Eine Landwirtschaft, die Mensch, Tier und Umwelt achtet

Weitblick Artikel

Eine Landwirtschaft, die Mensch, Tier und Umwelt achtet

Appelle für mehr Verantwortung reichen nicht aus
Weitblick-Bild 2/14: Bäuerin neben Kuh

Fotograf: Fred Dott

Schweine, die ohne Auslauf und Stroh auf Spaltenböden leben. Hähnchen, die zu zehntausenden in fensterlosen Hallen gehalten werden und sich wegen übergroß gezüchtetem Brustfleisch kaum auf den Beinen halten können. Wälder mit der Größe eines durchschnittlichen deutschen Bundeslandes, die jährlich für den Anbau von Soja – das Futtermittel schlechthin – weichen müssen. Darüber hinaus gibt es in Deutschland in Gebieten mit Intensivtierhaltung zunehmend Grundwasserprobleme. Die deutsche Agrarwirtschaft erzeugt Fleisch zu global konkurrenzfähigen Preisen – ohne Rücksicht auf die Tiere, die Natur, den Menschen.

Die Bundesregierung hat im September 2014 angekündigt, das Problem anzugehen. Landwirtschaftsminister Christian Schmidt will einen „New Deal“ für verbesserte Haltungsbedingungen. Er fordert dazu alle Beteiligten – Landwirte, Verarbeiter, Einzelhandel und VerbraucherInnen – auf, mehr Verantwortung zu übernehmen. Das ist grundsätzlich sehr zu begrüßen – passt aber so gar nicht zur bisherigen und aktuellen Agrarpolitik der Bundesregierung. Gerade die Ausrichtung auf internationale Wettbewerbsfähigkeit bei den Produktionskosten und immer höhere Exporte haben zu den Problemen bei Tier- und Umweltschutz beigetragen, die Minister Schmidt zu Recht beklagt.

Produktionswachstum schädigt die Umwelt in Deutschland …

Die deutsche Nutztierhaltung hat sich in den zurückliegenden Jahren beeindruckend entwickelt. Sie erzeugt im Vergleich zum Beginn dieses Jahrtausends zwei Drittel mehr Hühner- und ein Drittel mehr Schweinefleisch. DeutschDeutschland wandelte sich so vom Nettoimporteur von Schweinefleisch zu einem wichtigen Nettoexporteur. Gleichzeitig verschärft sich der Trend zur Massentierhaltung. In Deutschland stehen inzwischen über 50 Prozent der Schweine in Beständen mit mehr als 1.000 Tieren und über 50 Prozent der Masthühner und Legehennen in Beständen mit mehr als 50.000 Tieren. Diese Großbetriebe konzentrieren sich in wenigen Regionen und führen dort zu ökologischen Problemen. Fast drei Viertel der Stickstoffeinträge und die Hälfte aller Phosphoreinträge in Oberflächengewässer in Deutschland stammen heute aus der Landwirtschaft, überwiegend aus der intensiven Tierhaltung (vgl. Grafik unten). Diese Einträge führen dazu, dass Meere, Seen und Flüsse überdüngt werden, was Artensterben und schließlich das „Umkippen“ von Gewässern zur Folge hat. In Niedersachsen ist fast die Hälfte der Grundwasservorkommen zu stark mit Nitrat, Pflanzenschutzmitteln und Cadmium belastet. Der Eintrag von Ammoniak aus Gülle schädigt Wälder und andere naturnahe Ökosysteme.

… und anderswo

Die Probleme sind jedoch nicht auf Deutschland beschränkt. Um die immer zahlreicher werdenden Tiere zu ernähren, müssen Deutschland und die EU große Mengen Eiweißfutter, vor allem Soja, importieren. Folge davon sind endlose Agrarwüsten in Südamerika, wo ehedem artenreiche Savannen und Wälder standen. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) zählt die Tierhaltung zu den wichtigsten Verursachern globaler Umweltprobleme. Sie schätzt, dass etwa ein Fünftel der für den Klimawandel verantwortlichen Treibhausgase direkt oder indirekt aus der Tierhaltung stammen. Gleichzeitig behindern zunehmende Exporte von billigen Fleischwaren und Milchpulver aus Deutschland und der EU-Bauern und Bäuerinnen in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern, die eine nachhaltige Tierhaltung aufbauen wollen.

Die Zunahme von Produktion und Export von Fleisch und Milchprodukten ist nicht nur auf die Fähigkeiten deutscher Landwirte und der Ernährungsindustrie beim Management der zunehmend industrialisierten Produktionsprozesse zurückzuführen. Die EU-Agrarpolitik hat diese Entwicklung gezielt und bewusst gefördert. So beruht die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Fleisch- und Milcherzeugung zu einem bedeutenden Teil auf agrarpolitischen Maßnahmen. In der Vergangenheit halfen Exportsubventionen, neue Märkte zu erschließen. Heute passiert das indirekter, es gibt beträchtliche Investitionsbeihilfen für die Erweiterung und den Neubau von Ställen, Schlachthöfen und Milchpulverfabriken. Die EU behält sich zudem vor, die derzeit ausgesetzten Exportsubventionen wieder einzuführen, um „Krisen“ auf den europäischen Märkten zu begegnen – einen ersten Schritt dahin hat die EU-Kommission vor einigen Wochen gemacht (siehe Artikel zum Ende der Milchquote). Wie schnell und unerwartet solche Krisen bei einer stark exportorientierten Agrarpolitik entstehen können, zeigt sich aktuell beim Konflikt mit Russland, das aus politischen Gründen die Einfuhr von Agrarprodukten aus der EU gestoppt hat.

Neuer Ansatz in der Agrarpolitik statt lediglich unverbindliche Appelle

Damit der von Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt vorgeschlagene „New Deal“ die Probleme bei Tierwohl, Umwelt und globaler Entwicklung wirksam angehen kann, ist mehr notwendig als ein Appell an das Verantwortungsbewusstsein. Vor allem ist die starke Exportorientierung bei Fleisch und Milchprodukten zu überdenken. Minister Schmidt stellt zu Recht fest, dass eine tier- und umweltgerechtere Produktion wirtschaftlich nur machbar ist, wenn die Abnehmer diese durch höhere Preise honorieren. In Deutschland und seinen Nachbarländern ist dies bereits schwierig genug. In den neuen Wachstumsmärkten in China, Indien und Teilen Afrikas scheint es kurz- und mittelfristig fast unmöglich.

Statt Mengenwachstum und Export sollte die europäische und deutsche Agrarpolitik umwelt- und tierverträgliche Tierhaltung gezielt fördern und diese an die in der Region vorhandene Futterfläche binden. Dies verhindert übermäßige Konzentration und hohe Futtermittelimporte. Nutztierhalter hätten so die Chance, Haltung und Fütterung tiergemäß und umweltverträglich zu gestalten, die Qualität zu steigern und so auf bessere Erlöse bei geringeren Produktionsmengen zu setzen. Das wäre ein „New Deal“, der es wirklich ernst meint mit der Verantwortung der Politik gegenüber Umwelt und Nutztieren.
 

Tobias Reichert (Germanwatch) & Markus Wolter (WWF Deutschland)