl der Hungernden jedoch schon seit ihrem Tiefststand von 800 Millionen Mitte der 1990er Jahre wieder zu steigen.

Trotzdem gingen die Ausgaben für die ländliche Entwicklung sowohl in den Haushalten der meisten Entwicklungsländer als auch in der Entwicklungshilfe des Nordens immer mehr zurück. Diese paradoxe Entwicklung lässt sich teilweise mit dieser damals und bis heute vorherrschenden Ideologie erklären: Staatliche Eingriffe in die (Agrar-)Märkte und die Handels- und Investitionsentscheidungen der privaten Akteure wurden – prinzipiell und nicht nach Einzelfallprüfung – als ineffizient oder gar kontraproduktiv angesehen. Dies spiegelt sich auch darin wider, was mit welcher Verbindlichkeit geregelt wird.

Die Welthandelsorganisation WTO macht detaillierte und verbindliche Vorgaben, wie hoch Zölle und Subventionen sein dürfen und wie sie ausgestaltet werden müssen. Verstößt ein Land dagegen, drohen ihm Handelssanktionen. In der 2001 begonnenen sogenannten „Doha-Runde“ sollte die Liberalisierung noch weiter getrieben werden. Die Vereinbarkeit mit bestehenden und erwarteten WTO-Regeln bestimmt seither die Agrarpolitik vieler Länder.

Die für Landwirtschaft und Ernährung zuständige UN-Organisation FAO wurde finanziell und personell lange geschwächt und ausgezehrt, ihre politischen Empfehlungen bleiben unverbindlich. Das gilt auch für die 2004 verabschiedeten „Freiwilligen Leitlinien für das Recht auf Nahrung“. Sie definieren einen Rahmen, mit dem jedes Land sinnvolle Maßnahmen zur Hungerbekämpfung identifizieren kann. Dabei sollen die Betroffenen, also Kleinbauern und Landlose, an den Entscheidungen beteiligt werden und ihre Interessen im Mittelpunkt stehen. Die Leitlinien sind anders als WTO-Abkommen freiwillig. Sie zu ignorieren, kostet höchstens Ansehen.

Agrarpreiskrise als Weckruf

Als die Weltmarktpreise für Nahrungsmittel 2007/2008 explodierten, rächte sich die institutionelle Vernachlässigung der Landwirtschaft: Die FAO war zu einer raschen und angemessenen Reaktion nicht in der Lage und die WTO-Regeln für den Marktzugang sind bei einer akuten Knappheit irrelevant. Ohne Unterstützung konnten viele Regierungen nicht entsprechend reagieren, was zum dramatischen Anstieg der Zahl der Hungernden auf über eine Milliarde beitrug.

Um die Lücke zu füllen, wurden auf internationaler Ebene eine ganze Reihe von Initiativen gestartet. Die Vereinten Nationen schufen eine „High Level Task Force“, in der sich alle für die Welternährung relevanten zwischenstaatlichen Organisationen koordinieren sollen. Die G7 der großen Industriestaaten (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada, USA) versprach, bis 2012 für die Ernährungssicherung 20 Milliarden US-$ auszugeben und rief eine globale Partnerschaft für Landwirtschaft und Ernährung aus. Eine zentrale Rolle soll dabei das reformierte Committee on World Food Security (CFS) spielen, in dem neben den internationalen Organisationen auch Regierungen, Bauernorganisationen und Nichtregierungsorganisationen (NRO) beteiligt sind. Alle diese Foren betonen, dass zur Bekämpfung der Hungerkrise vor allem die Kleinbauern aktiv unterstützt werden müssen.


Abkehr vom neoliberalen Ansatz?

Während einerseits die Initiativen für eine aktivere Agrarpolitik zunehmen, ist andererseits die Doha-Runde der WTO gerade gescheitert. Unter anderem weil viele Entwicklungs- und Schwellenländer befürchteten, dass ihnen dann kein Spielraum mehr bleibt, um Kleinbauern zu fördern. Wie effektiv die neuen Initiativen sein werden, ist noch schwer abzuschätzen: Das CFS arbeitet an freiwilligen Leitlinien zur Landnutzung, nicht jedoch an rechtlich verbindlichen Instrumenten, und die G7 geben ihr Geld an einen von der Weltbank verwalteten Fonds, der sich nicht auf die Arbeit des CFS bezieht. Es droht also zumindest die Gefahr, dass das partizipative Gremium kluge, aber unverbindliche Richtlinien beschließt. Ökonomisch relevante Entscheidungen bleiben jedoch der Weltbank vorbehalten – einer Institution, die von Industriestaaten dominiert wird und zumindest in der Vergangenheit ein Vorreiter der Deregulierung war.

Damit Armuts- und Hungerbekämpfung durch kleinbäuerliche Landwirtschaft effektiv gefördert werden, muss das CFS eine zentrale Rolle in der globalen Ernährungspolitik spielen und verbindliche Vorgaben für die Arbeit von Weltbank, FAO und anderen internationalen Organisationen machen. Die Vertreter der Bauern und zivilgesellschaftlicher Gruppen müssen die Arbeit des Komitees aktiv mitgestalten. Die Empfehlungen des CFS für nationale Agrarpolitik richten sich nicht nur an Entwicklungsländer. Auch die EU sollte sich bei der Reform ihrer Agrarpolitik daran orientieren, um tatsächlich einen konstruktiven Beitrag für die Welternährung zu leisten.

Tobias Reichert

 

Exportsubventionen der EU sollen bleiben
 

Die EU-Kommission will offenbar das entwicklungs- und handelspolitisch schädlichste Instrument ihrer Agrarpolitik auch über 2013 hinaus beibehalten: Ein vorab bekannt gewordener Entwurf zur Regulierung der EU-Agrarmärkte enthält ein eigenes Kapitel zur Subventionierung des Exports von Getreide, Fleisch, Milchprodukten, Eiern und Zucker. Die EU hatte zwar angeboten, Exportsubventionen im Rahmen der Doha-Runde der WTO abzuschaffen. Nachdem die Verhandlungen scheiterten, zog sie diese Zusage jedoch zurück.

Besonders bedenklich ist, dass die Subventionen nun nicht mehr nur die Preise auf dem europäischen Markt stützen sollen. Vielmehr geht es darum, sicherzustellen, dass die EU am internationalen Handel mit diesen Produkten beteiligt bleibt. Wenn die Bundesregierung ihre Erklärungen zur Kohärenz zwischen Agrar- und Entwicklungspolitik ernst nimmt, muss sie gegen diesen Passus ihr Veto einlegen. Germanwatch wird sich dafür einsetzen.