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Giftiger Rauch kommt aus dem Schornstein eines Wohnhauses

Neuer Emissionshandel unter Beschuss

Warum eine Verschiebung des ETS2 keine Lösung ist

Das EU-Emissionshandelssystem für Gebäude und Verkehr (ETS2) steht auf der Kippe: Mehrere Mitgliedstaaten wollen den Start um ein Jahr verschieben – und gefährden damit das zentrale Instrument europäischer Klimapolitik. Statt den Beginn weiter hinauszuzögern, braucht es jetzt einen stufenweisen Einstieg, gezielte Unterstützung für betroffene Länder – und klare Verantwortung, auch von Deutschland.

 

Ein Grundpfeiler der EU-Klimapolitik steht auf der Kippe

In der nächtlichen Sitzung des Umwelt-Rates zu den EU-Klimazielen für 2035 und 2040 haben wenige Mitgliedstaaten am vergangenen Mittwochmorgen einen Vorschlag zur Verschiebung des Emissionshandels für Gebäude und Straßenverkehr (ETS2) an den Abschlusstext angedockt. Demnach soll der Emissionshandel erst ein Jahr später als geplant im Januar 2028 starten. Noch ist die Entscheidung nicht rechtskräftig, doch die Reaktionen sprechen Bände:  von Resignation über Gleichgültigkeit bis hin zu stiller Erleichterung.

EU-Kommissar Wopke Hoekstra steht nun vor einem Dilemma: 

  • Ignoriert er den Rat, wird der Unmut der skeptischen Regierungen größer.
  • Übernimmt er den Ratsvorschlag und verschiebt das Inkrafttreten des Emissionshandels, macht er sich von vielen Seiten angreifbar. Denn das ist in der Richtlinie so nicht vorgesehen.
  • Öffnet er die ETS-Richtlinie (und eine andere Möglichkeit hat er eigentlich nicht), droht eine weitere Abschwächung des Instruments über die Verschiebung hinaus. 

Hoekstra muss jetzt also kreativ werden und noch mehr anbieten als bislang geplant. Sein nächster Vorschlag muss überzeugen, sonst droht das ETS2 auch 2028 zu scheitern. Das ETS2 ist offenbar in existentieller Gefahr, die ersten Stimmen in Rat und Parlament fordern schon jetzt eine Verschiebung um weitere zwei Jahre. Der jetzige Schockmoment sollte Anlass sein, nach vorne zu denken.  

Hoekstra hatte erst wenige Tage zuvor versucht, die kritischen Mitgliedstaaten mit weitreichenden Zugeständnissen zu besänftigen. Um die ETS2-Preise bis Mitte der 2030er Jahre abzusenken, schlug er vor, die Marktstabilitätsreserve (MSR) auszuweiten. Dadurch würde die Zahl an Emissionszertifikaten in den kommenden Jahren um bis zu 8 Prozent steigen, mit dem Ziel, den Preis dadurch bei zunächst etwa 65 Euro zu halten. Doch selbst diese Aussicht genügte einigen Regierungen nicht. Nun fordern die Regierungen von Hoekstra, nicht nur den MSR-Beschluss, sondern gleich die ganze ETS-Richtlinie aufzuschnüren. 

Hinzu kommt: Mitgliedstaaten könnten entscheiden, das ETS2 zum offiziellen Start vorerst schlicht nicht umzusetzen. Ein Vertragsverletzungsverfahren hätte kaum abschreckende Wirkung. So ist es wenig wahrscheinlich, dass eine neue tschechische Regierung unter Andrej Babiš, der auf einem Anti-Green-Deal-Ticket gewählt wurde, das ETS2 in absehbarer Zeit einführt – auch nicht 2028. Die polnische Regierung unter Donald Tusk hat bereits deutlich gemacht, dass sie keine Befürworterin des Instruments ist und es um 3 Jahre verschieben möchte. Rumänien plant den Einstieg erst 2031. Und auch Italien und Frankreich sind derzeit alles andere als sichere Befürworterinnen.

Es braucht daher neue, tragfähige Vorschläge, damit ein wirksamer Emissionshandel für Gebäude und Verkehr möglichst bald starten kann, und verstärkte Anstrengungen zusätzlich zum Emissionshandel, insbesondere in Deutschland. 

Deutschland darf die Verantwortung für Emissionsminderungen nicht auslagern.

