Blogpost | 23.03.2023

Lösung für die Klimazielverfehlung im Gebäude- und Verkehrsbereich?

Unsere Bewertung des Diskussionspapiers aus der FDP zur Reform der deutschen CO2-Bepreisung und zu den Klimasektorzielen
Blogpost

Vergangene Woche haben Lukas Köhler, stellvertretender Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion, und Johannes Vogel, erster Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, ein Diskussionspapier zur Reform von Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG) und Sektorzielen präsentiert. Kern ihres Vorschlags sind u.a. drei Forderungen:

 

  1. Die jahresscharfen sektorspezifischen Ziele abschaffen und eine mehrjährige sektorübergreifende Gesamtrechnung etablieren
  2. Das BEHG ab Januar 2024 in ein echtes Emissionshandelssystem mit freier Preisbildung und harter, an den deutschen Zielen der Lastenteilungsverordnung ausgerichteter Emissionsobergrenze überführen
  3. Ein Klimageld einführen

Wir freuen uns, dass die FDP mit diesem Vorschlag beim Klimaschutz endlich mehr als nur das „Nein“ der letzten Monate anbietet. Doch der Vorschlag ist in verschiedener Hinsicht zu kurz gedacht. Seine Realisierung würde nach unserer Einschätzung die dringend notwendige Mobilitäts- und Wärmewende in Deutschland ernsthaft gefährden. Gleichzeitig stößt der Vorschlag aber eine erforderliche Debatte über die Weiterentwicklung des BEHG an und enthält auch einige sinnvolle Ansätze. Im Folgenden gehen wir auf die drei Kernforderungen ein und analysieren, inwiefern sie einer sozialverträglichen und sicheren Klimazielerreichung dienlich sind.

 

Warum brauchen wir verbindliche jahresscharfe Sektorziele?

Reaktion auf den Vorschlag der FDP, die jahresscharfen sektorspezifischen Ziele abzuschaffen und eine mehrjährige sektorübergreifende Gesamtrechnung zu etablieren.

Jahresscharfe Emissionsreduktionsziele für jeden einzelnen Sektor sind wichtig, damit das Gesamtklimaziel sicher erreicht wird. Vier Dimensionen sind hierfür ausschlaggebend:

Rechtliche Dimension: Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2021 zielt genau darauf ab, dass die Emissionseinsparungen zeitlich nicht nach hinten geschoben werden dürfen. In die Zukunft verschobene Emissionsreduktionen, würden laut Bundesverfassungsgericht bedeuten, dass der dann in späteren Jahren massiv zu steigernde Klimaschutz den künftigen Freiheitsraum der Menschen signifikant einengen würde. Das Verschieben der Emissionseinsparungen bedeutet schlichtweg die Beschränkung künftiger Freiheiten.

Politische Dimension: Ein großer Vorteil der Sektorziele besteht darin, dass klar ist, welches Ministerium die Verantwortung für das Erreichen der Ziele trägt. Die Sektorziele sind ein wichtiger Maßstab für die Emissionsminderungsanstrengung und den Fortschritt der Transformation in den einzelnen Sektoren. Da alle Sektoren bis spätestens 2045 klimaneutral sein müssen, ist es keine Option mehr, eigene transformative Aktivitäten auf- oder auf andere Sektoren abzuschieben. Da es um die kumulative Gesamtmenge der Emissionen geht, bedeutet das Verfehlen der kurzfristigen Ziele zudem, dass die mittelfristigen Ziele verschärft werden müssen. Eine solche Verschärfung kann eine Disruption der sozialen und ökonomischen Ordnung auslösen, die entweder negative gesellschaftliche Konsequenzen hat oder politisch nicht durchsetzbar ist. Im letzteren Fall würde Deutschland hinter seinen fairen Anteil an den globalen Klimaschutzbemühungen weiter zurückfallen.

Technologische Dimension: Die Entwicklung und volle Implementierung von transformativer Technologie bedarf in den meisten Sektoren Jahrzehnte. Ein kurzfristiges Verschieben der Verantwortung auf andere Sektoren bedeutet daher in vielen Fällen, dass notwendige Investitions- und Entwicklungsvorhaben nicht rechtzeitig getätigt werden und so keine Klimaneutralität aller Sektoren bis 2045 erreicht werden kann.

Warum ist eine freie Preisbildung im BEHG ab 2024 nicht der richtige Weg?

Reaktion auf den Vorschlag der FDP, das BEHG ab Januar 2024 in ein echtes Emissionshandelssystem mit freier Preisbildung und harter, an den deutschen Zielen der Lastenteilungsverordnung ausgerichteter Emissionsobergrenze zu überführen.

