Eklat um Ernährungssicherheit bei der Welthandelsorganisation WTO

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Eklat um Ernährungssicherheit bei der Welthandelsorganisation WTO

  
Die neu gewählte indische Regierung hat sich mit einem Paukenschlag in die internationale Handelspolitik eingeführt. Beim Treffen des Allgemeinen Rats der Welthandelsorganisation WTO Ende Juli verweigerte die indische Delegation dem letztes Jahr auf der Ministerkonferenz in Bali vereinbarten Abkommen über administrative Handelserleichterungen (Trade Facilitation Agreement – TFA) die Zustimmung. Damit kann das Abkommen vorerst nicht in Kraft treten. Das TFA ist der zentrale Bestandteil des im Dezember 2013 verabschiedeten „Bali-Pakets“, in dem auch die Regeln für Ernährungssicherheitsprogramme angepasst und der Marktzugang für die ärmsten Länder verbessert werden sollen.

Dabei hat die indische Regierung gegen das TFA an sich nichts einzuwenden. Im Gegenteil setzt sie Teile des Abkommens, das auf Bürokratieabbau und Ausbau der Infrastruktur an Grenzen abzielt, bereits unilateral um. Der aktuelle Konflikt liegt vielmehr in der abgestuften Verbindlichkeit und den unterschiedlichen Umsetzungsfristen für die verschiedenen Elemente des Bali-Pakets. Die meisten Beschlüsse sind nur unverbindliche Aufforderungen an die Industrieländer, von der Zurückhaltung bei der Anwendung von Exportsubventionen bis zum verbesserten Marktzugang für die am wenigsten entwickelten Länder (LDC). Dagegen wäre das TFA ein völkerrechtlich verbindliches Abkommen, dessen Verpflichtungen sich auch durch den Streitschlichtungsmechanismus der WTO durchsetzen ließen. Zu den für Indien besonders wichtigen Ernährungssicherheitsprogrammen beschloss die WTO dagegen nur, vorerst keine Beschwerden gegen Länder zu führen, die die bestehende Ausgabengrenze für diese Programme überschreiten. Diese Klausel bleibt so lange in Kraft, bis eine dauerhafte Lösung gefunden ist, was spätestens bis 2017 geschehen soll.

Verbindliche Abkommen versus unverbindliche Erklärungen

Der Handelsminister der Vorgängerregierung Indiens hatte dem nach zähen Verhandlungen in Bali zugestimmt. Seine Nachfolgerin zeigte sich nun enttäuscht darüber, dass in den letzten Monaten keine Fortschritte in Richtung einer dauerhaften Lösung der Ernährungssicherheitsfrage erzielt wurden, während das TFA inzwischen unterschriftsreif vorliegt. Sie fordert nun, dass Ernährungssicherheitsprogramme bis Ende des Jahres dauerhaft „legalisiert“ werden. Zeitgleich zu diesem Beschluss werde Indien auch das TFA unterzeichnen.

Die Industriestaaten, allen voran die USA, die in Bali besonders auf das TFA gedrungen hatten, aber einer dauerhaften Regeländerung für Ernährungssicherheitsprogramme nicht zustimmen wollten, sind besonders erbost über die indische Position. Sie sei ein schwerer Rückschlag für das internationale Handelssystem. Der südafrikanische Handelsminister merkte dagegen an, dass die WTO schon mehr verpasste Fristen überlebt habe. Für eine Einigung sei es wichtig, das für die WTO typische Ungleichgewicht zu beseitigen: Während für die Interessen der Industriestaaten verbindliche Abkommen geschlossen werden, gebe die WTO für die Interessen der Entwicklungsländer nur unverbindliche Erklärungen ab. Die in Indien grundsätzlich WTO-kritische Zivilgesellschaft reagierte positiv auf die Haltung der Regierung.

Strategie oder Taktik?

Der indischen Regierung ist durchaus zuzustimmen, dass Inhalte und Umsetzungsfristen des Bali-Pakets dem Anspruch einer „Entwicklungsagenda“ der WTO nicht gerecht werden. Ob die Blockade des TFA die richtige Taktik ist, um Veränderungen zu bewirken, wird sich allerdings erst noch zeigen. Ist das ein Anreiz für die Industriestaaten, ihre eigene Entwicklungsrhetorik ernst zu nehmen, den unverbindlichen Beschlüssen von Bali Taten folgen zu lassen und die WTO-Regeln für Ernährungssicherheitsprogramme anzupassen?

Oder ist das Vorgehen ein weiterer Grund, dies nicht zu tun, da man die Blockade schon zu Ende verhandelter Abkommen nicht belohnen will? Vermutlich werden Indien und die Entwicklungsländer insgesamt eine umfassendere Strategie brauchen, um die Welthandelsordnung entwicklungsfreundlicher zu gestalten.
  

Tobias Reichert