Blogpost | 26.11.2021

Sustainable Finance – Aufwertung, doch Transformationskraft kann sich noch nicht entfalten

Analyse des Koalitionsvertrags
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Sustainable Finance wird mit einem eigenen Kapitel im Koalitionsvertrag zurecht aufgewertet. Die Vereinbarungen bleiben inhaltlich insgesamt aber oberflächlich. Die neue Bundesregierung muss deutlich ambitionierter agieren, wenn sie ihr eigenes Ziel, Deutschland zu einem führenden Standort nachhaltiger Finanzierung mit internationaler Reichweite zu machen, erfüllen will. Dies bedeutet insbesondere auch klare, wissenschaftsbasierte Positionen auf nationaler und europäischer Ebene zu vertreten. Die oft nur vagen Formulierungen lassen Zweifel dran, ob die neue Bundesregierung Sustainable Finance als das begriffen hat, was es ist: Ein Transformationstreiber und zentrales Querschnittsthema für Haushalts-, Finanz- und Klimapolitik.

Zunächst ist zu begrüßen, dass die kommende Bundesregierung ihre Politik im Bereich Sustainable Finance an den Empfehlungen des Sustainable Finance-Beirats orientieren möchte. Dies ist ein wichtiger Fortschritt gegenüber den wenig ambitionierten Vorhaben der scheidenden Bundesregierung. Mit der Fortführung des Beirats als beratendes und unabhängiges Gremium wird die Grundlage für die Weiterentwicklung der deutschen Sustainable Finance-Agenda gelegt. Es fehlt im Koalitionsvertrag allerdings eine weitere und vertiefende Institutionalisierung von Sustainable Finance, zum Beispiel durch einen interministeriellen Ausschuss.

Positiv zu bewerten ist der Plan der kommenden Bundesregierung, „überflüssige, unwirksame und umwelt- und klimaschädliche Subventionen und Ausgaben ab[zu]bauen“ sowie die öffentlichen Geldanlagen am Ziel der Klimaneutralität bis 2045 auszurichten. Damit kann die öffentliche Hand potentiell die richtigen Preissignale setzen und als Vorreiter wirken. Wichtig wäre, dass der gesamte Bundeshaushalt zudem auf seine Kompatibilität mit dem Pariser Abkommen geprüft wird, um den notwendigen öffentlichen Investitionsschub für das Klima zu ermöglichen. Erfreulich ist hier die Ausweitung der Green Bonds zur Finanzierung grüner Ausgaben.

National stärkt die Ampelkoalition die Rolle der KFW als Transformations- und Innovationstreiber. Nicht festgelegt wird jedoch, dass KFW, IPEX und Euler-Hermes ihre Aktivitäten ab sofort an wissenschaftsorientierten 1,5°C-Szenarien orientieren sollten. Bestehende Sektorleitlinien der KFW sind hiermit bislang nämlich nicht im Einklang. Auch in Anbetracht der von Deutschland beim Klimagipfel in Glasgow unterzeichneten Verpflichtung, ab Ende 2022 die internationale Finanzierung fossiler Energieträger zu beenden, muss die neue Bundesregierung diese Lücke dringend schließen.

Auf der europäischen Ebene vergibt die neue deutsche Regierung derzeit die Chance, sich in der aktuell international stark beachteten Debatte klar zu einer wissenschaftsbasierten EU-Taxonomie zu bekennen, die Atomkraft und fossiles Gas nicht als „nachhaltige Investitionen“ klassifiziert. Die EU-Taxonomie ist das Herzstück der europäischen Sustainable Finance-Strategie. Sie wird internationale Standards setzen, da andere Akteure, wie etwa Südkorea, ihre eigene Taxonomie eng an der europäischen Regulierung ausrichten. Statt den eigenen Anspruch einzulösen, eine Sustainable Finance-Politik mit internationaler Reichweite zu betreiben, ducken sich bisher die Ampel-Parteien und vor allem der designierte Kanzler Olaf Scholz im Schatten der europäischen Kommission weg. Der designierte Kanzler müsste hier sehr schnell bei der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen intervenieren, weil schon Mitte nächster Woche eine Entscheidung fallen kann. Investitionen in fossile Gasinfrastruktur sollten weder in der Taxonomie als „nachhaltig“ klassifiziert werden noch durch die KFW, IPEX oder Euler-Hermes weiter gefördert werden. Die neue Bundesregierung muss hier sehr schnell zu einer klaren Positionierung finden, wenn sie international glaubwürdig Akzente im Bereich Sustainable Finance setzen will.

Wir begrüßen wiederum, dass die Koalition die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) auf europäischer Ebene unterstützt. Doch trotz der Erwähnung im Koalitionsvertrag spielt die Ampelkoalition hier den Ball an die europäische Kommission zurück. Ihr gelingt es im Koalitionsvertrag nicht, eine ambitionierte eigene Positionierung zu finden. Der deutsche Mittelstand würde jedoch von einer ambitionierteren CSRD profitieren, weil sie den Zugang zu dringend für die Transformation benötigter Finanzierung erleichtern und die Berichterstattung insgesamt günstiger machen würde. Daher sollte die neue Bundesregierung sich hier für eine eine vergleichbare und zukunftsgerichtete Berichterstattung von Klima- und Nachhaltigkeitsrisiken und -zielen einsetzen. Diese Berichterstattung muss die doppelte Wesentlichkeit – also die Auswirkungen vom Unternehmen aufs Klima wie auch vom Klima auf das Unternehmen – abdecken. Da die Bedeutung eines Unternehmens für den Klimawandel nicht durch seine Größe oder seine Rechtsform limitiert ist, sollte sich die Bundesregierung außerdem dafür einsetzen, dass die Transparenzpflicht auf alle transformationsrelevanten Unternehmen ausgeweitet wird und eine Definition von Risikosektoren ergänzt wird. Abschließend erachten wir es als wichtig, dass soziale Werte nicht nur „gegebenenfalls“, wie im Koalitionsvertrag genannt, integriert werden, sondern ebenso wie Biodiversitätsaspekte einen festen Bestandteil der Berichterstattung darstellen.

Kein Bezug nimmt der Koalitionsvertrag auf die Chance, die die anstehende deutsche G7-Präsidentschaft bietet, um die Sustainable Finance-Debatte international weiter voranzubringen. Dies bietet sich insbesondere an, da auch Indonesien als G20-Präsidentschaft das Thema Sustainable Finance voranbringen möchte. Im Zentrum stehen sollten dabei die Ausarbeitung klarer Definitionen und Regeln für den Abbau fossiler Subventionen, die verpflichtende Umsetzung vergleichbarer und zukunftsgerichteter Berichterstattung sowie die Ausweitung der Verpflichtung, keine internationale Finanzierung für fossile Energieträger mehr zu leisten.


 - Eine umfassende Germanwatch-Analyse des Koalitionsvertrages finden Sie hier. -

Autor:innen

David Ryfisch, Christoph Hoffmann

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