Das BEHG sieht für die Jahre 2024 und 2025 Festpreise und für 2026 einen Preiskorridor vor. Voraussichtlich 2027, bei hohen Energiepreisen 2028, wird das Europäische Emissionshandelssystem für Wärme und Straßenverkehr eingeführt. Dabei sind verschiedene Preisdämpfungsmechanismen (u.a. Ausschütten von 20 Mio. Zertifikaten aus der Marktstabilitätsreserve bei Überschreiten von 45 Euro) sowie einem Frontloading (130 % des Caps im ersten Jahr) vorgesehen.

Die vorgezeichneten Preise im BEHG (2024 – 2026) sind angesichts der Notwendigkeit einer raschen und umfassenden Mobilitäts- und Wärmewende in Deutschland zu niedrig. Ihre Lenkungswirkung ist derart begrenzt, dass Deutschland das wichtige Instrument der CO2-Bepreisung derzeit quasi ungenutzt lässt. Doch von einer völlig freien Preisbildung im BEHG ab Januar 2024 ist aus mehreren Gründen abzuraten.

Erstens sorgen Festpreise bzw. ein Preiskorridor für notwendige Planungs- und Investitionssicherheit. Investitionsentscheidungen, sowohl von Privatpersonen als auch von Unternehmen, basieren auf langfristigen Kostenerwartungen und entsprechenden Kosten-Nutzen-Abwägungen. Privathaushalte und Unternehmen sind daher auf klare Investitionsrahmenbedingungen, also vorhersehbare Preisentwicklungen, angewiesen. Ein Emissionshandel mit hartem Cap kann dies nicht leisten, sondern würde für große Unsicherheit sorgen.

Zweitens kann eine freie Preisbildung zu eskalierenden Preisen führen, die Privathaushalte und Unternehmen überfordern. Sehr hohe bzw. massiv fluktuierende CO2-Preise können soziale Härten für Privathaushalte und betriebswirtschaftliche Probleme für Unternehmen nach sich ziehen und so auch die Akzeptanz für die Wärme- und Mobilitätswende untergraben. Angesichts derzeit noch sehr mangelhafter nicht-preisbasierter Politikinstrumente in den Sektoren Verkehr und Gebäude sind sehr schnell steigende CO2-Preise alles andere als unwahrscheinlich, sollte es ein hartes Cap und freie Preisbildung geben. Es ist sehr fraglich, ob hohe Preise – die dann beispielsweise Benzinpreise von 3,50 Euro pro Liter zur Folge hätten – politisch durchhaltbar wären oder ob der Druck auf die Politik nicht sehr groß wäre, dann wieder mit ineffizienten und teuren Instrumenten wie einem Tankrabatt gegengesteuert werden müsste. Dem zu entgegnen, indem man sich Emissionsberechtigungen aus künftigen Jahren borgt und als „Preisstabilitätsreserve“ jetzt schon nutzt, würde dem zentralen Punkt des Beschlusses des Bundesverfassungsgericht widersprechen: „Subjektivrechtlich schützen die Grundrechte als intertemporale Freiheitssicherung vor einer einseitigen Verlagerung der durch Art. 20a GG aufgegebenen Treibhausgasminderungslast in die Zukunft (Leitsatz 4)“. Ein Preiskorridor dagegen kann gesellschaftlich inakzeptable Preise verhindern und ist gerade vor dem Hintergrund der aktuell immer noch sehr hohen Energiepreise und der entsprechenden Belastung für Privathaushalte und Unternehmen sinnvoll. Die Bundesregierung muss dann allerdings durch Ordnungspolitik sicherstellen, dass trotz Höchstpreis die Klimaziele erreicht werden.

Drittens greift der Vorschlag der FDP angesichts des anstehenden Übergangs des BEHG zum Europäischen Emissionshandel für Wärme und Verkehr zu kurz. Das BEHG-Cap würde sich laut FDP-Vorschlag nach den deutschen ESR-Zielen richten, während sich das Cap des europäischen ETS am EU-weiten Klimaziel orientiert. Es ist daher mit deutlich niedrigeren Preisen im ETS2 im Vergleich zum BEHG zu rechnen. Zusätzlich verstärkt wird dieser Effekt durch die oben erwähnten Preisdämpfungsmechanismen im europäischen System. Es erscheint wenig sinnvoll, in Deutschland in den Jahren 2024-2026 unvorhersehbare, wahrscheinlich sehr hohe CO2-Preise zu etablieren um dann 2027 auf ein eventuell deutlich niedrigeres europäisches Preisniveau abzufallen. Ein solches Vorgehen würde nicht nur die klimapolitische Lenkungswirkung und Stabilität von Investitionsbedingungen unterminieren sondern auch die Glaubwürdigkeit von Klimapolitik und CO2-Preisen gefährden.