Wie jeder heterogene Binnenmarkt erzeugt auch das ETS2 zentrifugale Effekte: In Ländern mit niedrigerem Pro-Kopf-Einkommen fallen die Belastungen stärker aus als in wohlhabenden Ländern. Während viele deutsche Haushalte nur moderate Mehrkosten für Kraftstoffe spüren dürften, kann eine polnische Familie, die noch mit Kohle heizt – und das betrifft über drei Millionen Haushalte – um ein Vielfaches stärker betroffen sein. 

Deutschland trägt aus einem weiteren Grund eine besondere Verantwortung: Als größter Emittent spielt es eine entscheidende Rolle für die Zielerreichung. Aktuell droht jedoch im Bereich des Effort Sharing, der zu großen Teilen deckungsgleich ist mit dem ETS2, die nationale Emissionssenkungslücke auf rund 64 Millionen Tonnen im Jahr 2030 anzuwachsen– und bislang fehlen konkrete Maßnahmen, um diese zu schließen. EU-weit liegt die Lücke im Szenario mit zusätzlichen Maßnahmen (WAM) „nur“ bei 50 Millionen Tonnen. Mit anderen Worten: Ob die EU die Effort-Sharing-Ziele erreicht – und damit auch, wie hoch die ETS2-Preise europaweit ausfallen – hängt wesentlich von Deutschlands Fortschritten ab.

Diese Frage ist auch eine der innereuropäischen Gerechtigkeit, und wird so auch in anderen EU-Ländern wahrgenommen. Deutschland sollte daher zügig ein wirksames Klimaschutzprogramm beschließen, um die Lücke zu schließen. Dazu sollte die Bundesregierung auch einen nationalen Mindestpreis für Treibhausgase einführen – nicht zuletzt, um einen Einbruch im Preisanreiz und bei den Einnahmen für den Klima- und Transformationsfonds zu vermeiden, falls der ETS2-Preis unter dem deutschen Niveau liegt. 

Phase-in-Modell statt Verschiebung für alle

Eine bloße Verschiebung des ETS2 um ein Jahr greift zu kurz, wenn sich die Mitgliedstaaten nicht gezielt auf die Einführung vorbereiten. Ohne begleitende Maßnahmen droht 2028 eine Wiederholung der aktuellen Herausforderungen – zumal eine Verschiebung keine Garantie dafür ist, dass die zögerlichen Staaten das System dann tatsächlich umsetzen. Das ETS2 sollte daher 2027 wie geplant in den Ländern starten, die bereits vorbereitet sind oder über eine bestehende CO₂-Bepreisung verfügen – etwa in Deutschland als größtem Emittenten im ETS2-Sektor.

Für einige Mitgliedstaaten könnte dagegen ein Phase-in-Modell eine pragmatische Lösung sein. Diese könnte von Ländern angewandt werden, die bislang keinen oder nur einen sehr niedrigen CO2-Preis in den Bereichen Gebäude und Verkehr erheben. Dort würde der Einstieg in das ETS2 – im Gegensatz zu Deutschland – zu einem sprunghaften und spürbaren Preisanstieg bei Benzin, Gas und Kohle führen – was wiederum ein Nährboden ist für populistische, oft antieuropäische Bewegungen, die die EU weiter schwächen könnten. Nicht zufällig zählen die meisten dieser Staaten zu den ETS2-kritischsten. 

Ein stufenweiser Einstieg könnte Abhilfe schaffen: Innerhalb von beispielsweise drei Jahren würden diese Länder an den aktuellen ETS2-Preis herangeführt. Kriterien wie Pro-Kopf-Einkommen, erwartete Preissteigerungen oder die Zahl besonders betroffener Haushalte könnten für die Erlaubnis herangezogen werden, den Preis schrittweise einzuführen. Gleichzeitig müssten sie verpflichtend zusätzliche gezielte Unterstützungsmaßnahmen während des Phase-ins umsetzen, um den Umstieg auf klimaneutrales Heizen und Reisen zu begleiten und soziale Härten abzufedern.

E-Doppeldeckerbusse stehen an Ladesäulen auf Parkplatz

Lösungsorientierter Dialog und mehr Kommunikation für ein faires ETS2

Die EU-Kommission sollte nun gezielt den Dialog mit jenen Mitgliedstaaten suchen, die entweder politisch unter besonderem Druck stehen – etwa durch anstehende Parlamentswahlen – oder besonders stark von den sozialen Folgen des ETS2 betroffen sind, wie Ungarn, Bulgarien und Polen.  

