Wettbewerb zwischen Teller, Trog und Tank nimmt zu

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Wettbewerb zwischen Teller, Trog und Tank nimmt zu

Neue Trendanalyse zur globalen Ernährungssicherung

Mit seiner zweiten Trendanalyse zur Ernährungssicherung widerlegt Germanwatch die seit der globalen Ernährungskrise 2007/2008 immer wieder kolportierte Mär, der steigende Fleischkonsum in China und Indien sei der wesentliche Grund für die Preissprünge auf den Weltmärkten.

In China und Indien, wo zusammen fast 40 Prozent der Weltbevölkerung leben, hat im letzten Jahrzehnt der Konsum von Fleisch und Milchprodukten insgesamt zugenommen. Allerdings wächst in China der Verbrauch von Schweinefleisch, das mit Abstand am meisten konsumiert wird, seit etwa fünf Jahren deutlich langsamer; der Rindfleischkonsum war in den letzten drei Jahren sogar rückläufig. Bei Geflügelfleisch steigt zwar der Verzehr in den großen Schwellenländern noch stärker an als in Europa. Da aber pro Kilogramm erheblich weniger Getreide verfüttert wird als für Schweine- und Rindfleisch, steigt der Verbrauch von Getreide für Nahrung und Futter in China und Indien nur relativ moderat. Er kann den dramatischen Anstieg und die unvorhersehbaren Schwankungen der Weltmarktpreise für Grundnahrungsmittel jedenfalls nicht erklären.

Nach Analyse von Daten und Berichten des US-Landwirtschaftsministeriums und der FAO kommt Germanwatch zum Schluss, dass neben Exportverboten und der infolge des Klimawandels zunehmenden Zahl von Missernten in wichtigen Erzeugerländern der politisch initiierte Agrarsprit-Boom in Europa und Amerika die wichtigste strukturelle Ursache ist. Die staatlich geförderte Agrarenergie drängt weltweit die Nutzung von Pflanzen für die menschliche Ernährung zurück. Das heizt die Spekulation auf den Agrarrohstoff- und Finanzmärkten an. Die Anleger können darauf setzen, dass die rasch wachsende Nachfrage nach Mais, Zuckerrohr, Palmöl, Sojabohnen etc. für die Treibstoffproduktion die Preise steigen lässt. Durch Nachfrageänderungen bei Anbau und Verbrauch betrifft dies auch andere Agrarrohstoffe, insbesondere Weizen.

Der Anbau von Biomasse zur Energiegewinnung ist aber keineswegs pauschal abzulehnen. Insbesondere für die dezentrale Energieversorgung gibt es durchaus Potenziale, die keine Konkurrenz zu Nahrungsmitteln bilden und zusätzliche bäuerliche Einkommen schaffen können. Aber EU und USA setzen stark auf Agrarsprit für Autos.

Die Folgen sind fatal: In vielen Entwicklungsländern wächst die Nahrungsmittelkonkurrenz und damit auch der Hunger. In den letzten Monaten haben deshalb zehn führende internationale Organisationen, darunter die FAO und die Welthandels- und Entwicklungskonferenz UNCTAD, sowie Experten des Committee on World Food Security (CFS) eindringlich gefordert, sämtliche Subventionen und gesetzlichen Mindestvorgaben für die Beimischung von Agrarkraftstoffen in Benzin und Diesel abzuschaffen. Diese begünstigen übermäßig die Energieproduktion und sabotieren das Ziel, Agrarsubventionen abzubauen. Die Bundesregierung will gleichwohl am Beimischungszwang (E10-Benzin) festhalten. Dabei ist dies auch ökologisch fragwürdig, denn die Klimabilanz von Agrarsprit kann durch Abholzung von Primärwald in Südostasien und Südamerika für Ölpalm-, Soja- und Zuckerrohrplantagen sogar negativ werden. Das Bundesentwicklungsministerium (BMZ) hat sich den überzeugend begründeten Forderungen der internationalen Organisationen auch in seinem neuen Agrosprit-Konzept leider nicht angeschlossen.

Klemens van de Sand