Warum ist die FDP beim Klimageld in der Bringschuld?

Reaktion auf den Vorschlag der FDP, ein Klimageld einzuführen.

Der Vorschlag der FDP ist in der Hinsicht sinnvoll, als dass er ein Klimageld vorsieht. Viel zu wenige Beobachter haben im Blick, dass die Verteilungsgerechtigkeit steigt, wenn man eine CO2-Bepreisung verankert und zugleich ein gleiches Klimageld pro Kopf auszahlt. Da die ärmere Hälfte der Bevölkerung dann wegen ihrer geringen Emissionen nur gut 10 % der Emissionen ausstößt, aber die Hälfte der Einnahmen zurückerhält, profitiert sie im Durchschnitt deutlich von einer solchen Regelung. Es ist progressiv und entlastet besonders Menschen mit geringem Einkommen. Ein Klimageld verbessert also die Sozialverträglichkeit der CO2-Bepreisung. Gleichzeitig beeinträchtigt das Klimageld nicht die Lenkungswirkung der CO2-Bepreisung. Die Bundesregierung sollte, wie im Koalitionsvertrag versprochen, ein durch die CO2-Preis-Einnahmen finanziertes Klimageld schnellstmöglich einführen. Das FDP-geführte Bundesfinanzministerium ist hier in der Bringschuld: Es muss noch in diesem Jahr einen Auszahlungskanal für das Klimageld auf die Beine stellen und darf die Umsetzung dieses wichtige Vorhaben nicht länger verschleppen.

Allerdings kann eine solche Pro-Kopf-Pauschale längst nicht alle sozialen Härten abfedern. Die, die nicht das Geld oder die rechtliche Möglichkeit haben, ihren CO2-Ausstoß ohne massive Härten zu senken, brauchen zusätzliche staatlich organisierte Unterstützung. Das Klimageld ist daher eine wichtige Ergänzung zum Instrument der CO2-Bepreisung, kann aber zumindest kurzfristig eine Preisobergrenze nicht ersetzen.

Was brauchen wir stattdessen?

Ein Beibehalten der jahresscharfen Sektorziele ist unerlässlich für eine starke und verlässliche deutsche Klimapolitik. Wir gehen davon aus, dass ein Abweichen bzw. eine Ausweitung des zeitlichen Zielhorizonts auf mehr als zwei Jahre dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes widersprechen würde. Eine Reform des BEHG hin zu mehr Lenkungswirkung, ein nationaler Mindestpreis bei Einführung des ETS2 und die rasche Einführung des Klimageldes sind zudem wichtige Elemente einer ausgewogenen, sozial gerechten und zukunftsfähigen CO2-Preis-Politik in Deutschland.

Um Lenkungswirkung und Investitionssicherheit zu gewährleisten, sollte die Bundesregierung einerseits den Preispfad im BEHG anheben und andererseits einen nationalen Mindestpreis im ETS2 einführen. Der CO2-Preis im BEHG sollte 2024 bei ca. 45 Euro, 2025 bei ca. 55 Euro und 2026 bei ca. 75 Euro liegen. Ein enger Preiskorridor ist hier das Sinnvollste. Ab 2027 sollte die Bundesregierung im Rahmen des ETS2 einen jährlich steigenden nationalen Mindestpreis etablieren. Dieser sollte bis 2030 auf mindestens 100 Euro steigen.

Um die eben skizzierte CO2-Bepreisung sozialverträglich zu gestalten, sollte die Bundesregierung ab 2024 die Mehreinnahmen durch ein Klimageld an die Bürger:innen auszahlen. Das Klimageld ist besonders sozial, wenn es besteuert wird und es eine Auszahlungsgrenze, beispielsweise bei einem Jahreseinkommen von 75.000 Euro, gibt. Priorität muss nun der rasche Aufbau eines Auszahlungskanals haben, damit ab 2024 das Klimageld ausgezahlt werden kann.

Autor:innen

Anne Gläser, Christoph Bals, Oldag Caspar

Ansprechpersonen

Echter Name

Politischer Geschäftsführer
(bis 15.6.24 in Politischer Fokus-Zeit)

Echter Name

Bereichsleiter Deutsche und Europäische Klimapolitik