Im Rahmen einer technisch-sozialen Unterstützung könnte die Europäische Kommission gemeinsam mit den nationalen Regierungen prüfen, unter welchen Bedingungen sie bereit wären, das ETS2 umzusetzen. Würde beispielsweise eine Aufstockung des Klimasozialfonds mit angepassten Verteilungskriterien zu mehr Akzeptanz in der Gesellschaft führen? Könnten zeitlich begrenzte Teilausnahmen mit geringem Anteil an den Gesamtemissionen ein Weg sein, um Zustimmung zu sichern? Entscheidend ist dabei, die Wirksamkeit des Instruments zu erhalten und nicht zu verwässern.

Darüber hinaus sollte die Kommission ihre öffentliche Kommunikation deutlich intensivieren. Es gilt, klar zu vermitteln, dass das ETS2 erhebliche Einnahmen generiert, die gezielt zur Entlastung von Haushalten eingesetzt werden können – über den Klimasozialfonds hinaus. Zentral ist eine verständliche und praxisnahe Kommunikation gegenüber Haushalten und kleinen Unternehmen zum Kosten-Nutzen-Verhältnis von Investitionen: So ließe sich etwa durch konkrete Beispielrechnungen zeigen, wie sich die Anschaffung einer Wärmepumpe langfristig rechnet. Auf diese Weise lässt sich die gesellschaftliche Akzeptanz stärken und die aktive Beteiligung der Bevölkerung fördern.

Wenn der Markt weniger liefert, müssen andere Instrumente mehr leisten.

Ein Teil der Lösung auf die ETS2-Krise liegt in zusätzlichen unterstützenden Instrumenten, sowohl finanzieller als auch ordnungspolitischer Art. Finanzierung bedeutet, die verfügbaren Mittel aus dem Klimasozialfonds und den ETS2-Einnahmen gezielt einzusetzen: etwa für Zuschüsse zur Gebäudesanierung, für Programme wie die Bundesförderung für effiziente Gebäude, für ein soziales Leasing von E-Autos oder ein bundesweites Sozialticket. Ohne den frühzeitigen Ausbau solcher Maßnahmen wird die Akzeptanz für das ETS2 weiter schwinden.

Und ja, Ordnungspolitik ist ein Reizthema – aber sie ist unverzichtbar. Wenn der Marktmechanismus schwächelt, müssen verbindliche Standards einspringen. Das betrifft unter anderem die Flottengrenzwerte für Pkw und Lkw oder den anstehenden Vorschlag zur Elektrifizierung von Unternehmensflotten. Hier zeigt sich die Ironie: Der Verband der Automobilindustrie (VDA) beklagt lautstark die Verschiebung des ETS2, wohlwissend, dass in jedem Jahr ohne wirksamen Emissionshandel die Flottengrenzwerte strenger greifen müssen (auch die für LKW). Gleichzeitig hat gerade das Lobbying gegen die Flottengrenzwerte das ETS2 stark unter Druck gesetzt. 

Darüber hinaus braucht es „Price Action Trigger“, um auf Marktverwerfungen gezielt reagieren zu können. Wenn – wie von der EU-Kommission vorgeschlagen – über die Marktstabilitätsreserve (MSR) zusätzliche Zertifikate auf den Markt gebracht werden, müssen diese Maßnahmen an klare Verpflichtungen der Mitgliedstaaten geknüpft sein. Andernfalls gerät die Klimazielerreichung in Gefahr und der ETS2-Preis droht in späteren Jahren steil anzusteigen. Beim Eingreifen der MSR sollten EU-Länder deshalb zusätzliche Maßnahmen vorlegen: beispielsweise neue Förderprogramme für klimaneutrale Mobilität, beschleunigte Gebäudesanierungspläne oder konkrete Infrastrukturprojekte. Ohne solche Maßnahmen wird der reale ETS2-Preis nicht sinken – unabhängig von der Anzahl der Zertifikate.

Bleiben klare Regeln und entschlossene Schritte heute aus, gehen wertvolle Jahre verloren. Jede weitere Verzögerung bedeutet: mehr Emissionen, höhere gesellschaftliche Kosten – und ein wachsender Vertrauensverlust in die europäische Klimapolitik. Das ETS2 muss jetzt schrittweise umgesetzt und sozial flankiert werden – nicht erneut vertagt.

Daten zum Blogbeitrag

Veröffentlichung:
Autor:innen:
Charly Heberer, Sylwia Andralojc-Bodych, Oldag Caspar
Permalink: https://www.germanwatch.org/de/node/93334